Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
Streitfrage, als jene über die Idee in der Bedeutung des Inhalts, was
Streitfrage, als jene über die Idee in der Bedeutung des Inhalts, was <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0021" n="9"/> Streitfrage, als jene über die Idee in der Bedeutung des Inhalts, was<lb/> man ebenfalls in ungenauer Weiſe Stoff zu nennen pflegt. Wer ſich in<lb/> der Frage über das Gewicht des Inhalts im Schönen ſo oder ſo entſchieden<lb/> hat, der hat ſich in der andern über das Verhältniß der Naturſchönheit<lb/> zur Kunſt noch keineswegs entſchieden. Dort handelt es ſich um das<lb/> Gewicht der Idee im Schönen, um die Frage, ob ihre reine Einheit mit<lb/> dem Bilde nicht aufgehoben werde, wenn man den Werth des ganzen<lb/> Schönen nach dieſem Gewichte beſtimmt und zu dieſem Zwecke Idee und<lb/> Bild zuerſt ſtreng ſcheidet. Hier fragt es ſich, wo das Schöne in der<lb/> ungeſchiedenen Einheit ſeiner Momente in Wahrheit wirklich ſei, ob in<lb/> der Natur, ſo daß die Kunſt nur eine arme Nachahmung wäre, oder in<lb/> der Kunſt. Die erſte Streitfrage geht auf den Unterſchied von Gehalt und<lb/> Form, die zweite auf den zwiſchen Gegenſtand und ſubjectiver Thätigkeit<lb/> in Darſtellung des Gegenſtands, es handelt ſich hier darum, ob er gegeben<lb/> iſt oder geſchaffen wird, ob die Schönheit im Objecte oder im Subjecte<lb/> liegt. Beide Streitfragen ſind nicht zu verwechſeln. Wenn ich z. B. etwa<lb/> mit <hi rendition="#g">Hegel</hi> behaupte, nur eine Erſcheinung des gewichtigſten ſittlichen<lb/> Gehalts ſei ſchön, ſo bleibt mir, da die Geſchichte ſowohl als die Kunſt<lb/> ſolche Erſcheinungen darbietet, unbenommen, entweder hinzuzuſetzen: kein<lb/> Dichter kann ſo ſchön dichten, kein Maler ſo ſchön malen, als die Geſchichte<lb/> ſelbſt, oder aber: auch die gehaltvollſte Begebenheit iſt verglichen mit der<lb/> Umbildung im Gedicht noch roher Stoff. Wenn ich umgekehrt behaupte,<lb/> es komme auf den Inhalt als ſolchen nicht an, ſondern auf die Form<lb/> und jeder Gehalt könne durch ſeine Form ſchön werden, ſo habe ich damit<lb/> noch nicht entſchieden, ob ich unter Form die Naturbildung verſtehe, wie<lb/> ſie der Gehalt ſchon außer der Phantaſie und Kunſt an ſich hat, oder die<lb/> Geſtaltung, die er durch den Künſtler erhält. Wirklich haben wir im<lb/> erſten Theile die erſte Streitfrage ſo entſchieden, daß wir den Gegenſatz<lb/> der Anſichten in eine höhere lösten, und dieſe Löſung beſtand darin, daß<lb/> wir zwar jedem Lebensgehalte, der Idee auf jeder Stufe ihrer Wirklichkeit<lb/> mit wenigen einſchränkenden Bedingungen ihre Berechtigung in der Schönheit<lb/> einräumten, allerdings aber ſo, daß je die höhere Stufe der Idee<lb/> auch höhere Schönheit begründe. Nicht der Gehalt als ſolcher begründet<lb/> die Schönheit in der Stufenfolge des Werth-Unterſchieds, ſondern der Gehalt<lb/> wie er in die Form aufgeht; dieß hebt aber den Satz nicht auf, denn<lb/> der Gehalt beſtimmt nach ſich und bringt mit ſich auch ſeine Form und<lb/> zwar der höhere die höhere; die Idee baut ſich z. B. einen anderen Leib<lb/> als vegetabiliſches Leben, einen anderen als thieriſches, als geiſtiges Weſen.<lb/> Vergl. hiezu §. 17, <hi rendition="#sub">3.</hi> §. 19 u. §. 55. Nun forderten wir allerdings nicht<lb/> Form überhaupt, ſondern <hi rendition="#g">reine</hi> Form, und ſo ſcheint es, wir haben auch<lb/> die zweite Streitfrage und zwar zu Gunſten der ſubjectiven Thätigkeit,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0021]
