nicht völlig rein; der Vokal a nahm eine Färbung gegen ae an, aber nur eine ganz leise, weit entfernt von der Quetschung, die dieser reine Laut in der eng¬ lischen Aussprache sonst erfahren muß. Alle übrigen Buchstaben kamen ganz lauter und richtig, nur viel milder, als aus südlichen Organen; es war eine Süßig¬ keit, Zartheit, Keuschheit in dieser Mischung, in diesem dämpfenden Lispeln, wobei doch der Bestimmtheit und Klarheit der Laute ihre Geltung blieb, daß ich mir sagen mußte, man könnte nicht nur lingua toscana in bocca romana rühmen, sondern auch lingua toscana in bocca inglese. Die ältliche Dame hatte inzwischen mit dem alten Herrn ein Gespräch über Volk und Natur der Schweiz begonnen, soviel sie auf dieser Reise bis dahin gesehen, und wandte sich jetzt an A. E. mit der Auf¬ forderung, auch seine Meinung zu sagen. Das Volk fand sie etwas viereckig und derb. Sie war bei dieser Anrede vom Englischen in's Deutsche übergegangen und schien gerne zu zeigen, daß sie dieser Sprache mächtig sei, deren Töne in ihrem Mund allerdings stark angel¬ sächsische Trübung annahmen. Die Unterbrechung war ihm sichtbar lästig, es zuckte auf seinem Gesicht und er diente nun der Fragerin mit einer Vergleichung der schottischen Hochländer und der Schweizer, die offenbar zu Gunsten der Letzteren gemünzt war, deren Inhalt ich aber kaum verfolgen konnte, da sein sonderbares Lippenspiel meine ganze Aufmerksamkeit anzog. Er
nicht völlig rein; der Vokal a nahm eine Färbung gegen ae an, aber nur eine ganz leiſe, weit entfernt von der Quetſchung, die dieſer reine Laut in der eng¬ liſchen Ausſprache ſonſt erfahren muß. Alle übrigen Buchſtaben kamen ganz lauter und richtig, nur viel milder, als aus ſüdlichen Organen; es war eine Süßig¬ keit, Zartheit, Keuſchheit in dieſer Miſchung, in dieſem dämpfenden Liſpeln, wobei doch der Beſtimmtheit und Klarheit der Laute ihre Geltung blieb, daß ich mir ſagen mußte, man könnte nicht nur lingua toscana in bocca romana rühmen, ſondern auch lingua toscana in bocca inglese. Die ältliche Dame hatte inzwiſchen mit dem alten Herrn ein Geſpräch über Volk und Natur der Schweiz begonnen, ſoviel ſie auf dieſer Reiſe bis dahin geſehen, und wandte ſich jetzt an A. E. mit der Auf¬ forderung, auch ſeine Meinung zu ſagen. Das Volk fand ſie etwas viereckig und derb. Sie war bei dieſer Anrede vom Engliſchen in's Deutſche übergegangen und ſchien gerne zu zeigen, daß ſie dieſer Sprache mächtig ſei, deren Töne in ihrem Mund allerdings ſtark angel¬ ſächſiſche Trübung annahmen. Die Unterbrechung war ihm ſichtbar läſtig, es zuckte auf ſeinem Geſicht und er diente nun der Fragerin mit einer Vergleichung der ſchottiſchen Hochländer und der Schweizer, die offenbar zu Gunſten der Letzteren gemünzt war, deren Inhalt ich aber kaum verfolgen konnte, da ſein ſonderbares Lippenſpiel meine ganze Aufmerkſamkeit anzog. Er
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[61/0074]
nicht völlig rein; der Vokal a nahm eine Färbung
gegen ae an, aber nur eine ganz leiſe, weit entfernt
von der Quetſchung, die dieſer reine Laut in der eng¬
liſchen Ausſprache ſonſt erfahren muß. Alle übrigen
Buchſtaben kamen ganz lauter und richtig, nur viel
milder, als aus ſüdlichen Organen; es war eine Süßig¬
keit, Zartheit, Keuſchheit in dieſer Miſchung, in dieſem
dämpfenden Liſpeln, wobei doch der Beſtimmtheit und
Klarheit der Laute ihre Geltung blieb, daß ich mir ſagen
mußte, man könnte nicht nur lingua toscana in
bocca romana rühmen, ſondern auch lingua toscana
in bocca inglese. Die ältliche Dame hatte inzwiſchen mit
dem alten Herrn ein Geſpräch über Volk und Natur der
Schweiz begonnen, ſoviel ſie auf dieſer Reiſe bis dahin
geſehen, und wandte ſich jetzt an A. E. mit der Auf¬
forderung, auch ſeine Meinung zu ſagen. Das Volk
fand ſie etwas viereckig und derb. Sie war bei dieſer
Anrede vom Engliſchen in's Deutſche übergegangen und
ſchien gerne zu zeigen, daß ſie dieſer Sprache mächtig
ſei, deren Töne in ihrem Mund allerdings ſtark angel¬
ſächſiſche Trübung annahmen. Die Unterbrechung war
ihm ſichtbar läſtig, es zuckte auf ſeinem Geſicht und
er diente nun der Fragerin mit einer Vergleichung der
ſchottiſchen Hochländer und der Schweizer, die offenbar
zu Gunſten der Letzteren gemünzt war, deren Inhalt
ich aber kaum verfolgen konnte, da ſein ſonderbares
Lippenſpiel meine ganze Aufmerkſamkeit anzog. Er
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/74>, abgerufen am 04.12.2024.
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