Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich glaube, daß in allen Zeiten Männer, die sich also
begründet haben, dastehen wie die gewaltigen Wag¬
steine zwischen den kleinen Menschlein, die sich an
ihrem Fuß herumtreiben, und daher wohl haben unsere
Urahnen da und dort der beweglichen und doch un¬
entwegten Wagsäulen so viele gesetzt, weil sie wünsch¬
ten und hofften, daß es viele solche Männer gebe.

"Laßt mich auch ein Wörtlein vom Glück reden.
Glück, denk' ich, ist nur, wenn man also feststeht und
auf diese Weise hell und gescheut wird. Es ist ja
nur aus Blindheit und Gleichgewichtsmangel und Los¬
sprung vom Mittelpunkt, daß die Menschen Thoren
werden und wilde Narren, und lügen, betrügen, stehlen,
ehebrechen, rauben und morden, im Rausch, im Taumel
leben, nach Glück haschen und das Elend erhaschen.

"Gute, brave Stein-, Bein-, Horn- und Holzge¬
müther! Wackere Seeseelen! Nehmt mir nicht übel, ihr
solltet ein bischen weniger steinern, beinern, holzig und
hornig sein! Der See macht noch nicht selig! Ihr
solltet ein bischen mehr bohren, ich meine mit dem
Bohrer, der da hoben ist. (Er deutete mit dem Bohrer,
den er immer noch in der Hand hielt, nach der Stirn.)
Ihr wollt zu wenig harte Brettchen bohren!

"Ich bitt' euch, wozu ist man denn eigentlich? Wo¬
zu braucht es denn eigentlich die Seinerei, die Existi¬
rerei? Als, damit Wesen seien, welche das Wesen
wissen? Das Wesen wissen heißt dann auch das Rechte

Ich glaube, daß in allen Zeiten Männer, die ſich alſo
begründet haben, daſtehen wie die gewaltigen Wag¬
ſteine zwiſchen den kleinen Menſchlein, die ſich an
ihrem Fuß herumtreiben, und daher wohl haben unſere
Urahnen da und dort der beweglichen und doch un¬
entwegten Wagſäulen ſo viele geſetzt, weil ſie wünſch¬
ten und hofften, daß es viele ſolche Männer gebe.

„Laßt mich auch ein Wörtlein vom Glück reden.
Glück, denk' ich, iſt nur, wenn man alſo feſtſteht und
auf dieſe Weiſe hell und geſcheut wird. Es iſt ja
nur aus Blindheit und Gleichgewichtsmangel und Los¬
ſprung vom Mittelpunkt, daß die Menſchen Thoren
werden und wilde Narren, und lügen, betrügen, ſtehlen,
ehebrechen, rauben und morden, im Rauſch, im Taumel
leben, nach Glück haſchen und das Elend erhaſchen.

„Gute, brave Stein-, Bein-, Horn- und Holzge¬
müther! Wackere Seeſeelen! Nehmt mir nicht übel, ihr
ſolltet ein bischen weniger ſteinern, beinern, holzig und
hornig ſein! Der See macht noch nicht ſelig! Ihr
ſolltet ein bischen mehr bohren, ich meine mit dem
Bohrer, der da hoben iſt. (Er deutete mit dem Bohrer,
den er immer noch in der Hand hielt, nach der Stirn.)
Ihr wollt zu wenig harte Brettchen bohren!

