Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntniß durchaus nicht hinreicht, um mit vollkommener Sicherheit die
Herkunft der Organismen darzuthun, welche man in Aufgüssen und
in anderen thierischen Körpern findet, so war doch ein einziger, aus
physikalischen Grundsätzen hervorgehender Versuch hinreichend, die Nich-
tigkeit des ganzen naturphilosophischen Gebäudes darzuthun. Ein
Aufguß, den man kocht, also zu einer Temperatur bringt, bei welcher
das thierische Eiweiß gerinnt und zu jeder fernern Gestaltung unfähig
wird, ein solcher Aufguß bringt niemals organische Wesen hervor,
wenn er vollkommen luftdicht verschlossen wird; läßt man ihn dagegen
offen stehen, so erzeugen sich dieselben Wesen in dem Aufgusse, als
wenn er ungekocht geblieben wäre. Es schien hierin der Beweis zu
liegen, daß der freie Zutritt der Luft es sei, welcher die Urzeugung bedinge.
Man suchte nun die Luft von jeder organischen Beimischung zu reini-
gen, ohne jedoch ihre Zusammensetzung zu verändern. Man kochte den
Aufguß in einem Kolben, durch welchen man einen Luftstrom leiten
konnte, der vorher durch Schwefelsäure oder irgend eine andere Sub-
stanz strich, welche alle in der Luft mitgeführten organischen Stoffe
zerstörte, ohne der Zusammensetzung der Luft selbst Eintrag zu thun.
Man ließ diesen Apparat wochenlang, monatelang in Funktion und
erneuerte täglich die Luft, indem man sie durch Schwefelsäure streichen
ließ, ohne den mindesten Erfolg. Es bildeten sich niemals organische
Wesen in einem solchen Apparate. In einem anderen Kolben aber,
dessen Inhalt vollkommen gleich behandelt war, dessen Erneuerungs-
luft man aber nicht durch Schwefelsäure oder Aetzkali, sondern nur
durch eine leere Glasröhre streichen ließ, also ihrer organischen Ein-
schlüsse nicht beraubte, wimmelte es bald von mikroskopischen Pflanzen
und Thieren aller Art. Es war somit der thatsächliche Beweis gelie-
fert, daß nach Anwendung solcher Mittel, welche die Lebensfähigkeit
organischer Körper zerstören, auch bei Anwesenheit von organischer
Substanz, Luft und Wasser, keine neuen Wesen entstehen, und es
war der mittelbare Nachweis geliefert, daß in der Luft, in den soge-
nannten Sonnenstäubchen, trockene Keime und Wesen der niedersten Art
den Aufgüssen zugeführt wurden, in welchen sie einen geeigneten Boden
zu ihrer Entwickelung und Fortpflanzung hatten. In der That ist die
Fortpflanzungsfähigkeit der Thiere und Pflanzen, die sich in solchen
Aufgüssen finden, ungeheuer, so daß ein einziges solches Individuum
in kurzer Zeit eine Nachkommenschaft von Millionen besitzen und durch
dieselbe eine bedeutende Menge von Flüssigkeit bevölkern kann.


Kenntniß durchaus nicht hinreicht, um mit vollkommener Sicherheit die
Herkunft der Organismen darzuthun, welche man in Aufgüſſen und
in anderen thieriſchen Körpern findet, ſo war doch ein einziger, aus
phyſikaliſchen Grundſätzen hervorgehender Verſuch hinreichend, die Nich-
tigkeit des ganzen naturphiloſophiſchen Gebäudes darzuthun. Ein
Aufguß, den man kocht, alſo zu einer Temperatur bringt, bei welcher
das thieriſche Eiweiß gerinnt und zu jeder fernern Geſtaltung unfähig
wird, ein ſolcher Aufguß bringt niemals organiſche Weſen hervor,
wenn er vollkommen luftdicht verſchloſſen wird; läßt man ihn dagegen
offen ſtehen, ſo erzeugen ſich dieſelben Weſen in dem Aufguſſe, als
wenn er ungekocht geblieben wäre. Es ſchien hierin der Beweis zu
liegen, daß der freie Zutritt der Luft es ſei, welcher die Urzeugung bedinge.
Man ſuchte nun die Luft von jeder organiſchen Beimiſchung zu reini-
gen, ohne jedoch ihre Zuſammenſetzung zu verändern. Man kochte den
Aufguß in einem Kolben, durch welchen man einen Luftſtrom leiten
konnte, der vorher durch Schwefelſäure oder irgend eine andere Sub-
ſtanz ſtrich, welche alle in der Luft mitgeführten organiſchen Stoffe
zerſtörte, ohne der Zuſammenſetzung der Luft ſelbſt Eintrag zu thun.
