Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1228.001 Was nun das Verhältniß der Sphären des Verglichenen und zur pvi_1228.005
pvi_1228.001 Was nun das Verhältniß der Sphären des Verglichenen und zur pvi_1228.005 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0090" n="1228"/><lb n="pvi_1228.001"/> Stelle der Vergleichungsformel die mimische Darstellung tritt, wie in der <lb n="pvi_1228.002"/> Vergleichung der Krone mit zwei Eimern in Richard <hi rendition="#aq">II</hi>, in so vielen <lb n="pvi_1228.003"/> classischen und namentlich orientalischen Erzählungen.</hi> </p> <lb n="pvi_1228.004"/> <p> <hi rendition="#et"> Was nun das Verhältniß der Sphären des Verglichenen und zur <lb n="pvi_1228.005"/> Vergleichung Hergeholten betrifft, so gibt es, genau genommen, nur Einen <lb n="pvi_1228.006"/> wesentlichen Unterschied: es wird Engeres mit Weiterem verglichen, vom Einzelnen <lb n="pvi_1228.007"/> zum Allgemeinen, vom Sinnlichen zum beseelteren Sinnlichen und zum <lb n="pvi_1228.008"/> Geist aufgestiegen oder umgekehrt vom Allgemeinen, Geistigen zum sinnlich <lb n="pvi_1228.009"/> Geschloßneren übergegangen. Wenn Sinnliches mit Sinnlichem verglichen <lb n="pvi_1228.010"/> wird, so wird man immer finden, daß entweder der verglichene Gegenstand <lb n="pvi_1228.011"/> unorganisch, unbewegt, oder unbeseelt organisch, das Bild bewegt, organisch, <lb n="pvi_1228.012"/> beseelt ist (wie wenn z. B. treibende Wolken mit gejagten Rossen verglichen <lb n="pvi_1228.013"/> werden), oder umgekehrt (wie wenn ich ein feurig bewegtes Roß mit Wellen, <lb n="pvi_1228.014"/> seine Mähne mit deren schäumendem Kamm vergleiche); und ähnlich wird, <lb n="pvi_1228.015"/> wenn Geistiges in Geistigem sein Gegenbild findet, der Weg der Vergleichung <lb n="pvi_1228.016"/> vom Jndividuelleren, von dem, was <hi rendition="#g">im</hi> Geistigen relativ sinnlich ist, in <lb n="pvi_1228.017"/> das geistig Allgemeinere, das reiner Geistige gehen oder umgekehrt, es wird <lb n="pvi_1228.018"/> namentlich auf der einen Seite Geistiges mit seiner sinnlichen Aeußerung <lb n="pvi_1228.019"/> zusammengenommen, auf der andern diese abgezogen bleiben (wie wenn <lb n="pvi_1228.020"/> eine reine Empfindung mit einem Gebete, eine rasche Handlung mit der <lb n="pvi_1228.021"/> Schnelle eines Gedankens verglichen wird). Der natürliche und gewöhnlichere <lb n="pvi_1228.022"/> Weg ist nun, wie sich aus dem Gesetze der Jndividualisirung von <lb n="pvi_1228.023"/> selbst ergibt, der vom Allgemeinen zum Besondern, vom Geiste zum Körper, <lb n="pvi_1228.024"/> vom Menschlichen zu der ungeistigen Natur. Allein man hüte sich, diese <lb n="pvi_1228.025"/> Begriffe ungenau zu nehmen; sie werden nach Umständen schwierig, was <lb n="pvi_1228.026"/> zunächst absteigende Vergleichung scheint, ist, genauer betrachtet, aufsteigende, <lb n="pvi_1228.027"/> die aufsteigende aber hat im Bilde etwas relativ Absteigendes. Das Natürliche, <lb n="pvi_1228.028"/> das Körperliche, kann von unbestimmter Weite, ungeschlossener Gestaltung <lb n="pvi_1228.029"/> sein, dann sucht der Dichter das anschaulich Bestimmte, individuell <lb n="pvi_1228.030"/> Geschlossene gern im persönlichen Leben, weil dieß individuelle Gestalt hat; <lb n="pvi_1228.031"/> geht er aber nicht von einem Sinnlichen unbestimmter Art zu persönlich <lb n="pvi_1228.032"/> Lebendigem als Ganzem, sondern von einem Besondern, selbst Persönlichen <lb n="pvi_1228.033"/> nur zu einer allgemeinen geistigen Bestimmtheit, einem Zustand, einer <lb n="pvi_1228.034"/> Thätigkeitsform über, so ist der Prozeß verwickelter. Hier wird man nämlich <lb n="pvi_1228.035"/> immer finden, daß vorher das Allgemeine dunkel personificirt wird und <lb n="pvi_1228.036"/> erst auf diesen Vorgang die aufsteigende Vergleichung sich gründet. Wenn <lb n="pvi_1228.037"/> Leontes von Hermione sagt: sie war mild wie Kindheit und wie Gnade, <lb n="pvi_1228.038"/> so schweben diese dem Dichter dunkel wie Personen, wie Götter mit entsprechenden <lb n="pvi_1228.039"/> Zügen vor und mit diesen absoluten Wesen, worin jene Eigenschaften <lb n="pvi_1228.040"/> in unbedingter Reinheit angeschaut sind, wird dann Hermione <lb n="pvi_1228.041"/> verglichen. Wenn Lenau die düstre Wolke einen am Himmelsantlitz wandelnden </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1228/0090]
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Stelle der Vergleichungsformel die mimische Darstellung tritt, wie in der pvi_1228.002
Vergleichung der Krone mit zwei Eimern in Richard II, in so vielen pvi_1228.003
classischen und namentlich orientalischen Erzählungen.
