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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Eine andere Vermehrungsweise ist die durch Theilung, welche
besonders bei den Infusionsthierchen häufig vorkommt. Ein Thier,

[Abbildung] Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17.

Glockenthierchen (Vorticella), die sich durch Theilung
und Knospung fortpflanzen.
Das Thierchen Fig. 15 ist eben in der
Theilung begriffen, der Kern b ist schon voll-
kommen doppelt; Fig. 16 will sich von seinem
Stiele loslösen; Fig. 17 bildet an der Basis
des Stieles eine seitliche Knospe, die noch un-
vollkommen ist. Bei allen dreien ist a der
Mund mit der Wimperkrone, b der Kern, d
die gefüllten Magenblasen, e die contractile
Blase, f der Stiel, i der accessorische Wimper-
kranz, den die sich loslösenden Individuen wäh-
rend ihrer freien Beweglichkeit haben.

welches bis dahin ein selbststän-
diges Leben führte und keine Spur
eines symmetrischen Baues zeigte,
läßt plötzlich eine Rinne oder
Furche oder eine sonstige Verän-
derung in seinem Inneren gewah-
ren, welche sich bis zu einer Thei-
lung in zwei, meistentheils gleiche
Hälften ausbildet -- eine Theilung,
die zuweilen nach einigen Stunden
sich bei den kaum getrennten Hälf-
ten auf's Neue wiederholen kann.
So schreitet die Fortpflanzung
durch immer fortgesetzte Theilung
der neu entstandenen Individuen in
geometrischer Weise vor, und man
weiß aus dem Beispiele des
Schachbrett's, zu welch ungeheu-
ren Zahlen man auf diese Weise
gelangen kann und nothwendig
gelangen muß, wenn nicht ander-
weite Hindernisse hemmend da-
zwischen treten.

Bei der Theilung sind die
beiden Hälften, in welche das
Thier zerfällt, meist einander vollkommen gleich. Es findet kein Un-
terschied zwischen dem alten und jungen Thiere statt. Anders ist es
bei der Fortpflanzung durch Knospen, die sich in sehr verschiedener
Weise darstellen und meistens die sogenannten socialen oder gesellschaft-
lichen Formen der Thiere zu Folge haben. An irgend einem Theile
des Körpers, bald an dem vorderen Ende, bald an der Seite, bald an
dem hinteren Ende zeigt sich ein Auswuchs, der Anfangs mit dem
Körper des Mutterthieres in dem innigsten Zusammenhange steht. Die
allgemeine Ernährungsflüssigkeit cirkulirt aus dem Körper des Mutter-
thieres in die Höhlung der Knospe. Diese scheint anfangs nur ein zufäl-
liger, von frühern Forschern oft für krankhaft gehaltener Auswuchs.
Die Knospe gewinnt nach und nach ein zunehmend selbstständiges Leben.

Eine andere Vermehrungsweiſe iſt die durch Theilung, welche
beſonders bei den Infuſionsthierchen häufig vorkommt. Ein Thier,

[Abbildung] Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17.

Glockenthierchen (Vorticella), die ſich durch Theilung
und Knospung fortpflanzen.
Das Thierchen Fig. 15 iſt eben in der
Theilung begriffen, der Kern b iſt ſchon voll-
kommen doppelt; Fig. 16 will ſich von ſeinem
Stiele loslöſen; Fig. 17 bildet an der Baſis
des Stieles eine ſeitliche Knospe, die noch un-
vollkommen iſt. Bei allen dreien iſt a der
Mund mit der Wimperkrone, b der Kern, d
die gefüllten Magenblaſen, e die contractile
Blaſe, f der Stiel, i der acceſſoriſche Wimper-
kranz, den die ſich loslöſenden Individuen wäh-
rend ihrer freien Beweglichkeit haben.

welches bis dahin ein ſelbſtſtän-
diges Leben führte und keine Spur
eines ſymmetriſchen Baues zeigte,
läßt plötzlich eine Rinne oder
Furche oder eine ſonſtige Verän-
derung in ſeinem Inneren gewah-
ren, welche ſich bis zu einer Thei-
lung in zwei, meiſtentheils gleiche
Hälften ausbildet — eine Theilung,
die zuweilen nach einigen Stunden
ſich bei den kaum getrennten Hälf-
ten auf’s Neue wiederholen kann.
So ſchreitet die Fortpflanzung
durch immer fortgeſetzte Theilung
der neu entſtandenen Individuen in
geometriſcher Weiſe vor, und man
weiß aus dem Beiſpiele des
Schachbrett’s, zu welch ungeheu-
ren Zahlen man auf dieſe Weiſe
gelangen kann und nothwendig
gelangen muß, wenn nicht ander-
weite Hinderniſſe hemmend da-
zwiſchen treten.

