ausnimmt von der -- ich darf sagen: phantastischen und doch zugleich trivialen Vorstellung, daß die Himmelslichter eine Art von schwebenden Scheiben seien, auf welchen gar vielleicht menschenähnliche Wesen wohnen dürften? Da nun unsere altersheilige Sitte, auf Seen zu wohnen, und der Dienst der erhaben¬ sanften Selinur so unzertrennlich zusammenhängen, so erlaube ich mir die Frage: Was ergibt sich?" Er wurde roth und röther, fieng an heftiger zu gestikuliren und schlug mit der Faust auf das Brüstungsbrett der Rednerbühne. "In den übrigen Lichtern verehren wir die Geisterschaar der Urmutter, der ganze Himmel ist entweiht, entgöttert! Die Altäre werden stürzen! Die Vorstellungen der Menschengeschlechter wechseln, hat es geheißen; so wird ja wohl auch die Grundvorstellung wechseln, es wird eine Zeit geben, wo unser heiliger Glaube, der bestanden hat, so lang die Welt besteht, nicht mehr besteht! Entsetzlich! Nichts ist mehr fest, Alles wankt und schwankt! Grauenhaft, eine Zeit zu denken, wo es keine Heiden mehr gibt! -- Zeitlosigkeit? Ewigkeit? -- Leeres Wortgetändel! Sich gleich blei¬ bendes Eines, Zapfen mit Hängegewichtschnur, pochen¬ der Herzklumpen statt Götter? -- Spitzfindige, un¬ erbauliche Menhirdeutung! Gezwungene, bodenlose Sinnklauberei aus Coridwen's Zaubertopf und leicht¬ fertige Dehnung des erhabenen Inhalts, der dem Geburts¬ wunder Taliesin's innewohnt, armer Versuch, in ihm
ausnimmt von der — ich darf ſagen: phantaſtiſchen und doch zugleich trivialen Vorſtellung, daß die Himmelslichter eine Art von ſchwebenden Scheiben ſeien, auf welchen gar vielleicht menſchenähnliche Weſen wohnen dürften? Da nun unſere altersheilige Sitte, auf Seen zu wohnen, und der Dienſt der erhaben¬ ſanften Selinur ſo unzertrennlich zuſammenhängen, ſo erlaube ich mir die Frage: Was ergibt ſich?“ Er wurde roth und röther, fieng an heftiger zu geſtikuliren und ſchlug mit der Fauſt auf das Brüſtungsbrett der Rednerbühne. „In den übrigen Lichtern verehren wir die Geiſterſchaar der Urmutter, der ganze Himmel iſt entweiht, entgöttert! Die Altäre werden ſtürzen! Die Vorſtellungen der Menſchengeſchlechter wechſeln, hat es geheißen; ſo wird ja wohl auch die Grundvorſtellung wechſeln, es wird eine Zeit geben, wo unſer heiliger Glaube, der beſtanden hat, ſo lang die Welt beſteht, nicht mehr beſteht! Entſetzlich! Nichts iſt mehr feſt, Alles wankt und ſchwankt! Grauenhaft, eine Zeit zu denken, wo es keine Heiden mehr gibt! — Zeitloſigkeit? Ewigkeit? — Leeres Wortgetändel! Sich gleich blei¬ bendes Eines, Zapfen mit Hängegewichtſchnur, pochen¬ der Herzklumpen ſtatt Götter? — Spitzfindige, un¬ erbauliche Menhirdeutung! Gezwungene, bodenloſe Sinnklauberei aus Coridwen's Zaubertopf und leicht¬ fertige Dehnung des erhabenen Inhalts, der dem Geburts¬ wunder Talieſin's innewohnt, armer Verſuch, in ihm
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0297"n="284"/>
ausnimmt von der — ich darf ſagen: phantaſtiſchen<lb/>
und doch zugleich trivialen Vorſtellung, daß die<lb/>
