etwas Anderes zu sehen, als den Gottmenschen, durch den unser heiliger Orden sein Ansehen an die Gottheit knüpft! Auch das ist höchst verdammliche Irrlehre, daß Coridwen die Erdmutter sei; denn dadurch wird sie ja an die Stelle der allwebenden Selinur gehoben. Sie ist nur eine der Feen der Weltmutter gewesen, allerdings von ihr gewürdigt, einen Strahl ihrer Schöpferkraft in sich zu tragen und dem Waizenkorn geheimnißvoll einzuverleiben. Sie ist öfters freundlich unter Menschen gewandelt; es leben noch Menschen, die durch Verwandtschaft mit dem von ihr geborenen Taliesin mit ihr selbst verwandt sind. Sie hat ihren Zaubertopf vererbt; diese Gemeinde weiß, wo er sich befand, er ist nicht mehr, Frevlerhand hat ihn zer¬ schlagen. Alles wird zertrümmert, Menschliches ver¬ göttert, die Gottheit gestürzt. Die alte Urnacht kehrt wieder! Leere! Unendliches Hohl! Nichts! Nichts! Ich sehe den Fürsten der Nacht, den finstern Grippo lauern -- seine Augen glühen wie Feuerräder -- sein Kamm steigt und brennt feuerroth -- Schwefelglut haucht sein Rachen -- sein Drachenschweif ringelt sich -- ihm, dem Schrecklichen, und ihm, dem gottgesandten Ordens¬ haupte sollen die Menschenopfer versagt sein? Entsetz¬ lich! Nein, nie, nie soll --"
Er hatte stärker und stärker auf das Gesimsbrett zu trommeln und zu schlegeln angefangen, dann ver¬ sucht, auf der Bühne sich heftig hin- und herzubewegen;
etwas Anderes zu ſehen, als den Gottmenſchen, durch den unſer heiliger Orden ſein Anſehen an die Gottheit knüpft! Auch das iſt höchſt verdammliche Irrlehre, daß Coridwen die Erdmutter ſei; denn dadurch wird ſie ja an die Stelle der allwebenden Selinur gehoben. Sie iſt nur eine der Feen der Weltmutter geweſen, allerdings von ihr gewürdigt, einen Strahl ihrer Schöpferkraft in ſich zu tragen und dem Waizenkorn geheimnißvoll einzuverleiben. Sie iſt öfters freundlich unter Menſchen gewandelt; es leben noch Menſchen, die durch Verwandtſchaft mit dem von ihr geborenen Talieſin mit ihr ſelbſt verwandt ſind. Sie hat ihren Zaubertopf vererbt; dieſe Gemeinde weiß, wo er ſich befand, er iſt nicht mehr, Frevlerhand hat ihn zer¬ ſchlagen. Alles wird zertrümmert, Menſchliches ver¬ göttert, die Gottheit geſtürzt. Die alte Urnacht kehrt wieder! Leere! Unendliches Hohl! Nichts! Nichts! Ich ſehe den Fürſten der Nacht, den finſtern Grippo lauern — ſeine Augen glühen wie Feuerräder — ſein Kamm ſteigt und brennt feuerroth — Schwefelglut haucht ſein Rachen — ſein Drachenſchweif ringelt ſich — ihm, dem Schrecklichen, und ihm, dem gottgeſandten Ordens¬ haupte ſollen die Menſchenopfer verſagt ſein? Entſetz¬ lich! Nein, nie, nie ſoll —“
Er hatte ſtärker und ſtärker auf das Geſimsbrett zu trommeln und zu ſchlegeln angefangen, dann ver¬ ſucht, auf der Bühne ſich heftig hin- und herzubewegen;
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0298"n="285"/>
etwas Anderes zu ſehen, als den Gottmenſchen, durch<lb/>
den unſer heiliger Orden ſein Anſehen an die Gottheit<lb/>
