pvi_1453.001 erneuert sich innerhalb dieses Styls; theils ist er ein nationaler ebenso wie pvi_1453.002 in der Poesie: Jtaliener und Franzosen haben in der hohen Tragödie immer pvi_1453.003 noch etwas Gesang=artiges, Recitativ=ähnliches im Vortrag, strenge, gemessene pvi_1453.004 Regel, einfach große Bewegung, plastisches Verweilen im Spiel, in der pvi_1453.005 Komödie bringt wenigstens die generelle Behandlung der Charaktere eine pvi_1453.006 geringere Jndividualisirung mit sich. Die französische Art war mit der pvi_1453.007 poetischen Dramaturgie und gesammten conventionellen Disciplin in Deutschland pvi_1453.008 eingedrungen und ward von Eckhof gestürzt, der die wahre und individuelle pvi_1453.009 Sprache und Tonleiter der Natur zum Gesetz erhob. Nun aber pvi_1453.010 riß mit dem bürgerlichen Drama und seiner prosaischen Redeform, dann pvi_1453.011 mit dem wilden Schrei der Sturm- und Drang-Periode ein Grad des pvi_1453.012 Naturalismus ein, der eine neue Reaction des plastischen, classisch idealen pvi_1453.013 Styls hervorrufen mußte: er knüpfte sich an Göthe's und Schiller's classische pvi_1453.014 Werke, man führte sogar wieder französische Tragödieen in den Kampf. pvi_1453.015 Dieß führte abermals in gleichtöniges Pathos, jambische Modulation ohne pvi_1453.016 Naturwahrheit des Tonfalls, kaltes Anstands-System; die entgegenstehende pvi_1453.017 Richtung mußte abermals ihr Recht zurückfordern. Seither suchen wir einen pvi_1453.018 charakteristischen Styl, der naturwahr individualisirt und doch ideal ist, wie pvi_1453.019 in der Poesie und in allen Künsten, aber dem richtigen Begriffe des Zieles pvi_1453.020 bringt die Zeit nicht die hinreichende Kraft und Frische entgegen, den falschen pvi_1453.021 Ueberschuß der Reflexion fühlt man nirgends mehr, als auf diesem Gebiete. - pvi_1453.022 Statt alles Weiteren beschränken wir uns hier, auf das treffliche Werk von pvi_1453.023 Ed. Devrient: "Die Gesch. d. deutschen Schauspielkunst" zu verweisen.
pvi_1453.024
§. 922.
pvi_1453.025
Die Schauspielkunst setzt die Bühne voraus: die Baukunst, die Malerei pvi_1453.026 und als Stimmungsmittel die Musik verbinden sich mit ihr und es entsteht pvi_1453.027 eine Vereinigung aller Künste, in welcher die Poesie der bestimmende Mittelpunct pvi_1453.028 ist (vergl. §. 544 3.). So kehrt denn diese zu der bildenden Kunst im pvi_1453.029 eigentlichen Sinn, hiemit die gesammte Kunst auf ihrer Spitze zur Unmittelbarkeit pvi_1453.030 zurück und erreicht hiedurch eine ästhetische Wirkung auf die Gemüther, pvi_1453.031 welche auch zu einer sittlich politischen Macht wird.
