Nur keine Geschichten, nur keine Szenen! So denken die Meisten und so zum unendlichen Schaden der Welt namentlich Staatsmänner. Es soll nichts aufgerührt werden, es soll Alles beim Alten bleiben, und wenn ein Kind einzusehen vermag: es kann nicht beim Alten bleiben, es muß ja doch brechen. Aber: apres nous le deluge!
Das Weib ist schamhafter als der Mann, weil es weniger unschuldig ist. Das Mädchen weiß das Ge¬ schlechtliche weit früher als der Knabe, lernt früh, wenn auch noch unbetheiligt, das ganze Listgetriebe des Männerfangspiels kennen, das Weib ist sich des Geschlechts weit bewußter als der Mann, und hat dieß Wissen zu verbergen, daher muß es mehr Scham haben. Dieß ist im geringsten keine Schande für das Weib. Es erhebt sie. Sie ist mehr Naturwesen als der Mann, und wird sittliches Wesen, indem sie es verhüllt, mit Bildungsleben zudeckt.
Bedarf übrigens der Mann weniger Schamhaftig¬ keit, so ist das lange kein Freibrief für Schamlosig¬ keit. Ein Mann, der keine Scham bewahrt, ist fertig, ist hin, er mag dieß und das noch treiben, ja leisten, aber er ist eben gemein, und gemein ist gemein. Den Mann, der darin richtig bestellt ist, wird man besonders
Vischer, Auch Einer. II. 24
Nur keine Geſchichten, nur keine Szenen! So denken die Meiſten und ſo zum unendlichen Schaden der Welt namentlich Staatsmänner. Es ſoll nichts aufgerührt werden, es ſoll Alles beim Alten bleiben, und wenn ein Kind einzuſehen vermag: es kann nicht beim Alten bleiben, es muß ja doch brechen. Aber: après nous le deluge!
Das Weib iſt ſchamhafter als der Mann, weil es weniger unſchuldig iſt. Das Mädchen weiß das Ge¬ ſchlechtliche weit früher als der Knabe, lernt früh, wenn auch noch unbetheiligt, das ganze Liſtgetriebe des Männerfangſpiels kennen, das Weib iſt ſich des Geſchlechts weit bewußter als der Mann, und hat dieß Wiſſen zu verbergen, daher muß es mehr Scham haben. Dieß iſt im geringſten keine Schande für das Weib. Es erhebt ſie. Sie iſt mehr Naturweſen als der Mann, und wird ſittliches Weſen, indem ſie es verhüllt, mit Bildungsleben zudeckt.
Bedarf übrigens der Mann weniger Schamhaftig¬ keit, ſo iſt das lange kein Freibrief für Schamloſig¬ keit. Ein Mann, der keine Scham bewahrt, iſt fertig, iſt hin, er mag dieß und das noch treiben, ja leiſten, aber er iſt eben gemein, und gemein iſt gemein. Den Mann, der darin richtig beſtellt iſt, wird man beſonders
Viſcher, Auch Einer. II. 24
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Nur keine Geſchichten, nur keine Szenen! So
denken die Meiſten und ſo zum unendlichen Schaden
der Welt namentlich Staatsmänner. Es ſoll nichts
aufgerührt werden, es ſoll Alles beim Alten bleiben,
und wenn ein Kind einzuſehen vermag: es kann
nicht beim Alten bleiben, es muß ja doch brechen.
Aber: après nous le deluge!
Das Weib iſt ſchamhafter als der Mann, weil es
weniger unſchuldig iſt. Das Mädchen weiß das Ge¬
ſchlechtliche weit früher als der Knabe, lernt früh,
wenn auch noch unbetheiligt, das ganze Liſtgetriebe
des Männerfangſpiels kennen, das Weib iſt ſich des
Geſchlechts weit bewußter als der Mann, und hat
dieß Wiſſen zu verbergen, daher muß es mehr Scham
haben. Dieß iſt im geringſten keine Schande für das
Weib. Es erhebt ſie. Sie iſt mehr Naturweſen als
der Mann, und wird ſittliches Weſen, indem ſie es
verhüllt, mit Bildungsleben zudeckt.
Bedarf übrigens der Mann weniger Schamhaftig¬
keit, ſo iſt das lange kein Freibrief für Schamloſig¬
keit. Ein Mann, der keine Scham bewahrt, iſt fertig,
iſt hin, er mag dieß und das noch treiben, ja leiſten,
aber er iſt eben gemein, und gemein iſt gemein. Den
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Viſcher, Auch Einer. II. 24
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/382>, abgerufen am 25.11.2024.
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