ankleiden. Doch ich hätte der Hülfe nicht mehr be¬ durft; ich fühlte mich ganz leicht und stark, die tobende Musik im Kopfe war verstummt; mich drängte es, meinem Schicksalsbruder an den Hals zu fallen und Laute des Dankes zu stammeln, aber ich hütete mich wohl, diesem Gefühle zu folgen; ich wußte, wie es mir gegangen wäre: ein Pah! und ein paar Sprach¬ spiele von gerettetem Retter und rettendem Gerettetem wären sicher nachgefolgt, ja bei einer leidigen Neigung zum schlechten Witz, die ich schon an ihm kannte, hätte er nicht geruht, bis ein gegabelter Retter-Rettig zum Vorschein gekommen wäre, und so hätte er die rührende Szene in eine Lachßene verkehrt.
"Appetit?"
"Ja wohl, ja freilich!"
"Schon besorgt, kommen Sie zu Tisch!"
Der Bader wurde, zufrieden mit seiner Belohnung, entlassen, wir Zwei traten in ein etwas niedriges Zim¬ mer, das aber mit seiner Täfelung und reinlichen Gar¬ dinen einen ganz heimelichen Eindruck machte, der Wirth erschien und hinter ihm ein Mädchen mit der Suppen¬ schüssel. Ich bemerkte, daß A. E. sie in's Aug faßete. "Ein Töchterchen?" fragte er den Wirth. "Eine Nichte," war die Antwort. "Ein hübsches Kind," sagte ich, als Beide hinaus waren. "Ich weiß nicht; halb hübsch oder so oder -- halt! so ist's: sie sieht aus, als hätte sie eine schöne Schwester." Ich nahm mir keine Zeit
ankleiden. Doch ich hätte der Hülfe nicht mehr be¬ durft; ich fühlte mich ganz leicht und ſtark, die tobende Muſik im Kopfe war verſtummt; mich drängte es, meinem Schickſalsbruder an den Hals zu fallen und Laute des Dankes zu ſtammeln, aber ich hütete mich wohl, dieſem Gefühle zu folgen; ich wußte, wie es mir gegangen wäre: ein Pah! und ein paar Sprach¬ ſpiele von gerettetem Retter und rettendem Gerettetem wären ſicher nachgefolgt, ja bei einer leidigen Neigung zum ſchlechten Witz, die ich ſchon an ihm kannte, hätte er nicht geruht, bis ein gegabelter Retter-Rettig zum Vorſchein gekommen wäre, und ſo hätte er die rührende Szene in eine Lachſzene verkehrt.
„Appetit?“
„Ja wohl, ja freilich!“
„Schon beſorgt, kommen Sie zu Tiſch!“
Der Bader wurde, zufrieden mit ſeiner Belohnung, entlaſſen, wir Zwei traten in ein etwas niedriges Zim¬ mer, das aber mit ſeiner Täfelung und reinlichen Gar¬ dinen einen ganz heimelichen Eindruck machte, der Wirth erſchien und hinter ihm ein Mädchen mit der Suppen¬ ſchüſſel. Ich bemerkte, daß A. E. ſie in's Aug faßete. „Ein Töchterchen?“ fragte er den Wirth. „Eine Nichte,“ war die Antwort. „Ein hübſches Kind,“ ſagte ich, als Beide hinaus waren. „Ich weiß nicht; halb hübſch oder ſo oder — halt! ſo iſt's: ſie ſieht aus, als hätte ſie eine ſchöne Schweſter.“ Ich nahm mir keine Zeit
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ankleiden. Doch ich hätte der Hülfe nicht mehr be¬
durft; ich fühlte mich ganz leicht und ſtark, die tobende
Muſik im Kopfe war verſtummt; mich drängte es,
meinem Schickſalsbruder an den Hals zu fallen und
Laute des Dankes zu ſtammeln, aber ich hütete mich
wohl, dieſem Gefühle zu folgen; ich wußte, wie es
mir gegangen wäre: ein Pah! und ein paar Sprach¬
ſpiele von gerettetem Retter und rettendem Gerettetem
wären ſicher nachgefolgt, ja bei einer leidigen Neigung
zum ſchlechten Witz, die ich ſchon an ihm kannte,
hätte er nicht geruht, bis ein gegabelter Retter-Rettig
zum Vorſchein gekommen wäre, und ſo hätte er die
rührende Szene in eine Lachſzene verkehrt.
„Appetit?“
„Ja wohl, ja freilich!“
„Schon beſorgt, kommen Sie zu Tiſch!“
Der Bader wurde, zufrieden mit ſeiner Belohnung,
entlaſſen, wir Zwei traten in ein etwas niedriges Zim¬
mer, das aber mit ſeiner Täfelung und reinlichen Gar¬
dinen einen ganz heimelichen Eindruck machte, der Wirth
erſchien und hinter ihm ein Mädchen mit der Suppen¬
ſchüſſel. Ich bemerkte, daß A. E. ſie in's Aug faßete.
„Ein Töchterchen?“ fragte er den Wirth. „Eine Nichte,“
war die Antwort. „Ein hübſches Kind,“ ſagte ich,
als Beide hinaus waren. „Ich weiß nicht; halb hübſch
oder ſo oder — halt! ſo iſt's: ſie ſieht aus, als hätte
ſie eine ſchöne Schweſter.“ Ich nahm mir keine Zeit
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/97>, abgerufen am 04.12.2024.
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