laubt, ja von Zeit zu Zeit Pflicht, Pflicht gegen sich selbst, Pflicht gegen Andere, denn Phantasie will leben. Und spielend muß alle Unterhaltung guter Gesellschaft sich bewegen. Doch jede, auch die närrische, führt auf manchen Punkten immer zu dem Bedürfniß, diesen oder jenen Begriff klarzustellen. Da gibt es nun aber Naturen, die sich dagegen sperren, davor verkreuzen wie vor dem Gottseibeiuns. Nur nicht in dem Nebel der Flachheit umrühren, nur auf nichts tiefer eingehen, nur nicht das Messer des unterscheidenden Begriffes an Gemeinplätze legen! Nur Alles in der Brühe, in der Sauce der Unbestimmtheit belassen! -- Die stumpfe Denkfaulheit der Menschen. Aber auf diesem Wege verkommt man. Gesellige Unterhaltung von Menschen ohne Erkenntnißdrang ist Sumpf. Das Forschen ist es, was den Menschen zum Menschen macht, ohne dieses auch keine Moral. Forschen ist die Stahlfeder im menschlichen Wesen. Was die Franzosen in ihrer liederlichsten Zeit aufrecht erhalten hat, das waren jene Salons, wo die Gespräche gepflegt wurden, in denen unter Scherz, Reiz des Weibes, Würze der Phantasie nach Erkenntniß, nach Quellen der Wahrheit gebohrt wurde.
Gesellschaft beim Staatsrath X. Zwei Töchter, eine sehr schön und hat den Gebrauch der Schönheit nicht
laubt, ja von Zeit zu Zeit Pflicht, Pflicht gegen ſich ſelbſt, Pflicht gegen Andere, denn Phantaſie will leben. Und ſpielend muß alle Unterhaltung guter Geſellſchaft ſich bewegen. Doch jede, auch die närriſche, führt auf manchen Punkten immer zu dem Bedürfniß, dieſen oder jenen Begriff klarzuſtellen. Da gibt es nun aber Naturen, die ſich dagegen ſperren, davor verkreuzen wie vor dem Gottſeibeiuns. Nur nicht in dem Nebel der Flachheit umrühren, nur auf nichts tiefer eingehen, nur nicht das Meſſer des unterſcheidenden Begriffes an Gemeinplätze legen! Nur Alles in der Brühe, in der Sauce der Unbeſtimmtheit belaſſen! — Die ſtumpfe Denkfaulheit der Menſchen. Aber auf dieſem Wege verkommt man. Geſellige Unterhaltung von Menſchen ohne Erkenntnißdrang iſt Sumpf. Das Forſchen iſt es, was den Menſchen zum Menſchen macht, ohne dieſes auch keine Moral. Forſchen iſt die Stahlfeder im menſchlichen Weſen. Was die Franzoſen in ihrer liederlichſten Zeit aufrecht erhalten hat, das waren jene Salons, wo die Geſpräche gepflegt wurden, in denen unter Scherz, Reiz des Weibes, Würze der Phantaſie nach Erkenntniß, nach Quellen der Wahrheit gebohrt wurde.
Geſellſchaft beim Staatsrath X. Zwei Töchter, eine ſehr ſchön und hat den Gebrauch der Schönheit nicht
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laubt, ja von Zeit zu Zeit Pflicht, Pflicht gegen ſich
ſelbſt, Pflicht gegen Andere, denn Phantaſie will leben.
Und ſpielend muß alle Unterhaltung guter Geſellſchaft
ſich bewegen. Doch jede, auch die närriſche, führt auf
manchen Punkten immer zu dem Bedürfniß, dieſen oder
jenen Begriff klarzuſtellen. Da gibt es nun aber
Naturen, die ſich dagegen ſperren, davor verkreuzen
wie vor dem Gottſeibeiuns. Nur nicht in dem Nebel
der Flachheit umrühren, nur auf nichts tiefer eingehen,
nur nicht das Meſſer des unterſcheidenden Begriffes an
Gemeinplätze legen! Nur Alles in der Brühe, in der
Sauce der Unbeſtimmtheit belaſſen! — Die ſtumpfe
Denkfaulheit der Menſchen. Aber auf dieſem Wege
verkommt man. Geſellige Unterhaltung von Menſchen
ohne Erkenntnißdrang iſt Sumpf. Das Forſchen iſt
es, was den Menſchen zum Menſchen macht, ohne
dieſes auch keine Moral. Forſchen iſt die Stahlfeder
im menſchlichen Weſen. Was die Franzoſen in ihrer
liederlichſten Zeit aufrecht erhalten hat, das waren jene
Salons, wo die Geſpräche gepflegt wurden, in denen
unter Scherz, Reiz des Weibes, Würze der Phantaſie
nach Erkenntniß, nach Quellen der Wahrheit gebohrt
wurde.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/319>, abgerufen am 24.11.2024.
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