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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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wo es mit speichelartigem Magensafte durchweicht wurde, in den Netz-
magen trat, wird von diesem durch eine Oeffnung in die Speiseröhre
zurückgetrieben, gewissermaßen erbrochen und gelangt so wieder in den
Mund, in welchem es aufs Neue durchgekaut wird. Beim zweiten
Hinabschlucken ändert es indeß seinen Weg und geht nicht wieder in
den Pansen, sondern an diesem und dem Netzmagen vorbei in den
dritten Magen. Die Speiseröhre setzt sich nämlich nach rechts hin in
Gestalt einer muskulösen Rinne fort, welche durch zwei lippenartige
Falten gebildet wird, deren Ränder sich fest an einander legen und so
die Rinne zur Röhre umgestalten können. Beim zweiten Hinab-
schlucken nach dem Akte des Wiederkäuens gleitet das Futter in dieser
Schlundrinne unmittelbar in den dritten Magen, der eine rundliche
Form hat und auf der Oberfläche mit einer Menge längsgestellter
Blätter geziert ist, welche ihm den Namen des Buches, des Psalters
oder Blättermagens (Omasus, Psalterium) verschafft haben; aus
diesem führt eine Oeffnung in die letzte, darmförmige Portion, den
Pförtnertheil des Magens, welcher hauptsächlich die Stätte für die
Absonderung des sauren Magensaftes ist und wegen seiner die Milch
gerinnen machenden Eigenschaft der Lab- oder Käsemagen (Abo-
masus)
genannt wird. Die große Complikation der Magenbildung
steht ohne Zweifel mit dem Umstande in Zusammenhang, daß alle
Thiere dieser Ordnung auf Gräser und Kräuter zur Nahrung ange-
wiesen sind, d. h. auf Pflanzentheile, die sehr wenig Substanzen ent-
halten, aus denen Fleisch und Blut gebildet werden können; so daß
eine bedeuteude Menge von Futter in dem Extractionsapparate des
Magens behandelt und der Prozeß der Ausziehung selbst so vollstän-
dig als möglich durchgeführt werden muß, wozu das öftere Durch-
weichen mit verschieden zusammengesetzten Magensäften und die bedeu-
tende Zerkleinerung und Verarbeitung der Futtermasse die wesentlich-
sten Hülfsmittel sind. Der Darmkanal der Wiederkäuer, welcher im
Uebrigen keine wesentlichen Eigenthümlichkeiten zeigt, macht sich durch
seine außerordentliche Länge bemerkbar, indem er wenigstens eilf bis
zwölf Mal, manchmal vier und zwanzig Mal so lang als der Körper
ist. Die Zitzen liegen bei allen weit nach hinten zwischen den Hinter-
schenkeln.

Die Ordnung der Wiederkäuer ist diejenige, welche die wesent-
lichste Fleischnahrung des Menschen liefert; alle Thiere dieser Ord-
nung werden gegessen und die Zucht einiger Arten bildet die wesent-
lichste Grundlage, die Hauptbedingung für die Möglichkeit einer grö-

wo es mit ſpeichelartigem Magenſafte durchweicht wurde, in den Netz-
magen trat, wird von dieſem durch eine Oeffnung in die Speiſeröhre
zurückgetrieben, gewiſſermaßen erbrochen und gelangt ſo wieder in den
Mund, in welchem es aufs Neue durchgekaut wird. Beim zweiten
Hinabſchlucken ändert es indeß ſeinen Weg und geht nicht wieder in
den Panſen, ſondern an dieſem und dem Netzmagen vorbei in den
dritten Magen. Die Speiſeröhre ſetzt ſich nämlich nach rechts hin in
Geſtalt einer muskulöſen Rinne fort, welche durch zwei lippenartige
Falten gebildet wird, deren Ränder ſich feſt an einander legen und ſo
die Rinne zur Röhre umgeſtalten können. Beim zweiten Hinab-
ſchlucken nach dem Akte des Wiederkäuens gleitet das Futter in dieſer
Schlundrinne unmittelbar in den dritten Magen, der eine rundliche
Form hat und auf der Oberfläche mit einer Menge längsgeſtellter
Blätter geziert iſt, welche ihm den Namen des Buches, des Pſalters
oder Blättermagens (Omasus, Psalterium) verſchafft haben; aus
dieſem führt eine Oeffnung in die letzte, darmförmige Portion, den
Pförtnertheil des Magens, welcher hauptſächlich die Stätte für die
Abſonderung des ſauren Magenſaftes iſt und wegen ſeiner die Milch
gerinnen machenden Eigenſchaft der Lab- oder Käſemagen (Abo-
masus)
genannt wird. Die große Complikation der Magenbildung
ſteht ohne Zweifel mit dem Umſtande in Zuſammenhang, daß alle
Thiere dieſer Ordnung auf Gräſer und Kräuter zur Nahrung ange-
wieſen ſind, d. h. auf Pflanzentheile, die ſehr wenig Subſtanzen ent-
halten, aus denen Fleiſch und Blut gebildet werden können; ſo daß
eine bedeuteude Menge von Futter in dem Extractionsapparate des
Magens behandelt und der Prozeß der Ausziehung ſelbſt ſo vollſtän-
dig als möglich durchgeführt werden muß, wozu das öftere Durch-
weichen mit verſchieden zuſammengeſetzten Magenſäften und die bedeu-
tende Zerkleinerung und Verarbeitung der Futtermaſſe die weſentlich-
ſten Hülfsmittel ſind. Der Darmkanal der Wiederkäuer, welcher im
Uebrigen keine weſentlichen Eigenthümlichkeiten zeigt, macht ſich durch
ſeine außerordentliche Länge bemerkbar, indem er wenigſtens eilf bis
zwölf Mal, manchmal vier und zwanzig Mal ſo lang als der Körper
iſt. Die Zitzen liegen bei allen weit nach hinten zwiſchen den Hinter-
ſchenkeln.