Man ließ dieſen Apparat wochenlang, monatelang in Funktion und
erneuerte täglich die Luft, indem man ſie durch Schwefelſäure ſtreichen
ließ, ohne den mindeſten Erfolg. Es bildeten ſich niemals organiſche
Weſen in einem ſolchen Apparate. In einem anderen Kolben aber,
deſſen Inhalt vollkommen gleich behandelt war, deſſen Erneuerungs-
luft man aber nicht durch Schwefelſäure oder Aetzkali, ſondern nur
durch eine leere Glasröhre ſtreichen ließ, alſo ihrer organiſchen Ein-
ſchlüſſe nicht beraubte, wimmelte es bald von mikroſkopiſchen Pflanzen
und Thieren aller Art. Es war ſomit der thatſächliche Beweis gelie-
fert, daß nach Anwendung ſolcher Mittel, welche die Lebensfähigkeit
organiſcher Körper zerſtören, auch bei Anweſenheit von organiſcher
Subſtanz, Luft und Waſſer, keine neuen Weſen entſtehen, und es
war der mittelbare Nachweis geliefert, daß in der Luft, in den ſoge-
nannten Sonnenſtäubchen, trockene Keime und Weſen der niederſten Art
den Aufgüſſen zugeführt wurden, in welchen ſie einen geeigneten Boden
zu ihrer Entwickelung und Fortpflanzung hatten. In der That iſt die
Fortpflanzungsfähigkeit der Thiere und Pflanzen, die ſich in ſolchen
Aufgüſſen finden, ungeheuer, ſo daß ein einziges ſolches Individuum
in kurzer Zeit eine Nachkommenſchaft von Millionen beſitzen und durch
dieſelbe eine bedeutende Menge von Flüſſigkeit bevölkern kann.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0059" n="53"/>
Kenntniß durchaus nicht hinreicht, um mit vollkommener Sicherheit die<lb/>
Herkunft der Organismen darzuthun, welche man in Aufgü&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
in anderen thieri&#x017F;chen Körpern findet, &#x017F;o war doch ein einziger, aus<lb/>
phy&#x017F;ikali&#x017F;chen Grund&#x017F;ätzen hervorgehender Ver&#x017F;uch hinreichend, die Nich-<lb/>
tigkeit des ganzen naturphilo&#x017F;ophi&#x017F;chen Gebäudes darzuthun. Ein<lb/>
Aufguß, den man kocht, al&#x017F;o zu einer Temperatur bringt, bei welcher<lb/>
das thieri&#x017F;che Eiweiß gerinnt und zu jeder fernern Ge&#x017F;taltung unfähig<lb/>
wird, ein &#x017F;olcher Aufguß bringt niemals organi&#x017F;che We&#x017F;en hervor,<lb/>
wenn er vollkommen luftdicht ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird; läßt man ihn dagegen<lb/>
offen &#x017F;tehen, &#x017F;o erzeugen &#x017F;ich die&#x017F;elben We&#x017F;en in dem Aufgu&#x017F;&#x017F;e, als<lb/>
wenn er ungekocht geblieben wäre. Es &#x017F;chien hierin der Beweis zu<lb/>
liegen, daß der freie Zutritt der Luft es &#x017F;ei, welcher die Urzeugung bedinge.<lb/>
Man &#x017F;uchte nun die Luft von jeder organi&#x017F;chen Beimi&#x017F;chung zu reini-<lb/>
gen, ohne jedoch ihre Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung zu verändern. Man kochte den<lb/>
Aufguß in einem Kolben, durch welchen man einen Luft&#x017F;trom leiten<lb/>
konnte, der vorher durch Schwefel&#x017F;äure oder irgend eine andere Sub-<lb/>
&#x017F;tanz &#x017F;trich, welche alle in der Luft mitgeführten organi&#x017F;chen Stoffe<lb/>
zer&#x017F;törte, ohne der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung der Luft &#x017F;elb&#x017F;t Eintrag zu thun.<lb/>
Man ließ die&#x017F;en Apparat wochenlang, monatelang in Funktion und<lb/>
erneuerte täglich die Luft, indem man &#x017F;ie durch Schwefel&#x017F;äure &#x017F;treichen<lb/>
ließ, ohne den minde&#x017F;ten Erfolg. Es bildeten &#x017F;ich niemals organi&#x017F;che<lb/>
We&#x017F;en in einem &#x017F;olchen Apparate. In einem anderen Kolben aber,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Inhalt vollkommen gleich behandelt war, de&#x017F;&#x017F;en Erneuerungs-<lb/>
luft man aber nicht durch Schwefel&#x017F;äure oder Aetzkali, &#x017F;ondern nur<lb/>
durch eine leere Glasröhre &#x017F;treichen ließ, al&#x017F;o ihrer organi&#x017F;chen Ein-<lb/>
&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e nicht beraubte, wimmelte es bald von mikro&#x017F;kopi&#x017F;chen Pflanzen<lb/>