Streitfrage, als jene über die Idee in der Bedeutung des Inhalts, was
man ebenfalls in ungenauer Weiſe Stoff zu nennen pflegt. Wer ſich in
der Frage über das Gewicht des Inhalts im Schönen ſo oder ſo entſchieden
hat, der hat ſich in der andern über das Verhältniß der Naturſchönheit
zur Kunſt noch keineswegs entſchieden. Dort handelt es ſich um das
Gewicht der Idee im Schönen, um die Frage, ob ihre reine Einheit mit
dem Bilde nicht aufgehoben werde, wenn man den Werth des ganzen
Schönen nach dieſem Gewichte beſtimmt und zu dieſem Zwecke Idee und
Bild zuerſt ſtreng ſcheidet. Hier fragt es ſich, wo das Schöne in der
ungeſchiedenen Einheit ſeiner Momente in Wahrheit wirklich ſei, ob in
der Natur, ſo daß die Kunſt nur eine arme Nachahmung wäre, oder in
der Kunſt. Die erſte Streitfrage geht auf den Unterſchied von Gehalt und
Form, die zweite auf den zwiſchen Gegenſtand und ſubjectiver Thätigkeit
in Darſtellung des Gegenſtands, es handelt ſich hier darum, ob er gegeben
iſt oder geſchaffen wird, ob die Schönheit im Objecte oder im Subjecte
liegt. Beide Streitfragen ſind nicht zu verwechſeln. Wenn ich z. B. etwa
mit Hegel behaupte, nur eine Erſcheinung des gewichtigſten ſittlichen
Gehalts ſei ſchön, ſo bleibt mir, da die Geſchichte ſowohl als die Kunſt
ſolche Erſcheinungen darbietet, unbenommen, entweder hinzuzuſetzen: kein
Dichter kann ſo ſchön dichten, kein Maler ſo ſchön malen, als die Geſchichte
ſelbſt, oder aber: auch die gehaltvollſte Begebenheit iſt verglichen mit der
Umbildung im Gedicht noch roher Stoff. Wenn ich umgekehrt behaupte,
es komme auf den Inhalt als ſolchen nicht an, ſondern auf die Form
und jeder Gehalt könne durch ſeine Form ſchön werden, ſo habe ich damit
noch nicht entſchieden, ob ich unter Form die Naturbildung verſtehe, wie
ſie der Gehalt ſchon außer der Phantaſie und Kunſt an ſich hat, oder die
Geſtaltung, die er durch den Künſtler erhält. Wirklich haben wir im
erſten Theile die erſte Streitfrage ſo entſchieden, daß wir den Gegenſatz
der Anſichten in eine höhere lösten, und dieſe Löſung beſtand darin, daß
wir zwar jedem Lebensgehalte, der Idee auf jeder Stufe ihrer Wirklichkeit
mit wenigen einſchränkenden Bedingungen ihre Berechtigung in der Schönheit
einräumten, allerdings aber ſo, daß je die höhere Stufe der Idee
auch höhere Schönheit begründe. Nicht der Gehalt als ſolcher begründet
die Schönheit in der Stufenfolge des Werth-Unterſchieds, ſondern der Gehalt
wie er in die Form aufgeht; dieß hebt aber den Satz nicht auf, denn
der Gehalt beſtimmt nach ſich und bringt mit ſich auch ſeine Form und
zwar der höhere die höhere; die Idee baut ſich z. B. einen anderen Leib
als vegetabiliſches Leben, einen anderen als thieriſches, als geiſtiges Weſen.
Vergl. hiezu §. 17, 3. §. 19 u. §. 55. Nun forderten wir allerdings nicht
Form überhaupt, ſondern reine Form, und ſo ſcheint es, wir haben auch
die zweite Streitfrage und zwar zu Gunſten der ſubjectiven Thätigkeit,
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