Die Ordnung der Wiederkäuer iſt diejenige, welche die weſent-
lichſte Fleiſchnahrung des Menſchen liefert; alle Thiere dieſer Ord-
nung werden gegeſſen und die Zucht einiger Arten bildet die weſent-
lichſte Grundlage, die Hauptbedingung für die Möglichkeit einer grö-

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[472/0478] wo es mit ſpeichelartigem Magenſafte durchweicht wurde, in den Netz- magen trat, wird von dieſem durch eine Oeffnung in die Speiſeröhre zurückgetrieben, gewiſſermaßen erbrochen und gelangt ſo wieder in den Mund, in welchem es aufs Neue durchgekaut wird. Beim zweiten Hinabſchlucken ändert es indeß ſeinen Weg und geht nicht wieder in den Panſen, ſondern an dieſem und dem Netzmagen vorbei in den dritten Magen. Die Speiſeröhre ſetzt ſich nämlich nach rechts hin in Geſtalt einer muskulöſen Rinne fort, welche durch zwei lippenartige Falten gebildet wird, deren Ränder ſich feſt an einander legen und ſo die Rinne zur Röhre umgeſtalten können. Beim zweiten Hinab- ſchlucken nach dem Akte des Wiederkäuens gleitet das Futter in dieſer Schlundrinne unmittelbar in den dritten Magen, der eine rundliche Form hat und auf der Oberfläche mit einer Menge längsgeſtellter Blätter geziert iſt, welche ihm den Namen des Buches, des Pſalters oder Blättermagens (Omasus, Psalterium) verſchafft haben; aus dieſem führt eine Oeffnung in die letzte, darmförmige Portion, den Pförtnertheil des Magens, welcher hauptſächlich die Stätte für die Abſonderung des ſauren Magenſaftes iſt und wegen ſeiner die Milch gerinnen machenden Eigenſchaft der Lab- oder Käſemagen (Abo- masus) genannt wird. Die große Complikation der Magenbildung ſteht ohne Zweifel mit dem Umſtande in Zuſammenhang, daß alle Thiere dieſer Ordnung auf Gräſer und Kräuter zur Nahrung ange- wieſen ſind, d. h. auf Pflanzentheile, die ſehr wenig Subſtanzen ent- halten, aus denen Fleiſch und Blut gebildet werden können; ſo daß eine bedeuteude Menge von Futter in dem Extractionsapparate des Magens behandelt und der Prozeß der Ausziehung ſelbſt ſo vollſtän- dig als möglich durchgeführt werden muß, wozu das öftere Durch- weichen mit verſchieden zuſammengeſetzten Magenſäften und die bedeu- tende Zerkleinerung und Verarbeitung der Futtermaſſe die weſentlich- ſten Hülfsmittel ſind. Der Darmkanal der Wiederkäuer, welcher im Uebrigen keine weſentlichen Eigenthümlichkeiten zeigt, macht ſich durch ſeine außerordentliche Länge bemerkbar, indem er wenigſtens eilf bis zwölf Mal, manchmal vier und zwanzig Mal ſo lang als der Körper iſt. Die Zitzen liegen bei allen weit nach hinten zwiſchen den Hinter- ſchenkeln. Die Ordnung der Wiederkäuer iſt diejenige, welche die weſent- lichſte Fleiſchnahrung des Menſchen liefert; alle Thiere dieſer Ord- nung werden gegeſſen und die Zucht einiger Arten bildet die weſent- lichſte Grundlage, die Hauptbedingung für die Möglichkeit einer grö-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/478>, abgerufen am 23.11.2024.