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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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Mittelhirnes hohl und zeigen meist mannigfaltig gewundene Anschwellun-
gen an ihrer Hinterwand, welche in ihre Höhle hineinragen und den Vier-
hügeln, den Seh- und Streifenhügeln entsprechen. Hinter dem Hirn-
anhange finden sich auf der Unterfläche als Ausbildungen des Hirn-
stammes zwei seitliche Anschwellungen, die man die unteren Hirnlappen
genannt hat. Das Hinterhirn endlich besteht wieder aus zwei
Theilen, dem kleinen Gehirne, welches zuweilen ungemein ausgebil-
det ist und die Form einer phrygischen Mütze hat, und dem verlän-
gerten Marke, das nach oben gespalten ist und dessen Höhle sich unter
dem kleinen Gehirne durch bis nach vorn in die Höhlung des Mittel-
hirnes erstreckt. Die vielfachen Streitigkeiten, welche über die Deu-
tung der einzelnen Theile des Fischgehirnes entstanden, kamen
hauptsächlich daher, daß man es mit dem Gehirne der erwachsenen
Thiere vergleichen wollte, während seine Deutung nur dadurch sicher-
gestellt werden kann, daß man die Hirnbildung des Fischembryo's mit
derjenigen der Embryo's der höheren Thiere vergleicht.

Die Zahl der aus dem Gehirne entspringenden Nerven ist fast
überall dieselbe und nur bei dem niedrigsten Fische, dem Lanzettfisch-
chen, findet sich in dieser Beziehung eine Ausnahme, indem hier nur
einige wenige Nerven als Hirnnerven angesprochen werden dürften,
die noch zudem nach dem Typus der Rückennerven ausgebildet sind.
Der Riechnerve (nervus olfactorius 1) ist fast bei allen Fischen
sehr stark und bildet, wie schon bemerkt, die unmittelbare Fortsetzung
des Gehirnes nach vorn; der Sehnerve (nervus opticus 2) erscheint
nur bei den blinden Fischen, deren sehr wenige sind, an Masse unbe-
deutend und bildet fast überall ein zusammengefaltetes Längsband.
Hinsichtlich des Verhaltens der beiden Sehnerven zu einander findet
ein wesentlicher Unterschied statt, indem sie bei den eigentlichen Kno-
chenfischen sich vollständig in der Weise kreuzen, daß der aus der
rechten Hirnhälfte entspringende Nerve gänzlich in das linke Auge
geht, der aus der linken Hälfte kommende dagegen sich zu dem rech-
ten Auge begiebt, zuweilen selbst in der Weise, daß der eine Nerve
den anderen durchbohrt; bei den Knorpelfischen dagegen, sowie bei den
Ganoiden treten die beiden Sehnerven mit ihrem Innenrande zusam-
men und verschmelzen hier so miteinander, daß sie ein liegendes Kreuz,
ein wahres Chiasma bilden. Zu den Augenmuskeln treten gewöhnlich
drei Nervenpaare, die sich auch bei allen übrigen Wirbelthieren wie-
derfinden, wo der Bewegungsapparat des Auges ausgebildet ist. Das
vierte Paar (nervus patheticus 4) vertheilt sich einzig in dem obe-

Mittelhirnes hohl und zeigen meiſt mannigfaltig gewundene Anſchwellun-
gen an ihrer Hinterwand, welche in ihre Höhle hineinragen und den Vier-
hügeln, den Seh- und Streifenhügeln entſprechen. Hinter dem Hirn-
anhange finden ſich auf der Unterfläche als Ausbildungen des Hirn-
ſtammes zwei ſeitliche Anſchwellungen, die man die unteren Hirnlappen
genannt hat. Das Hinterhirn endlich beſteht wieder aus zwei
Theilen, dem kleinen Gehirne, welches zuweilen ungemein ausgebil-
det iſt und die Form einer phrygiſchen Mütze hat, und dem verlän-
gerten Marke, das nach oben geſpalten iſt und deſſen Höhle ſich unter
dem kleinen Gehirne durch bis nach vorn in die Höhlung des Mittel-
hirnes erſtreckt. Die vielfachen Streitigkeiten, welche über die Deu-
tung der einzelnen Theile des Fiſchgehirnes entſtanden, kamen
hauptſächlich daher, daß man es mit dem Gehirne der erwachſenen
Thiere vergleichen wollte, während ſeine Deutung nur dadurch ſicher-
geſtellt werden kann, daß man die Hirnbildung des Fiſchembryo’s mit
derjenigen der Embryo’s der höheren Thiere vergleicht.

