Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1229.001 Es ist klar, daß die Metapher und trotz dem auseinanderhaltenden pvi_1229.032
pvi_1229.001 Es ist klar, daß die Metapher und trotz dem auseinanderhaltenden pvi_1229.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0091" n="1229"/><lb n="pvi_1229.001"/> bangen, schweren Gedanken nennt, so ist der Gedanke eben in seiner <lb n="pvi_1229.002"/> sinnlichen Erscheinung genommen, wie er über das Angesicht hinzieht, und <lb n="pvi_1229.003"/> dahinter liegt überdieß noch die Personification, daß der Gedanke wandelt. <lb n="pvi_1229.004"/> Man wird überhaupt finden, daß man alle wirklich aufsteigenden Vergleichungen <lb n="pvi_1229.005"/> erst umkehrt und dann erst wieder in die gegebene Stellung <lb n="pvi_1229.006"/> bringt. Man könnte z. B. sagen: dieses Fackellicht gleicht Shakespeare's <lb n="pvi_1229.007"/> Styl; dann wird der Zuhörer sich besinnen, warum man das poetische <lb n="pvi_1229.008"/> Colorit dieses Dichters mit dem flackernden, in's Dunkel unruhig glühenden <lb n="pvi_1229.009"/> Feuer der Fackeln vergleichen kann, und hierauf wird er mit der Vergleichung <lb n="pvi_1229.010"/> im umgekehrten Weg einverstanden sein. Der Geist läßt sich mit dem lichtvoll <lb n="pvi_1229.011"/> Durchsichtigen vergleichen; ich kann nun umgekehrt von einem strahlenden, <lb n="pvi_1229.012"/> durchleuchteten Wasserspiegel sagen: das ist, wie Geist. Man steigt von <lb n="pvi_1229.013"/> der Materie auf, um den Geist in sie hereinzusehen. Es ist eine Art von <lb n="pvi_1229.014"/> Genugthuung, die das Sinnliche dafür erhält, daß es sonst immer nur <lb n="pvi_1229.015"/> als Gegenbild dient; der tiefere Grund und Trieb ist immer der, daß die <lb n="pvi_1229.016"/> Phantasie von allen Puncten ausgeht, um Geist und Materie wechselnd zu <lb n="pvi_1229.017"/> durchdringen, den Gegensatz von allen Seiten anfaßt, diese zu beseelen und <lb n="pvi_1229.018"/> jenen zu verkörpern. Doch ist das aufsteigende Vergleichen zu sparen und <lb n="pvi_1229.019"/> behutsam zu verwenden; es wird leicht geschraubt, gemacht, sublimirt. Lenau <lb n="pvi_1229.020"/> z. B. hat das Maaß weit überschritten, er erscheint auch darin unnatürlich <lb n="pvi_1229.021"/> überhitzt und vernichtet oft eine schöne Anschauung durch das geistige Gegenbild. <lb n="pvi_1229.022"/> So wird im Gedichte: die nächtliche Fahrt, das düster schöne Bild <lb n="pvi_1229.023"/> der durch das nächtliche Schneegefilde im Schlitten geführten Leiche durch <lb n="pvi_1229.024"/> die Vergleichung mit dem Schicksale Polens plötzlich zur Allegorie, zur <lb n="pvi_1229.025"/> bloßen Hülse herabgesetzt. Die aufsteigende Vergleichung wird leicht wider <lb n="pvi_1229.026"/> Willen komisch, wenn der Sprung zu stark, namentlich wenn er moralisirend <lb n="pvi_1229.027"/> ist. Kant bewunderte noch den Vers: „die Sonne quoll hervor, wie <lb n="pvi_1229.028"/> Ruh' aus Tugend quillt“, worüber wir jetzt lächeln. Die ganze Gattung <lb n="pvi_1229.029"/> eignet sich aber vortrefflich für die absichtliche Komik (er sah aus wie eine <lb n="pvi_1229.030"/> Predigt, sie ist ein Lehrgedicht und dergl.).</hi> </p> <lb n="pvi_1229.031"/> <p> <hi rendition="#et"><anchor xml:id="vi045"/> Es ist klar, daß die Metapher und trotz dem auseinanderhaltenden <lb n="pvi_1229.032"/> „Wie“ selbst die Vergleichung in ihrer höchsten Jnnigkeit und Energie das <lb n="pvi_1229.033"/> Bild, wenn es ein beseeltes ist, nicht neben dem Verglichenen stehen lassen, <lb n="pvi_1229.034"/> sondern in dieses herüberziehen, als wäre es seine Seele. <anchor xml:id="vi046"/> <note targetEnd="vi046" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-7-1-3 #m1-8-1-2" target="vi045"/> <anchor xml:id="vi047"/> Wir sind zu der <lb n="pvi_1229.035"/> Personification von der Synekdoche übergegangen und haben bei den Bemerkungen <lb n="pvi_1229.036"/> über allgemeine Beseelung schon Solches beigebracht, was zunächst <lb n="pvi_1229.037"/> metaphorisch, tiefer genommen Beseelung, beseelende