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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Den Nachweis gegen die geschlechtslose Urzeugung der Eingewei-
dewürmer auf Kosten der Thiere, welche sie bewohnen, hat man auf
andere Weise zu liefern gesucht. Einestheils erreicht bei den meisten
Gattungen derselben die Produktion von Eiern und Keimen wahrhaft
fabelhafte Proportionen, so daß Millionen dieser Eier und Keime
zu Grunde gehen können, ohne daß deßhalb die Art vernichtet würde.
Dann hat man die meist mikroskopischen Eier und Jungen auf ihren
dunkelen Wegen verfolgt; man hat gesehen, daß die staunenswerthesten
Verwandlungen durchlaufen werden; daß oft derselbe Schmarotzerwurm
angewiesen ist während seines Lebens in verschiedenen Gestalten ver-
schiedene Thiere zu bewohnen; daß viele Würmer eine Zeitlang frei sind
und sich von Außen her in ihre Wohnthiere einbohren -- kurz man
hat eine Menge von Wegen entdeckt, auf welchen diese Eingeweidewür-
mer an ihre Wohnsitze gelangen und von denen man früher gar keine
Ahnung hatte. Täglich vervielfältigen sich diese Forschungen, und wenn sie
auch noch kein vollständiges Licht verbreiten, so geben sie doch Fingerzeige
und Analogieen genug, durch welche man alle paradoxen Erscheinungen
auf diesem Gebiete weit natürlicher und ungezwungener erklären kann,
als durch die Annahme einer Urzeugung der Eingeweidewürmer auf
Kosten ihrer Wohnthiere.

Wir verwerfen also gänzlich und unbedingt die sogenannte Ur-
zeugung als ein Hirngespinnst, oder vielmehr als einen theoretischen
Deckmantel für unsere factische Unwissenheit. Jedes thierische Wesen,
welches existirt, ist für uns das Produkt der Fortpflanzung von an-
deren Wesen, welche ihm ähnlich waren. Uns vorbehaltend bei der
Betrachtung der einzelnen Thierklassen näher auf die Einzelnheiten
einzugehen, müssen wir hier einen Blick auf die Fortpflanzungsweisen
der Thiere im Allgemeinen richten.

Die geschlechtslose Zeugung kommt, wie wir schon in dem
vorigen Briefe bemerkten, hauptsächlich nur in den niedrigsten Stufen
der einzelnen Organisationstypen vor und auch hier wieder in sehr
verschiedener Art und Weise. Es gibt Thiere, deren Gesammtorgani-
sation indeß noch nicht so weit erforscht ist, um ein genügendes Ur-
theil abgeben zu können, deren Körper nach einer gewissen Dauer
seiner Existenz, sich in eine Unzahl von Keimkörnern auflöst, die wie
es scheint, dazu bestimmt sind, jedes sich zu einem neuen Individuum
zu gestalten. Das Mutterthier geht hier bei der Erzeugung seiner
Keime zu Grunde, und die Keime selbst streuen sich, wie es scheint, nach
verschiedenen Richtungen aus, um ein neues selbstständiges Leben zu
beginnen.


Den Nachweis gegen die geſchlechtsloſe Urzeugung der Eingewei-
dewürmer auf Koſten der Thiere, welche ſie bewohnen, hat man auf
andere Weiſe zu liefern geſucht. Einestheils erreicht bei den meiſten
Gattungen derſelben die Produktion von Eiern und Keimen wahrhaft
fabelhafte Proportionen, ſo daß Millionen dieſer Eier und Keime
zu Grunde gehen können, ohne daß deßhalb die Art vernichtet würde.
Dann hat man die meiſt mikroſkopiſchen Eier und Jungen auf ihren
dunkelen Wegen verfolgt; man hat geſehen, daß die ſtaunenswertheſten
Verwandlungen durchlaufen werden; daß oft derſelbe Schmarotzerwurm
angewieſen iſt während ſeines Lebens in verſchiedenen Geſtalten ver-
ſchiedene Thiere zu bewohnen; daß viele Würmer eine Zeitlang frei ſind
und ſich von Außen her in ihre Wohnthiere einbohren — kurz man
hat eine Menge von Wegen entdeckt, auf welchen dieſe Eingeweidewür-
mer an ihre Wohnſitze gelangen und von denen man früher gar keine
Ahnung hatte. Täglich vervielfältigen ſich dieſe Forſchungen, und wenn ſie
auch noch kein vollſtändiges Licht verbreiten, ſo geben ſie doch Fingerzeige
und Analogieen genug, durch welche man alle paradoxen Erſcheinungen
auf dieſem Gebiete weit natürlicher und ungezwungener erklären kann,
als durch die Annahme einer Urzeugung der Eingeweidewürmer auf
Koſten ihrer Wohnthiere.