Die Zahl der aus dem Gehirne entſpringenden Nerven iſt faſt
überall dieſelbe und nur bei dem niedrigſten Fiſche, dem Lanzettfiſch-
chen, findet ſich in dieſer Beziehung eine Ausnahme, indem hier nur
einige wenige Nerven als Hirnnerven angeſprochen werden dürften,
die noch zudem nach dem Typus der Rückennerven ausgebildet ſind.
Der Riechnerve (nervus olfactorius 1) iſt faſt bei allen Fiſchen
ſehr ſtark und bildet, wie ſchon bemerkt, die unmittelbare Fortſetzung
des Gehirnes nach vorn; der Sehnerve (nervus opticus 2) erſcheint
nur bei den blinden Fiſchen, deren ſehr wenige ſind, an Maſſe unbe-
deutend und bildet faſt überall ein zuſammengefaltetes Längsband.
Hinſichtlich des Verhaltens der beiden Sehnerven zu einander findet
ein weſentlicher Unterſchied ſtatt, indem ſie bei den eigentlichen Kno-
chenfiſchen ſich vollſtändig in der Weiſe kreuzen, daß der aus der
rechten Hirnhälfte entſpringende Nerve gänzlich in das linke Auge
geht, der aus der linken Hälfte kommende dagegen ſich zu dem rech-
ten Auge begiebt, zuweilen ſelbſt in der Weiſe, daß der eine Nerve
den anderen durchbohrt; bei den Knorpelfiſchen dagegen, ſowie bei den
Ganoiden treten die beiden Sehnerven mit ihrem Innenrande zuſam-
men und verſchmelzen hier ſo miteinander, daß ſie ein liegendes Kreuz,
ein wahres Chiasma bilden. Zu den Augenmuskeln treten gewöhnlich
drei Nervenpaare, die ſich auch bei allen übrigen Wirbelthieren wie-
derfinden, wo der Bewegungsapparat des Auges ausgebildet iſt. Das
vierte Paar (nervus patheticus 4) vertheilt ſich einzig in dem obe-

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[61/0067] Mittelhirnes hohl und zeigen meiſt mannigfaltig gewundene Anſchwellun- gen an ihrer Hinterwand, welche in ihre Höhle hineinragen und den Vier- hügeln, den Seh- und Streifenhügeln entſprechen. Hinter dem Hirn- anhange finden ſich auf der Unterfläche als Ausbildungen des Hirn- ſtammes zwei ſeitliche Anſchwellungen, die man die unteren Hirnlappen genannt hat. Das Hinterhirn endlich beſteht wieder aus zwei Theilen, dem kleinen Gehirne, welches zuweilen ungemein ausgebil- det iſt und die Form einer phrygiſchen Mütze hat, und dem verlän- gerten Marke, das nach oben geſpalten iſt und deſſen Höhle ſich unter dem kleinen Gehirne durch bis nach vorn in die Höhlung des Mittel- hirnes erſtreckt. Die vielfachen Streitigkeiten, welche über die Deu- tung der einzelnen Theile des Fiſchgehirnes entſtanden, kamen hauptſächlich daher, daß man es mit dem Gehirne der erwachſenen Thiere vergleichen wollte, während ſeine Deutung nur dadurch ſicher- geſtellt werden kann, daß man die Hirnbildung des Fiſchembryo’s mit derjenigen der Embryo’s der höheren Thiere vergleicht. Die Zahl der aus dem Gehirne entſpringenden Nerven iſt faſt überall dieſelbe und nur bei dem niedrigſten Fiſche, dem Lanzettfiſch- chen, findet ſich in dieſer Beziehung eine Ausnahme, indem hier nur einige wenige Nerven als Hirnnerven angeſprochen werden dürften, die noch zudem nach dem Typus der Rückennerven ausgebildet ſind. Der Riechnerve (nervus olfactorius 1) iſt faſt bei allen Fiſchen ſehr ſtark und bildet, wie ſchon bemerkt, die unmittelbare Fortſetzung des Gehirnes nach vorn; der Sehnerve (nervus opticus 2) erſcheint nur bei den blinden Fiſchen, deren ſehr wenige ſind, an Maſſe unbe- deutend und bildet faſt überall ein zuſammengefaltetes Längsband. Hinſichtlich des Verhaltens der beiden Sehnerven zu einander findet ein weſentlicher Unterſchied ſtatt, indem ſie bei den eigentlichen Kno- chenfiſchen ſich vollſtändig in der Weiſe kreuzen, daß der aus der rechten Hirnhälfte entſpringende Nerve gänzlich in das linke Auge geht, der aus der linken Hälfte kommende dagegen ſich zu dem rech- ten Auge begiebt, zuweilen ſelbſt in der Weiſe, daß der eine Nerve den anderen durchbohrt; bei den Knorpelfiſchen dagegen, ſowie bei den Ganoiden treten die beiden Sehnerven mit ihrem Innenrande zuſam- men und verſchmelzen hier ſo miteinander, daß ſie ein liegendes Kreuz, ein wahres Chiasma bilden. Zu den Augenmuskeln treten gewöhnlich drei Nervenpaare, die ſich auch bei allen übrigen Wirbelthieren wie- derfinden, wo der Bewegungsapparat des Auges ausgebildet iſt. Das vierte Paar (nervus patheticus 4) vertheilt ſich einzig in dem obe-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/67>, abgerufen am 28.04.2024.