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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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Scheue nach dem heiligen Zierrat hin; er ließ ihnen
Zeit dazu und begann dann mit merkbarem Willen,
sich zu mäßigen! "Hochachtbarer Seanacha! Wir sind
Euch edlem Gaste äußerst dankbar für die Aufklärung,
die uns Eure Gelehrsamkeit über den merkwürdigen
Fund hat zu Theil werden lassen. Nicht minder für
einen Theil der tiefsinnigen Betrachtungen, die Ihr an
Eure Aufschlüsse geknüpft habt. Ohne dem hochedeln
Stande der Barden das Kleinste entziehen zu wollen
von der Ehre, die seinem profunden Wissen gebührt,
möchte ich nur rücksichtsvoll andeutend darauf hin¬
weisen, daß das Volksgemüth aus einem andern Theil
dieser Betrachtungen den scharfen, äzenden, Schwärung
zeugenden Saft des Aergernisses, des höchst bedenk¬
lichen Anreizes ziehen könnte. Es wurde sich gegönnt
(Kallar lächelte über die kostbare Wendung), die Ver¬
muthung fallen zu lassen, daß künftige Menschenge¬
schlechter nicht mehr auf den Seen wohnen würden;
dieß ist aber ein Hauptstück unserer ehrwürdigen Reli¬
gion. Der werthzuschätzende Vorredner hat ferner
einige sehr neue Bemerkungen über die Gestirne vor¬
gebracht; er hat dabei zwar jenes herrlichste aller Lichter,
das wir sogar höher als die brennende Sonne ver¬
ehren, -- er hat jenes Lichtes nicht gedacht, worin
selbst das blödeste Auge die sanften und vollen Züge
des Angesichts der Weltmutter Selinur erkennt; aber
sollte die Folgerung zu kühn sein, daß er sie nicht

Scheue nach dem heiligen Zierrat hin; er ließ ihnen
Zeit dazu und begann dann mit merkbarem Willen,
ſich zu mäßigen! „Hochachtbarer Seanacha! Wir ſind
Euch edlem Gaſte äußerſt dankbar für die Aufklärung,
die uns Eure Gelehrſamkeit über den merkwürdigen
Fund hat zu Theil werden laſſen. Nicht minder für
einen Theil der tiefſinnigen Betrachtungen, die Ihr an
Eure Aufſchlüſſe geknüpft habt. Ohne dem hochedeln
Stande der Barden das Kleinſte entziehen zu wollen
von der Ehre, die ſeinem profunden Wiſſen gebührt,
möchte ich nur rückſichtsvoll andeutend darauf hin¬
weiſen, daß das Volksgemüth aus einem andern Theil
dieſer Betrachtungen den ſcharfen, äzenden, Schwärung
zeugenden Saft des Aergerniſſes, des höchſt bedenk¬
lichen Anreizes ziehen könnte. Es wurde ſich gegönnt
(Kallar lächelte über die koſtbare Wendung), die Ver¬
muthung fallen zu laſſen, daß künftige Menſchenge¬
ſchlechter nicht mehr auf den Seen wohnen würden;
dieß iſt aber ein Hauptſtück unſerer ehrwürdigen Reli¬
gion. Der werthzuſchätzende Vorredner hat ferner
einige ſehr neue Bemerkungen über die Geſtirne vor¬
gebracht; er hat dabei zwar jenes herrlichſte aller Lichter,
das wir ſogar höher als die brennende Sonne ver¬
ehren, — er hat jenes Lichtes nicht gedacht, worin
ſelbſt das blödeſte Auge die ſanften und vollen Züge
des Angeſichts der Weltmutter Selinur erkennt; aber
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[283/0296] Scheue nach dem heiligen Zierrat hin; er ließ ihnen Zeit dazu und begann dann mit merkbarem Willen, ſich zu mäßigen! „Hochachtbarer Seanacha! Wir ſind Euch edlem Gaſte äußerſt dankbar für die Aufklärung, die uns Eure Gelehrſamkeit über den merkwürdigen Fund hat zu Theil werden laſſen. Nicht minder für einen Theil der tiefſinnigen Betrachtungen, die Ihr an Eure Aufſchlüſſe geknüpft habt. Ohne dem hochedeln Stande der Barden das Kleinſte entziehen zu wollen von der Ehre, die ſeinem profunden Wiſſen gebührt, möchte ich nur rückſichtsvoll andeutend darauf hin¬ weiſen, daß das Volksgemüth aus einem andern Theil dieſer Betrachtungen den ſcharfen, äzenden, Schwärung zeugenden Saft des Aergerniſſes, des höchſt bedenk¬ lichen Anreizes ziehen könnte. Es wurde ſich gegönnt (Kallar lächelte über die koſtbare Wendung), die Ver¬ muthung fallen zu laſſen, daß künftige Menſchenge¬ ſchlechter nicht mehr auf den Seen wohnen würden; dieß iſt aber ein Hauptſtück unſerer ehrwürdigen Reli¬ gion. Der werthzuſchätzende Vorredner hat ferner einige ſehr neue Bemerkungen über die Geſtirne vor¬ gebracht; er hat dabei zwar jenes herrlichſte aller Lichter, das wir ſogar höher als die brennende Sonne ver¬ ehren, — er hat jenes Lichtes nicht gedacht, worin ſelbſt das blödeſte Auge die ſanften und vollen Züge des Angeſichts der Weltmutter Selinur erkennt; aber ſollte die Folgerung zu kühn ſein, daß er ſie nicht

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/296>, abgerufen am 11.06.2024.