Personbildung ist. Die <lb n="pvi_1229.038"/> Synekdoche setzt das Allgemeine der eigenen Sphäre des Gegenstands für <lb n="pvi_1229.039"/> diesen; Gleichniß und Metapher bringen ihr Bild aus fremder Sphäre und <lb n="pvi_1229.040"/> doch vollbringen auch sie einen freien augenblicklichen Schein, als wäre das <lb n="pvi_1229.041"/> Eine <hi rendition="#g">im</hi> Andern gegenwärtig. <anchor xml:id="vi048"/> <note targetEnd="vi048" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-7-1-3 #m1-8-1-5" target="vi047"> Parallelkategorie: Synekdoche, mögl. auch Vergleich </note> <anchor xml:id="vi049"/> Wenn Exeter in Heinrich <hi rendition="#aq">V</hi> sagt: meine </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1229/0091]
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bangen, schweren Gedanken nennt, so ist der Gedanke eben in seiner pvi_1229.002
sinnlichen Erscheinung genommen, wie er über das Angesicht hinzieht, und pvi_1229.003
dahinter liegt überdieß noch die Personification, daß der Gedanke wandelt. pvi_1229.004
Man wird überhaupt finden, daß man alle wirklich aufsteigenden Vergleichungen pvi_1229.005
erst umkehrt und dann erst wieder in die gegebene Stellung pvi_1229.006
bringt. Man könnte z. B. sagen: dieses Fackellicht gleicht Shakespeare's pvi_1229.007
Styl; dann wird der Zuhörer sich besinnen, warum man das poetische pvi_1229.008
Colorit dieses Dichters mit dem flackernden, in's Dunkel unruhig glühenden pvi_1229.009
Feuer der Fackeln vergleichen kann, und hierauf wird er mit der Vergleichung pvi_1229.010
im umgekehrten Weg einverstanden sein. Der Geist läßt sich mit dem lichtvoll pvi_1229.011
Durchsichtigen vergleichen; ich kann nun umgekehrt von einem strahlenden, pvi_1229.012
durchleuchteten Wasserspiegel sagen: das ist, wie Geist. Man steigt von pvi_1229.013
der Materie auf, um den Geist in sie hereinzusehen. Es ist eine Art von pvi_1229.014
Genugthuung, die das Sinnliche dafür erhält, daß es sonst immer nur pvi_1229.015
als Gegenbild dient; der tiefere Grund und Trieb ist immer der, daß die pvi_1229.016
Phantasie von allen Puncten ausgeht, um Geist und Materie wechselnd zu pvi_1229.017
durchdringen, den Gegensatz von allen Seiten anfaßt, diese zu beseelen und pvi_1229.018
jenen zu verkörpern. Doch ist das aufsteigende Vergleichen zu sparen und pvi_1229.019
behutsam zu verwenden; es wird leicht geschraubt, gemacht, sublimirt. Lenau pvi_1229.020
z. B. hat das Maaß weit überschritten, er erscheint auch darin unnatürlich pvi_1229.021
überhitzt und vernichtet oft eine schöne Anschauung durch das geistige Gegenbild. pvi_1229.022
So wird im Gedichte: die nächtliche Fahrt, das düster schöne Bild pvi_1229.023
der durch das nächtliche Schneegefilde im Schlitten geführten Leiche durch pvi_1229.024
die Vergleichung mit dem Schicksale Polens plötzlich zur Allegorie, zur pvi_1229.025
bloßen Hülse herabgesetzt. Die aufsteigende Vergleichung wird leicht wider pvi_1229.026
Willen komisch, wenn der Sprung zu stark, namentlich wenn er moralisirend pvi_1229.027
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Ruh' aus Tugend quillt“, worüber wir jetzt lächeln. Die ganze Gattung pvi_1229.029
eignet sich aber vortrefflich für die absichtliche Komik (er sah aus wie eine pvi_1229.030
Predigt, sie ist ein Lehrgedicht und dergl.).
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Es ist klar, daß die Metapher und trotz dem auseinanderhaltenden pvi_1229.032
„Wie“ selbst die Vergleichung in ihrer höchsten Jnnigkeit und Energie das pvi_1229.033
Bild, wenn es ein beseeltes ist, nicht neben dem Verglichenen stehen lassen, pvi_1229.034
sondern in dieses herüberziehen, als wäre es seine Seele. Wir sind zu der pvi_1229.035
Personification von der Synekdoche übergegangen und haben bei den Bemerkungen pvi_1229.036
über allgemeine Beseelung schon Solches beigebracht, was zunächst pvi_1229.037
metaphorisch, tiefer genommen Beseelung, beseelende Personbildung ist. Die pvi_1229.038
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