aber wie gegen den Satan sperrt er sich dagegen, den Eindruck in's Bewußtsein, in's Nachdenken zu erheben. Spürt er Tags darauf die nux vomica im Hirn, so flirrt ihm wohl etwas vor, es sei da oben nicht ganz richtig, aber reflektiren? O, nur das nicht! -- Neulich war ich im Gespräch mit einem sehr gelehrten und gescheuten Mann; es kam ihm ein Haar vom Kopf zwischen die Wimpern und hieng ihm gerade über's Auge. Es brauchte ungefähr eine Viertelstunde, bis er etwas bemerkte, dann fieng er an, zu schielen; man sah ihm an, daß ihn etwas störe, er wurde zer¬ streut, aber da war keine Rede von so viel Konzen¬ tration auf seinen Zustand, daß er auf die Ursache hätte kommen können. Ich stand auf, zog ihm das Haar aus den Wimpern und er war sehr verwundert, daß es ihm nun wieder freier und lichter zu Muthe war. -- Ach, ja freilich, schon gut, daß die Welt so ist! Wenn die Menschen sehend wären, wo käme ihr Glück hin, so wie die Meisten sind, unfähig, das Glück im Unsichtbaren zu finden! Aber wir Wenigen sind eben auch so, wie wir sind, warum muß also uns die Menschheit so grimmig hassen, so höhnisch verlachen, weil wir das Haar vor ihrem Auge sehen?
Und im Gespräch sind sie auch merkwürdig, selbst abgesehen vom Durcheinanderschreien. Herr N. N. hört
aber wie gegen den Satan ſperrt er ſich dagegen, den Eindruck in's Bewußtſein, in's Nachdenken zu erheben. Spürt er Tags darauf die nux vomica im Hirn, ſo flirrt ihm wohl etwas vor, es ſei da oben nicht ganz richtig, aber reflektiren? O, nur das nicht! — Neulich war ich im Geſpräch mit einem ſehr gelehrten und geſcheuten Mann; es kam ihm ein Haar vom Kopf zwiſchen die Wimpern und hieng ihm gerade über's Auge. Es brauchte ungefähr eine Viertelſtunde, bis er etwas bemerkte, dann fieng er an, zu ſchielen; man ſah ihm an, daß ihn etwas ſtöre, er wurde zer¬ ſtreut, aber da war keine Rede von ſo viel Konzen¬ tration auf ſeinen Zuſtand, daß er auf die Urſache hätte kommen können. Ich ſtand auf, zog ihm das Haar aus den Wimpern und er war ſehr verwundert, daß es ihm nun wieder freier und lichter zu Muthe war. — Ach, ja freilich, ſchon gut, daß die Welt ſo iſt! Wenn die Menſchen ſehend wären, wo käme ihr Glück hin, ſo wie die Meiſten ſind, unfähig, das Glück im Unſichtbaren zu finden! Aber wir Wenigen ſind eben auch ſo, wie wir ſind, warum muß alſo uns die Menſchheit ſo grimmig haſſen, ſo höhniſch verlachen, weil wir das Haar vor ihrem Auge ſehen?
Und im Geſpräch ſind ſie auch merkwürdig, ſelbſt abgeſehen vom Durcheinanderſchreien. Herr N. N. hört
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aber wie gegen den Satan ſperrt er ſich dagegen, den
Eindruck in's Bewußtſein, in's Nachdenken zu erheben.
Spürt er Tags darauf die nux vomica im Hirn, ſo
flirrt ihm wohl etwas vor, es ſei da oben nicht ganz
richtig, aber reflektiren? O, nur das nicht! — Neulich
war ich im Geſpräch mit einem ſehr gelehrten und
geſcheuten Mann; es kam ihm ein Haar vom Kopf
zwiſchen die Wimpern und hieng ihm gerade über's
Auge. Es brauchte ungefähr eine Viertelſtunde, bis
er etwas bemerkte, dann fieng er an, zu ſchielen;
man ſah ihm an, daß ihn etwas ſtöre, er wurde zer¬
ſtreut, aber da war keine Rede von ſo viel Konzen¬
tration auf ſeinen Zuſtand, daß er auf die Urſache
hätte kommen können. Ich ſtand auf, zog ihm das
Haar aus den Wimpern und er war ſehr verwundert,
daß es ihm nun wieder freier und lichter zu Muthe
war. — Ach, ja freilich, ſchon gut, daß die Welt
ſo iſt! Wenn die Menſchen ſehend wären, wo käme
ihr Glück hin, ſo wie die Meiſten ſind, unfähig, das
Glück im Unſichtbaren zu finden! Aber wir Wenigen
ſind eben auch ſo, wie wir ſind, warum muß alſo uns
die Menſchheit ſo grimmig haſſen, ſo höhniſch verlachen,
weil wir das Haar vor ihrem Auge ſehen?
Und im Geſpräch ſind ſie auch merkwürdig, ſelbſt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/311>, abgerufen am 24.11.2024.
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