und Thieren aller Art. Es war &#x017F;omit der that&#x017F;ächliche Beweis gelie-<lb/>
fert, daß nach Anwendung &#x017F;olcher Mittel, welche die Lebensfähigkeit<lb/>
organi&#x017F;cher Körper zer&#x017F;tören, auch bei Anwe&#x017F;enheit von organi&#x017F;cher<lb/>
Sub&#x017F;tanz, Luft und Wa&#x017F;&#x017F;er, keine neuen We&#x017F;en ent&#x017F;tehen, und es<lb/>
war der mittelbare Nachweis geliefert, daß in der Luft, in den &#x017F;oge-<lb/>
nannten Sonnen&#x017F;täubchen, trockene Keime und We&#x017F;en der nieder&#x017F;ten Art<lb/>
den Aufgü&#x017F;&#x017F;en zugeführt wurden, in welchen &#x017F;ie einen geeigneten Boden<lb/>
zu ihrer Entwickelung und Fortpflanzung hatten. In der That i&#x017F;t die<lb/>
Fortpflanzungsfähigkeit der Thiere und Pflanzen, die &#x017F;ich in &#x017F;olchen<lb/>
Aufgü&#x017F;&#x017F;en finden, ungeheuer, &#x017F;o daß ein einziges &#x017F;olches Individuum<lb/>
in kurzer Zeit eine Nachkommen&#x017F;chaft von Millionen be&#x017F;itzen und durch<lb/>
die&#x017F;elbe eine bedeutende Menge von Flü&#x017F;&#x017F;igkeit bevölkern kann.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0059] Kenntniß durchaus nicht hinreicht, um mit vollkommener Sicherheit die Herkunft der Organismen darzuthun, welche man in Aufgüſſen und in anderen thieriſchen Körpern findet, ſo war doch ein einziger, aus phyſikaliſchen Grundſätzen hervorgehender Verſuch hinreichend, die Nich- tigkeit des ganzen naturphiloſophiſchen Gebäudes darzuthun. Ein Aufguß, den man kocht, alſo zu einer Temperatur bringt, bei welcher das thieriſche Eiweiß gerinnt und zu jeder fernern Geſtaltung unfähig wird, ein ſolcher Aufguß bringt niemals organiſche Weſen hervor, wenn er vollkommen luftdicht verſchloſſen wird; läßt man ihn dagegen offen ſtehen, ſo erzeugen ſich dieſelben Weſen in dem Aufguſſe, als wenn er ungekocht geblieben wäre. Es ſchien hierin der Beweis zu liegen, daß der freie Zutritt der Luft es ſei, welcher die Urzeugung bedinge. Man ſuchte nun die Luft von jeder organiſchen Beimiſchung zu reini- gen, ohne jedoch ihre Zuſammenſetzung zu verändern. Man kochte den Aufguß in einem Kolben, durch welchen man einen Luftſtrom leiten konnte, der vorher durch Schwefelſäure oder irgend eine andere Sub- ſtanz ſtrich, welche alle in der Luft mitgeführten organiſchen Stoffe zerſtörte, ohne der Zuſammenſetzung der Luft ſelbſt Eintrag zu thun. Man ließ dieſen Apparat wochenlang, monatelang in Funktion und erneuerte täglich die Luft, indem man ſie durch Schwefelſäure ſtreichen ließ, ohne den mindeſten Erfolg. Es bildeten ſich niemals organiſche Weſen in einem ſolchen Apparate. In einem anderen Kolben aber, deſſen Inhalt vollkommen gleich behandelt war, deſſen Erneuerungs- luft man aber nicht durch Schwefelſäure oder Aetzkali, ſondern nur durch eine leere Glasröhre ſtreichen ließ, alſo ihrer organiſchen Ein- ſchlüſſe nicht beraubte, wimmelte es bald von mikroſkopiſchen Pflanzen und Thieren aller Art. Es war ſomit der thatſächliche Beweis gelie- fert, daß nach Anwendung ſolcher Mittel, welche die Lebensfähigkeit organiſcher Körper zerſtören, auch bei Anweſenheit von organiſcher Subſtanz, Luft und Waſſer, keine neuen Weſen entſtehen, und es war der mittelbare Nachweis geliefert, daß in der Luft, in den ſoge- nannten Sonnenſtäubchen, trockene Keime und Weſen der niederſten Art den Aufgüſſen zugeführt wurden, in welchen ſie einen geeigneten Boden zu ihrer Entwickelung und Fortpflanzung hatten. In der That iſt die Fortpflanzungsfähigkeit der Thiere und Pflanzen, die ſich in ſolchen Aufgüſſen finden, ungeheuer, ſo daß ein einziges ſolches Individuum in kurzer Zeit eine Nachkommenſchaft von Millionen beſitzen und durch dieſelbe eine bedeutende Menge von Flüſſigkeit bevölkern kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/59
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/59>, abgerufen am 04.12.2024.