knüpft! Auch das iſt höchſt verdammliche Irrlehre, daß<lb/>
Coridwen die Erdmutter ſei; denn dadurch wird ſie<lb/>
ja an die Stelle der allwebenden Selinur gehoben.<lb/>
Sie iſt nur eine der Feen der Weltmutter geweſen,<lb/>
allerdings von ihr gewürdigt, einen Strahl ihrer<lb/>
Schöpferkraft in ſich zu tragen und dem Waizenkorn<lb/>
geheimnißvoll einzuverleiben. Sie iſt öfters freundlich<lb/>
unter Menſchen gewandelt; es leben noch Menſchen,<lb/>
die durch Verwandtſchaft mit dem von ihr geborenen<lb/>
Talieſin mit ihr ſelbſt verwandt ſind. Sie hat ihren<lb/>
Zaubertopf vererbt; dieſe Gemeinde weiß, wo er ſich<lb/>
befand, er iſt nicht mehr, Frevlerhand hat ihn zer¬<lb/>ſchlagen. Alles wird zertrümmert, Menſchliches ver¬<lb/>
göttert, die Gottheit geſtürzt. Die alte Urnacht kehrt<lb/>
wieder! Leere! Unendliches Hohl! Nichts! Nichts! Ich<lb/>ſehe den Fürſten der Nacht, den finſtern Grippo lauern<lb/>—ſeine Augen glühen wie Feuerräder —ſein Kamm<lb/>ſteigt und brennt feuerroth — Schwefelglut haucht<lb/>ſein Rachen —ſein Drachenſchweif ringelt ſich — ihm,<lb/>
dem Schrecklichen, und ihm, dem gottgeſandten Ordens¬<lb/>
haupte ſollen die Menſchenopfer verſagt ſein? Entſetz¬<lb/>
lich! Nein, nie, nie ſoll —“</p><lb/><p>Er hatte ſtärker und ſtärker auf das Geſimsbrett<lb/>
zu trommeln und zu ſchlegeln angefangen, dann ver¬<lb/>ſucht, auf der Bühne ſich heftig hin- und herzubewegen;<lb/></p></div></body></text></TEI>
[285/0298]
etwas Anderes zu ſehen, als den Gottmenſchen, durch
den unſer heiliger Orden ſein Anſehen an die Gottheit
knüpft! Auch das iſt höchſt verdammliche Irrlehre, daß
Coridwen die Erdmutter ſei; denn dadurch wird ſie
ja an die Stelle der allwebenden Selinur gehoben.
Sie iſt nur eine der Feen der Weltmutter geweſen,
allerdings von ihr gewürdigt, einen Strahl ihrer
Schöpferkraft in ſich zu tragen und dem Waizenkorn
geheimnißvoll einzuverleiben. Sie iſt öfters freundlich
unter Menſchen gewandelt; es leben noch Menſchen,
die durch Verwandtſchaft mit dem von ihr geborenen
Talieſin mit ihr ſelbſt verwandt ſind. Sie hat ihren
Zaubertopf vererbt; dieſe Gemeinde weiß, wo er ſich
befand, er iſt nicht mehr, Frevlerhand hat ihn zer¬
ſchlagen. Alles wird zertrümmert, Menſchliches ver¬
göttert, die Gottheit geſtürzt. Die alte Urnacht kehrt
wieder! Leere! Unendliches Hohl! Nichts! Nichts! Ich
ſehe den Fürſten der Nacht, den finſtern Grippo lauern
— ſeine Augen glühen wie Feuerräder — ſein Kamm
ſteigt und brennt feuerroth — Schwefelglut haucht
ſein Rachen — ſein Drachenſchweif ringelt ſich — ihm,
dem Schrecklichen, und ihm, dem gottgeſandten Ordens¬
haupte ſollen die Menſchenopfer verſagt ſein? Entſetz¬
lich! Nein, nie, nie ſoll —“
Er hatte ſtärker und ſtärker auf das Geſimsbrett
zu trommeln und zu ſchlegeln angefangen, dann ver¬
ſucht, auf der Bühne ſich heftig hin- und herzubewegen;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/298>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.