Bei der Theilung ſind die
beiden Hälften, in welche das
Thier zerfällt, meiſt einander vollkommen gleich. Es findet kein Un-
terſchied zwiſchen dem alten und jungen Thiere ſtatt. Anders iſt es
bei der Fortpflanzung durch Knospen, die ſich in ſehr verſchiedener
Weiſe darſtellen und meiſtens die ſogenannten ſocialen oder geſellſchaft-
lichen Formen der Thiere zu Folge haben. An irgend einem Theile
des Körpers, bald an dem vorderen Ende, bald an der Seite, bald an
dem hinteren Ende zeigt ſich ein Auswuchs, der Anfangs mit dem
Körper des Mutterthieres in dem innigſten Zuſammenhange ſteht. Die
allgemeine Ernährungsflüſſigkeit cirkulirt aus dem Körper des Mutter-
thieres in die Höhlung der Knospe. Dieſe ſcheint anfangs nur ein zufäl-
liger, von frühern Forſchern oft für krankhaft gehaltener Auswuchs.
Die Knospe gewinnt nach und nach ein zunehmend ſelbſtſtändiges Leben.

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[55/0061] Eine andere Vermehrungsweiſe iſt die durch Theilung, welche beſonders bei den Infuſionsthierchen häufig vorkommt. Ein Thier, [Abbildung Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17. Glockenthierchen (Vorticella), die ſich durch Theilung und Knospung fortpflanzen. Das Thierchen Fig. 15 iſt eben in der Theilung begriffen, der Kern b iſt ſchon voll- kommen doppelt; Fig. 16 will ſich von ſeinem Stiele loslöſen; Fig. 17 bildet an der Baſis des Stieles eine ſeitliche Knospe, die noch un- vollkommen iſt. Bei allen dreien iſt a der Mund mit der Wimperkrone, b der Kern, d die gefüllten Magenblaſen, e die contractile Blaſe, f der Stiel, i der acceſſoriſche Wimper- kranz, den die ſich loslöſenden Individuen wäh- rend ihrer freien Beweglichkeit haben.] welches bis dahin ein ſelbſtſtän- diges Leben führte und keine Spur eines ſymmetriſchen Baues zeigte, läßt plötzlich eine Rinne oder Furche oder eine ſonſtige Verän- derung in ſeinem Inneren gewah- ren, welche ſich bis zu einer Thei- lung in zwei, meiſtentheils gleiche Hälften ausbildet — eine Theilung, die zuweilen nach einigen Stunden ſich bei den kaum getrennten Hälf- ten auf’s Neue wiederholen kann. So ſchreitet die Fortpflanzung durch immer fortgeſetzte Theilung der neu entſtandenen Individuen in geometriſcher Weiſe vor, und man weiß aus dem Beiſpiele des Schachbrett’s, zu welch ungeheu- ren Zahlen man auf dieſe Weiſe gelangen kann und nothwendig gelangen muß, wenn nicht ander- weite Hinderniſſe hemmend da- zwiſchen treten. Bei der Theilung ſind die beiden Hälften, in welche das Thier zerfällt, meiſt einander vollkommen gleich. Es findet kein Un- terſchied zwiſchen dem alten und jungen Thiere ſtatt. Anders iſt es bei der Fortpflanzung durch Knospen, die ſich in ſehr verſchiedener Weiſe darſtellen und meiſtens die ſogenannten ſocialen oder geſellſchaft- lichen Formen der Thiere zu Folge haben. An irgend einem Theile des Körpers, bald an dem vorderen Ende, bald an der Seite, bald an dem hinteren Ende zeigt ſich ein Auswuchs, der Anfangs mit dem Körper des Mutterthieres in dem innigſten Zuſammenhange ſteht. Die allgemeine Ernährungsflüſſigkeit cirkulirt aus dem Körper des Mutter- thieres in die Höhlung der Knospe. Dieſe ſcheint anfangs nur ein zufäl- liger, von frühern Forſchern oft für krankhaft gehaltener Auswuchs. Die Knospe gewinnt nach und nach ein zunehmend ſelbſtſtändiges Leben.

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/61>, abgerufen am 04.12.2024.