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Was nun das Verhältniß der Sphären des Verglichenen und zur pvi_1228.005
Vergleichung Hergeholten betrifft, so gibt es, genau genommen, nur Einen pvi_1228.006
wesentlichen Unterschied: es wird Engeres mit Weiterem verglichen, vom Einzelnen pvi_1228.007
zum Allgemeinen, vom Sinnlichen zum beseelteren Sinnlichen und zum pvi_1228.008
Geist aufgestiegen oder umgekehrt vom Allgemeinen, Geistigen zum sinnlich pvi_1228.009
Geschloßneren übergegangen. Wenn Sinnliches mit Sinnlichem verglichen pvi_1228.010
wird, so wird man immer finden, daß entweder der verglichene Gegenstand pvi_1228.011
unorganisch, unbewegt, oder unbeseelt organisch, das Bild bewegt, organisch, pvi_1228.012
beseelt ist (wie wenn z. B. treibende Wolken mit gejagten Rossen verglichen pvi_1228.013
werden), oder umgekehrt (wie wenn ich ein feurig bewegtes Roß mit Wellen, pvi_1228.014
seine Mähne mit deren schäumendem Kamm vergleiche); und ähnlich wird, pvi_1228.015
wenn Geistiges in Geistigem sein Gegenbild findet, der Weg der Vergleichung pvi_1228.016
vom Jndividuelleren, von dem, was im Geistigen relativ sinnlich ist, in pvi_1228.017
das geistig Allgemeinere, das reiner Geistige gehen oder umgekehrt, es wird pvi_1228.018
namentlich auf der einen Seite Geistiges mit seiner sinnlichen Aeußerung pvi_1228.019
zusammengenommen, auf der andern diese abgezogen bleiben (wie wenn pvi_1228.020
eine reine Empfindung mit einem Gebete, eine rasche Handlung mit der pvi_1228.021
Schnelle eines Gedankens verglichen wird). Der natürliche und gewöhnlichere pvi_1228.022
Weg ist nun, wie sich aus dem Gesetze der Jndividualisirung von pvi_1228.023
selbst ergibt, der vom Allgemeinen zum Besondern, vom Geiste zum Körper, pvi_1228.024
vom Menschlichen zu der ungeistigen Natur. Allein man hüte sich, diese pvi_1228.025
Begriffe ungenau zu nehmen; sie werden nach Umständen schwierig, was pvi_1228.026
zunächst absteigende Vergleichung scheint, ist, genauer betrachtet, aufsteigende, pvi_1228.027
die aufsteigende aber hat im Bilde etwas relativ Absteigendes. Das Natürliche, pvi_1228.028
das Körperliche, kann von unbestimmter Weite, ungeschlossener Gestaltung pvi_1228.029
sein, dann sucht der Dichter das anschaulich Bestimmte, individuell pvi_1228.030
Geschlossene gern im persönlichen Leben, weil dieß individuelle Gestalt hat; pvi_1228.031
geht er aber nicht von einem Sinnlichen unbestimmter Art zu persönlich pvi_1228.032
Lebendigem als Ganzem, sondern von einem Besondern, selbst Persönlichen pvi_1228.033
nur zu einer allgemeinen geistigen Bestimmtheit, einem Zustand, einer pvi_1228.034
Thätigkeitsform über, so ist der Prozeß verwickelter. Hier wird man nämlich pvi_1228.035
immer finden, daß vorher das Allgemeine dunkel personificirt wird und pvi_1228.036
erst auf diesen Vorgang die aufsteigende Vergleichung sich gründet. Wenn pvi_1228.037
Leontes von Hermione sagt: sie war mild wie Kindheit und wie Gnade, pvi_1228.038
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in unbedingter Reinheit angeschaut sind, wird dann Hermione pvi_1228.041
verglichen. Wenn Lenau die düstre Wolke einen am Himmelsantlitz wandelnden
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