Wir verwerfen alſo gänzlich und unbedingt die ſogenannte Ur-
zeugung als ein Hirngeſpinnſt, oder vielmehr als einen theoretiſchen
Deckmantel für unſere factiſche Unwiſſenheit. Jedes thieriſche Weſen,
welches exiſtirt, iſt für uns das Produkt der Fortpflanzung von an-
deren Weſen, welche ihm ähnlich waren. Uns vorbehaltend bei der
Betrachtung der einzelnen Thierklaſſen näher auf die Einzelnheiten
einzugehen, müſſen wir hier einen Blick auf die Fortpflanzungsweiſen
der Thiere im Allgemeinen richten.

Die geſchlechtsloſe Zeugung kommt, wie wir ſchon in dem
vorigen Briefe bemerkten, hauptſächlich nur in den niedrigſten Stufen
der einzelnen Organiſationstypen vor und auch hier wieder in ſehr
verſchiedener Art und Weiſe. Es gibt Thiere, deren Geſammtorgani-
ſation indeß noch nicht ſo weit erforſcht iſt, um ein genügendes Ur-
theil abgeben zu können, deren Körper nach einer gewiſſen Dauer
ſeiner Exiſtenz, ſich in eine Unzahl von Keimkörnern auflöſt, die wie
es ſcheint, dazu beſtimmt ſind, jedes ſich zu einem neuen Individuum
zu geſtalten. Das Mutterthier geht hier bei der Erzeugung ſeiner
Keime zu Grunde, und die Keime ſelbſt ſtreuen ſich, wie es ſcheint, nach
verſchiedenen Richtungen aus, um ein neues ſelbſtſtändiges Leben zu
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[54/0060] Den Nachweis gegen die geſchlechtsloſe Urzeugung der Eingewei- dewürmer auf Koſten der Thiere, welche ſie bewohnen, hat man auf andere Weiſe zu liefern geſucht. Einestheils erreicht bei den meiſten Gattungen derſelben die Produktion von Eiern und Keimen wahrhaft fabelhafte Proportionen, ſo daß Millionen dieſer Eier und Keime zu Grunde gehen können, ohne daß deßhalb die Art vernichtet würde. Dann hat man die meiſt mikroſkopiſchen Eier und Jungen auf ihren dunkelen Wegen verfolgt; man hat geſehen, daß die ſtaunenswertheſten Verwandlungen durchlaufen werden; daß oft derſelbe Schmarotzerwurm angewieſen iſt während ſeines Lebens in verſchiedenen Geſtalten ver- ſchiedene Thiere zu bewohnen; daß viele Würmer eine Zeitlang frei ſind und ſich von Außen her in ihre Wohnthiere einbohren — kurz man hat eine Menge von Wegen entdeckt, auf welchen dieſe Eingeweidewür- mer an ihre Wohnſitze gelangen und von denen man früher gar keine Ahnung hatte. Täglich vervielfältigen ſich dieſe Forſchungen, und wenn ſie auch noch kein vollſtändiges Licht verbreiten, ſo geben ſie doch Fingerzeige und Analogieen genug, durch welche man alle paradoxen Erſcheinungen auf dieſem Gebiete weit natürlicher und ungezwungener erklären kann, als durch die Annahme einer Urzeugung der Eingeweidewürmer auf Koſten ihrer Wohnthiere. Wir verwerfen alſo gänzlich und unbedingt die ſogenannte Ur- zeugung als ein Hirngeſpinnſt, oder vielmehr als einen theoretiſchen Deckmantel für unſere factiſche Unwiſſenheit. Jedes thieriſche Weſen, welches exiſtirt, iſt für uns das Produkt der Fortpflanzung von an- deren Weſen, welche ihm ähnlich waren. Uns vorbehaltend bei der Betrachtung der einzelnen Thierklaſſen näher auf die Einzelnheiten einzugehen, müſſen wir hier einen Blick auf die Fortpflanzungsweiſen der Thiere im Allgemeinen richten. Die geſchlechtsloſe Zeugung kommt, wie wir ſchon in dem vorigen Briefe bemerkten, hauptſächlich nur in den niedrigſten Stufen der einzelnen Organiſationstypen vor und auch hier wieder in ſehr verſchiedener Art und Weiſe. Es gibt Thiere, deren Geſammtorgani- ſation indeß noch nicht ſo weit erforſcht iſt, um ein genügendes Ur- theil abgeben zu können, deren Körper nach einer gewiſſen Dauer ſeiner Exiſtenz, ſich in eine Unzahl von Keimkörnern auflöſt, die wie es ſcheint, dazu beſtimmt ſind, jedes ſich zu einem neuen Individuum zu geſtalten. Das Mutterthier geht hier bei der Erzeugung ſeiner Keime zu Grunde, und die Keime ſelbſt ſtreuen ſich, wie es ſcheint, nach verſchiedenen Richtungen aus, um ein neues ſelbſtſtändiges Leben zu beginnen.

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/60>, abgerufen am 30.04.2024.