Himmelslichter eine Art von ſchwebenden Scheiben<lb/>ſeien, auf welchen gar vielleicht menſchenähnliche Weſen<lb/>
wohnen dürften? Da nun unſere altersheilige Sitte,<lb/>
auf Seen zu wohnen, und der Dienſt der erhaben¬<lb/>ſanften Selinur ſo unzertrennlich zuſammenhängen, ſo<lb/>
erlaube ich mir die Frage: Was ergibt ſich?“ Er<lb/>
wurde roth und röther, fieng an heftiger zu geſtikuliren<lb/>
und ſchlug mit der Fauſt auf das Brüſtungsbrett der<lb/>
Rednerbühne. „In den übrigen Lichtern verehren wir<lb/>
die Geiſterſchaar der Urmutter, der ganze Himmel iſt<lb/>
entweiht, entgöttert! Die Altäre werden ſtürzen! Die<lb/>
Vorſtellungen der Menſchengeſchlechter wechſeln, hat es<lb/>
geheißen; ſo wird ja wohl auch die Grundvorſtellung<lb/>
wechſeln, es wird eine Zeit geben, wo unſer heiliger<lb/>
Glaube, der beſtanden hat, ſo lang die Welt beſteht,<lb/>
nicht mehr beſteht! Entſetzlich! Nichts iſt mehr feſt,<lb/>
Alles wankt und ſchwankt! Grauenhaft, eine Zeit zu<lb/>
denken, wo es keine Heiden mehr gibt! — Zeitloſigkeit?<lb/>
Ewigkeit? — Leeres Wortgetändel! Sich gleich blei¬<lb/>
bendes Eines, Zapfen mit Hängegewichtſchnur, pochen¬<lb/>
der Herzklumpen ſtatt Götter? — Spitzfindige, un¬<lb/>
erbauliche Menhirdeutung! Gezwungene, bodenloſe<lb/>
Sinnklauberei aus Coridwen's Zaubertopf und leicht¬<lb/>
fertige Dehnung des erhabenen Inhalts, der dem Geburts¬<lb/>
wunder Talieſin's innewohnt, armer Verſuch, in ihm<lb/></p></div></body></text></TEI>
[284/0297]
ausnimmt von der — ich darf ſagen: phantaſtiſchen
und doch zugleich trivialen Vorſtellung, daß die
Himmelslichter eine Art von ſchwebenden Scheiben
ſeien, auf welchen gar vielleicht menſchenähnliche Weſen
wohnen dürften? Da nun unſere altersheilige Sitte,
auf Seen zu wohnen, und der Dienſt der erhaben¬
ſanften Selinur ſo unzertrennlich zuſammenhängen, ſo
erlaube ich mir die Frage: Was ergibt ſich?“ Er
wurde roth und röther, fieng an heftiger zu geſtikuliren
und ſchlug mit der Fauſt auf das Brüſtungsbrett der
Rednerbühne. „In den übrigen Lichtern verehren wir
die Geiſterſchaar der Urmutter, der ganze Himmel iſt
entweiht, entgöttert! Die Altäre werden ſtürzen! Die
Vorſtellungen der Menſchengeſchlechter wechſeln, hat es
geheißen; ſo wird ja wohl auch die Grundvorſtellung
wechſeln, es wird eine Zeit geben, wo unſer heiliger
Glaube, der beſtanden hat, ſo lang die Welt beſteht,
nicht mehr beſteht! Entſetzlich! Nichts iſt mehr feſt,
Alles wankt und ſchwankt! Grauenhaft, eine Zeit zu
denken, wo es keine Heiden mehr gibt! — Zeitloſigkeit?
Ewigkeit? — Leeres Wortgetändel! Sich gleich blei¬
bendes Eines, Zapfen mit Hängegewichtſchnur, pochen¬
der Herzklumpen ſtatt Götter? — Spitzfindige, un¬
erbauliche Menhirdeutung! Gezwungene, bodenloſe
Sinnklauberei aus Coridwen's Zaubertopf und leicht¬
fertige Dehnung des erhabenen Inhalts, der dem Geburts¬
wunder Talieſin's innewohnt, armer Verſuch, in ihm
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/297>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.