pvi_1453.032
Der ganze Jnhalt unserer Kunstlehre erspart uns eine Widerlegung der pvi_1453.033 R. Wagner'schen Theorie von einer Verbindung sämmtlicher Künste im pvi_1453.034 Theater, von einem Kunstwerke, das Drama, Oper, Tanz und hiemit pvi_1453.035 lebendige Plastik, Gemälde und architektonische Schönheit gleichzeitig in der pvi_1453.036 Art sein soll, daß wenigstens die ersteren dieser Künste zu gleichen Theilen pvi_1453.037 in der Verbindung wiegen. Jede Kunst hat das ganze Schöne auf ihre pvi_1453.038 Weise und es gibt daher keine andere richtige Verbindung von Künsten,
pvi_1453.001 erneuert sich innerhalb dieses Styls; theils ist er ein nationaler ebenso wie pvi_1453.002 in der Poesie: Jtaliener und Franzosen haben in der hohen Tragödie immer pvi_1453.003 noch etwas Gesang=artiges, Recitativ=ähnliches im Vortrag, strenge, gemessene pvi_1453.004 Regel, einfach große Bewegung, plastisches Verweilen im Spiel, in der pvi_1453.005 Komödie bringt wenigstens die generelle Behandlung der Charaktere eine pvi_1453.006 geringere Jndividualisirung mit sich. Die französische Art war mit der pvi_1453.007 poetischen Dramaturgie und gesammten conventionellen Disciplin in Deutschland pvi_1453.008 eingedrungen und ward von Eckhof gestürzt, der die wahre und individuelle pvi_1453.009 Sprache und Tonleiter der Natur zum Gesetz erhob. Nun aber pvi_1453.010 riß mit dem bürgerlichen Drama und seiner prosaischen Redeform, dann pvi_1453.011 mit dem wilden Schrei der Sturm- und Drang-Periode ein Grad des pvi_1453.012 Naturalismus ein, der eine neue Reaction des plastischen, classisch idealen pvi_1453.013 Styls hervorrufen mußte: er knüpfte sich an Göthe's und Schiller's classische pvi_1453.014 Werke, man führte sogar wieder französische Tragödieen in den Kampf. pvi_1453.015 Dieß führte abermals in gleichtöniges Pathos, jambische Modulation ohne pvi_1453.016 Naturwahrheit des Tonfalls, kaltes Anstands-System; die entgegenstehende pvi_1453.017 Richtung mußte abermals ihr Recht zurückfordern. Seither suchen wir einen pvi_1453.018 charakteristischen Styl, der naturwahr individualisirt und doch ideal ist, wie pvi_1453.019 in der Poesie und in allen Künsten, aber dem richtigen Begriffe des Zieles pvi_1453.020 bringt die Zeit nicht die hinreichende Kraft und Frische entgegen, den falschen pvi_1453.021 Ueberschuß der Reflexion fühlt man nirgends mehr, als auf diesem Gebiete. – pvi_1453.022 Statt alles Weiteren beschränken wir uns hier, auf das treffliche Werk von pvi_1453.023 Ed. Devrient: „Die Gesch. d. deutschen Schauspielkunst“ zu verweisen.
pvi_1453.024
§. 922.
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Die Schauspielkunst setzt die Bühne voraus: die Baukunst, die Malerei pvi_1453.026 und als Stimmungsmittel die Musik verbinden sich mit ihr und es entsteht pvi_1453.027 eine Vereinigung aller Künste, in welcher die Poesie der bestimmende Mittelpunct pvi_1453.028 ist (vergl. §. 544 3.). So kehrt denn diese zu der bildenden Kunst im pvi_1453.029 eigentlichen Sinn, hiemit die gesammte Kunst auf ihrer Spitze zur Unmittelbarkeit pvi_1453.030 zurück und erreicht hiedurch eine ästhetische Wirkung auf die Gemüther, pvi_1453.031 welche auch zu einer sittlich politischen Macht wird.
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Der ganze Jnhalt unserer Kunstlehre erspart uns eine Widerlegung der pvi_1453.033 R. Wagner'schen Theorie von einer Verbindung sämmtlicher Künste im pvi_1453.034 Theater, von einem Kunstwerke, das Drama, Oper, Tanz und hiemit pvi_1453.035 lebendige Plastik, Gemälde und architektonische Schönheit gleichzeitig in der pvi_1453.036 Art sein soll, daß wenigstens die ersteren dieser Künste zu gleichen Theilen pvi_1453.037 in der Verbindung wiegen. Jede Kunst hat das ganze Schöne auf ihre pvi_1453.038 Weise und es gibt daher keine andere richtige Verbindung von Künsten,
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/315>, abgerufen am 15.08.2024.
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