zum Nachdenken über gemischte hälftige Schönheit und über Schließbarkeit auf eine schönere Hälfte, denn der Hunger war groß und ebenso ergieng es sichtlich meinem Tischkameraden.
Es begann nach Stillung des ersten Bedürfnisses ein wachsend heiteres, belebtes Gespräch. Ich sah ihn zum ersten Mal eigentlich hell in seiner Stimmung. Seine Athmungsorgane erschienen mir unbelästigt, das starke Ereignis; hatte wohl eine gute Krisis mit sich geführt. Er fieng wie dort am Axen vom Wetter an: "Der Föhn legt sich, will sehen, wann der Regen kommt; ich glaube, viel wird's nicht sein, er wird wohl dießmal die Hauptmasse des Feuchten drüben überm Bodensee hinunterschütten. Können Sie denn den Wind ausstehen?" Ich hütete mich wie billig, von der physikalischen Nothwendigkeit der Luftbewegung an¬ zufangen, und A. E. fuhr auch fort, ohne Antwort abzuwarten: "Geduld bei allem andern übeln Wetter, aber der Wind ist spezifisch unverschämt, betäubt die feinsten Sinne, Auge und Ohr, macht durch den un¬ nöthigen Lärm das Hirn trunken, wild, ist wie ein Kerl, der mich mit Ohrfeigenregen begleitet, mir auf Tritt und Schritt vorheult, der Teufel sei los, kurz, kann mich geradezu ganz wüthig machen."
Dieß war die einzige Andeutung, das einzige, entfernte, sehr nur mittelbare Geständniß; der Unver¬ nunft der Szene, dir er am Fels aufgeführt. Der
zum Nachdenken über gemiſchte hälftige Schönheit und über Schließbarkeit auf eine ſchönere Hälfte, denn der Hunger war groß und ebenſo ergieng es ſichtlich meinem Tiſchkameraden.
Es begann nach Stillung des erſten Bedürfniſſes ein wachſend heiteres, belebtes Geſpräch. Ich ſah ihn zum erſten Mal eigentlich hell in ſeiner Stimmung. Seine Athmungsorgane erſchienen mir unbeläſtigt, das ſtarke Ereignis; hatte wohl eine gute Kriſis mit ſich geführt. Er fieng wie dort am Axen vom Wetter an: „Der Föhn legt ſich, will ſehen, wann der Regen kommt; ich glaube, viel wird's nicht ſein, er wird wohl dießmal die Hauptmaſſe des Feuchten drüben überm Bodenſee hinunterſchütten. Können Sie denn den Wind ausſtehen?“ Ich hütete mich wie billig, von der phyſikaliſchen Nothwendigkeit der Luftbewegung an¬ zufangen, und A. E. fuhr auch fort, ohne Antwort abzuwarten: „Geduld bei allem andern übeln Wetter, aber der Wind iſt ſpezifiſch unverſchämt, betäubt die feinſten Sinne, Auge und Ohr, macht durch den un¬ nöthigen Lärm das Hirn trunken, wild, iſt wie ein Kerl, der mich mit Ohrfeigenregen begleitet, mir auf Tritt und Schritt vorheult, der Teufel ſei los, kurz, kann mich geradezu ganz wüthig machen.“
Dieß war die einzige Andeutung, das einzige, entfernte, ſehr nur mittelbare Geſtändniß; der Unver¬ nunft der Szene, dir er am Fels aufgeführt. Der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0098"n="85"/>
zum Nachdenken über gemiſchte hälftige Schönheit und<lb/>
über Schließbarkeit auf eine ſchönere Hälfte, denn der<lb/>
Hunger war groß und ebenſo ergieng es ſichtlich meinem<lb/>
Tiſchkameraden.</p><lb/><p>Es begann nach Stillung des erſten Bedürfniſſes<lb/>
ein wachſend heiteres, belebtes Geſpräch. Ich ſah ihn<lb/>
zum erſten Mal eigentlich hell in ſeiner Stimmung.<lb/>
Seine Athmungsorgane erſchienen mir unbeläſtigt, das<lb/>ſtarke Ereignis; hatte wohl eine gute Kriſis mit ſich<lb/>
geführt. Er fieng wie dort am Axen vom Wetter<lb/>
an: „Der Föhn legt ſich, will ſehen, wann der Regen<lb/>
kommt; ich glaube, viel wird's nicht ſein, er wird wohl<lb/>
dießmal die Hauptmaſſe des Feuchten drüben überm<lb/>
Bodenſee hinunterſchütten. Können Sie denn den<lb/>
Wind ausſtehen?“ Ich hütete mich wie billig, von<lb/>
der phyſikaliſchen Nothwendigkeit der Luftbewegung an¬<lb/>
zufangen, und A. E. fuhr auch fort, ohne Antwort<lb/>
abzuwarten: „Geduld bei allem andern übeln Wetter,<lb/>
aber der Wind iſt ſpezifiſch unverſchämt, betäubt die<lb/>
feinſten Sinne, Auge und Ohr, macht durch den un¬<lb/>
nöthigen Lärm das Hirn trunken, wild, iſt wie ein Kerl,<lb/>
der mich mit Ohrfeigenregen begleitet, mir auf Tritt<lb/>
und Schritt vorheult, der Teufel ſei los, kurz, kann<lb/>
mich geradezu ganz wüthig machen.“</p><lb/><p>Dieß war die einzige Andeutung, das einzige,<lb/>
entfernte, ſehr nur mittelbare Geſtändniß; der Unver¬<lb/>
nunft der Szene, dir er am Fels aufgeführt. Der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[85/0098]
zum Nachdenken über gemiſchte hälftige Schönheit und
über Schließbarkeit auf eine ſchönere Hälfte, denn der
Hunger war groß und ebenſo ergieng es ſichtlich meinem
Tiſchkameraden.
Es begann nach Stillung des erſten Bedürfniſſes
ein wachſend heiteres, belebtes Geſpräch. Ich ſah ihn
zum erſten Mal eigentlich hell in ſeiner Stimmung.
Seine Athmungsorgane erſchienen mir unbeläſtigt, das
ſtarke Ereignis; hatte wohl eine gute Kriſis mit ſich
geführt. Er fieng wie dort am Axen vom Wetter
an: „Der Föhn legt ſich, will ſehen, wann der Regen
kommt; ich glaube, viel wird's nicht ſein, er wird wohl
dießmal die Hauptmaſſe des Feuchten drüben überm
Bodenſee hinunterſchütten. Können Sie denn den
Wind ausſtehen?“ Ich hütete mich wie billig, von
der phyſikaliſchen Nothwendigkeit der Luftbewegung an¬
zufangen, und A. E. fuhr auch fort, ohne Antwort
abzuwarten: „Geduld bei allem andern übeln Wetter,
aber der Wind iſt ſpezifiſch unverſchämt, betäubt die
feinſten Sinne, Auge und Ohr, macht durch den un¬
nöthigen Lärm das Hirn trunken, wild, iſt wie ein Kerl,
der mich mit Ohrfeigenregen begleitet, mir auf Tritt
und Schritt vorheult, der Teufel ſei los, kurz, kann
mich geradezu ganz wüthig machen.“
Dieß war die einzige Andeutung, das einzige,
entfernte, ſehr nur mittelbare Geſtändniß; der Unver¬
nunft der Szene, dir er am Fels aufgeführt. Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/98>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.