Leben nach der Götterdämmerung, Wiedergeburt der Welt, Aufgang der Geistwelt."
Ich schwieg und dachte: wie konnte ich sie ver¬ kennen! Dann sagte ich: "Ja, da liegt Tiefe; im Uebrigen ist Alles wilder, mannhafter, bergiger als im Keltischen; Streitbarkeit ist Grundzug, Heldenkampf, es ist eine Reckenreligion. Doch ist auch ein Geistgott da, ein Apollo: Bragi, der Skaldengott. Und ein Zug von weicher, holder Güte, so recht ein grund¬ guter Zug: Baldur, den alle Götter lieben, durch ihn ist dem Frühling inniges Gemüth geliehen."
Sie wandte sich heiter zu mir und sagte: "Lieb¬ reiz ist ja doch auch, -- Freyja, Freyja, die Freun¬ din der Liebenden, die gern ein schönes Liebeslied anhört."
Ich sagte: "Ein Lied versuch' ich wohl auch noch um einen recht guten Kuß." Schimmernd erglänzte die Reihe feiner Goldketten an ihrem Hals, wie sie sich umwandte. Freyja's goldenes Halsband fiel mir ein. Sie biegt sich zu mir her, das hohe, stolzfreie Weib, leuchtend, athmend, ich strecke die Arme aus. Da zuckt mir etwas durch die Seele, was mich bannt, ich weiß nicht, welches innere Stocken. Es muß aus¬ gesehen haben wie Schüchternheit, Blödheit. Ich über¬ winde es, will in ihre Arme stürzen, strauchle über eine Wurzel und taumle wie ein Tölpel. Sie lacht laut auf, gellend, und geht vorwärts.
Leben nach der Götterdämmerung, Wiedergeburt der Welt, Aufgang der Geiſtwelt.“
Ich ſchwieg und dachte: wie konnte ich ſie ver¬ kennen! Dann ſagte ich: „Ja, da liegt Tiefe; im Uebrigen iſt Alles wilder, mannhafter, bergiger als im Keltiſchen; Streitbarkeit iſt Grundzug, Heldenkampf, es iſt eine Reckenreligion. Doch iſt auch ein Geiſtgott da, ein Apollo: Bragi, der Skaldengott. Und ein Zug von weicher, holder Güte, ſo recht ein grund¬ guter Zug: Baldur, den alle Götter lieben, durch ihn iſt dem Frühling inniges Gemüth geliehen.“
Sie wandte ſich heiter zu mir und ſagte: „Lieb¬ reiz iſt ja doch auch, — Freyja, Freyja, die Freun¬ din der Liebenden, die gern ein ſchönes Liebeslied anhört.“
Ich ſagte: „Ein Lied verſuch' ich wohl auch noch um einen recht guten Kuß.“ Schimmernd erglänzte die Reihe feiner Goldketten an ihrem Hals, wie ſie ſich umwandte. Freyja's goldenes Halsband fiel mir ein. Sie biegt ſich zu mir her, das hohe, ſtolzfreie Weib, leuchtend, athmend, ich ſtrecke die Arme aus. Da zuckt mir etwas durch die Seele, was mich bannt, ich weiß nicht, welches innere Stocken. Es muß aus¬ geſehen haben wie Schüchternheit, Blödheit. Ich über¬ winde es, will in ihre Arme ſtürzen, ſtrauchle über eine Wurzel und taumle wie ein Tölpel. Sie lacht laut auf, gellend, und geht vorwärts.
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Leben nach der Götterdämmerung, Wiedergeburt der
Welt, Aufgang der Geiſtwelt.“
Ich ſchwieg und dachte: wie konnte ich ſie ver¬
kennen! Dann ſagte ich: „Ja, da liegt Tiefe; im
Uebrigen iſt Alles wilder, mannhafter, bergiger als im
Keltiſchen; Streitbarkeit iſt Grundzug, Heldenkampf,
es iſt eine Reckenreligion. Doch iſt auch ein Geiſtgott
da, ein Apollo: Bragi, der Skaldengott. Und ein
Zug von weicher, holder Güte, ſo recht ein grund¬
guter Zug: Baldur, den alle Götter lieben, durch
ihn iſt dem Frühling inniges Gemüth geliehen.“
Sie wandte ſich heiter zu mir und ſagte: „Lieb¬
reiz iſt ja doch auch, — Freyja, Freyja, die Freun¬
din der Liebenden, die gern ein ſchönes Liebeslied
anhört.“
Ich ſagte: „Ein Lied verſuch' ich wohl auch noch
um einen recht guten Kuß.“ Schimmernd erglänzte
die Reihe feiner Goldketten an ihrem Hals, wie ſie
ſich umwandte. Freyja's goldenes Halsband fiel mir
ein. Sie biegt ſich zu mir her, das hohe, ſtolzfreie
Weib, leuchtend, athmend, ich ſtrecke die Arme aus.
Da zuckt mir etwas durch die Seele, was mich bannt,
ich weiß nicht, welches innere Stocken. Es muß aus¬
geſehen haben wie Schüchternheit, Blödheit. Ich über¬
winde es, will in ihre Arme ſtürzen, ſtrauchle über
eine Wurzel und taumle wie ein Tölpel. Sie lacht
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/167>, abgerufen am 25.11.2024.
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