„Ich bitt' euch, wozu iſt man denn eigentlich? Wo¬
zu braucht es denn eigentlich die Seinerei, die Exiſti¬
rerei? Als, damit Weſen ſeien, welche das Weſen
wiſſen? Das Weſen wiſſen heißt dann auch das Rechte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0290" n="277"/>
Ich glaube, daß in allen Zeiten Männer, die &#x017F;ich al&#x017F;o<lb/>
begründet haben, da&#x017F;tehen wie die gewaltigen Wag¬<lb/>
&#x017F;teine zwi&#x017F;chen den kleinen Men&#x017F;chlein, die &#x017F;ich an<lb/>
ihrem Fuß herumtreiben, und daher wohl haben un&#x017F;ere<lb/>
Urahnen da und dort der beweglichen und doch un¬<lb/>
entwegten Wag&#x017F;äulen &#x017F;o viele ge&#x017F;etzt, weil &#x017F;ie wün&#x017F;ch¬<lb/>
ten und hofften, daß es viele &#x017F;olche Männer gebe.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Laßt mich auch ein Wörtlein vom Glück reden.<lb/>
Glück, denk' ich, i&#x017F;t nur, wenn man al&#x017F;o fe&#x017F;t&#x017F;teht und<lb/>
auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e hell und ge&#x017F;cheut wird. Es i&#x017F;t ja<lb/>
nur aus Blindheit und Gleichgewichtsmangel und Los¬<lb/>
&#x017F;prung vom Mittelpunkt, daß die Men&#x017F;chen Thoren<lb/>
werden und wilde Narren, und lügen, betrügen, &#x017F;tehlen,<lb/>
ehebrechen, rauben und morden, im Rau&#x017F;ch, im Taumel<lb/>
leben, nach Glück ha&#x017F;chen und das Elend erha&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gute, brave Stein-, Bein-, Horn- und Holzge¬<lb/>
müther! Wackere See&#x017F;eelen! Nehmt mir nicht übel, ihr<lb/>
&#x017F;olltet ein bischen weniger &#x017F;teinern, beinern, holzig und<lb/>
hornig &#x017F;ein! Der See macht noch nicht &#x017F;elig! Ihr<lb/>
&#x017F;olltet ein bischen mehr bohren, ich meine mit dem<lb/>
Bohrer, der da hoben i&#x017F;t. (Er deutete mit dem Bohrer,<lb/>
den er immer noch in der Hand hielt, nach der Stirn.)<lb/>
Ihr wollt zu wenig harte Brettchen bohren!</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bitt' euch, wozu i&#x017F;t man denn eigentlich? Wo¬<lb/>
zu braucht es denn eigentlich die Seinerei, die Exi&#x017F;ti¬<lb/>
rerei? Als, damit We&#x017F;en &#x017F;eien, welche das We&#x017F;en<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en? Das We&#x017F;en wi&#x017F;&#x017F;en heißt dann auch das Rechte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0290] Ich glaube, daß in allen Zeiten Männer, die ſich alſo begründet haben, daſtehen wie die gewaltigen Wag¬ ſteine zwiſchen den kleinen Menſchlein, die ſich an ihrem Fuß herumtreiben, und daher wohl haben unſere Urahnen da und dort der beweglichen und doch un¬ entwegten Wagſäulen ſo viele geſetzt, weil ſie wünſch¬ ten und hofften, daß es viele ſolche Männer gebe. „Laßt mich auch ein Wörtlein vom Glück reden. Glück, denk' ich, iſt nur, wenn man alſo feſtſteht und auf dieſe Weiſe hell und geſcheut wird. Es iſt ja nur aus Blindheit und Gleichgewichtsmangel und Los¬ ſprung vom Mittelpunkt, daß die Menſchen Thoren werden und wilde Narren, und lügen, betrügen, ſtehlen, ehebrechen, rauben und morden, im Rauſch, im Taumel leben, nach Glück haſchen und das Elend erhaſchen. „Gute, brave Stein-, Bein-, Horn- und Holzge¬ müther! Wackere Seeſeelen! Nehmt mir nicht übel, ihr ſolltet ein bischen weniger ſteinern, beinern, holzig und hornig ſein! Der See macht noch nicht ſelig! Ihr ſolltet ein bischen mehr bohren, ich meine mit dem Bohrer, der da hoben iſt. (Er deutete mit dem Bohrer, den er immer noch in der Hand hielt, nach der Stirn.) Ihr wollt zu wenig harte Brettchen bohren! „Ich bitt' euch, wozu iſt man denn eigentlich? Wo¬ zu braucht es denn eigentlich die Seinerei, die Exiſti¬ rerei? Als, damit Weſen ſeien, welche das Weſen wiſſen? Das Weſen wiſſen heißt dann auch das Rechte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/290
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/290>, abgerufen am 05.12.2024.