1. Ueber den Fall der eigenen Besinnung des verlachten Subjects und deren Beschränkung sagt J. Paul (a. a. O. §. 28): "daher kann Niemand sich selber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn eine Stunde später seyn, wo er schon sein zweites Ich geworden und dem ersten die Einsichten des zweiten andichten kann." Eine Stunde später: dies ist etwas zu wenig zugegeben; die Besinnung kann unmit- telbar im Momente des Anpralls an das Hinderniß eintreten, und zwar, wenn er stark ist, selbst bei geistig minder freien Subjecten. Je geist- voller das Subject, desto leichter tritt sie ein und desto sicherer wird sich das Bewußtseyn der eigenen Thorheit auch als Totalstimmung über den ganzen Charakter verbreiten, welche nur während der einzelnen komischen Verwicklung vorerst immer wieder unterbrochen wird. Ueber Gebrechen der eigenen Gestalt z. B. kann ein fortdauerndes spielendes Bewußtseyn statt finden und sich von da über die ganze Welt ausdehnen; aber in dem Momente, wo ein solches Gebrechen beschwerlich wird, erlaubt der Aerger nicht sogleich den Scherz. In allem Komischen ist der Begriff der Folie wesentlich: "mit der höhern Ansicht ver- lachen wir die niedere" (St. Schütze a. a. O. S. 68). Je tiefer nun ein Geist, desto mehr verdoppelt er sich in sich selbst, wird sich zum Object, sieht in sich hinein und legt allem dem, worin er bloses Seyn (bewußtlos) ist, sein Wissen als durchschimmernde Folie unter.
2. Der Unterschied nun, ob ein volles Leihen Statt findet, oder ob das verlachte Subject dem Lachenden die Hälfte der Arbeit abnimmt, ist schon deßwegen für den Begriff des Komischen unwesentlich, weil, wie der Schluß des §. sagt, doch ja eben nur die Hälfte abgenommen wird. Dieser Unterschied wird erst in der Eintheilung des Komischen an einem gewissen Punkte wichtig. Hier hat Ruge aufgehellt (a. a. O. 114 ff.): "ob diese Thätigkeit (der Befreiung durch die blose Be- sinnung des abgewichenen Geistes über das, was er in Wahrheit ist) von Hinz oder Kunz ausgeht, ob von dem, der durch seine innere Ver- wirrung den Anlaß gibt, selbst, so daß ihm seine eigene Confusion erscheint, er also erst in der Verwirrung ist und dann sich darin erkennt, oder ob ein Anderer die Geistesverwirrung und Verzerrung auffaßt als diese festgewordene Thätigkeit und sie durch diese erkennende Auffassung oder diese bewußte Anschauung in die wahre Thätigkeit und freie Flüssigkeit des Geistes wieder umsetzt, das ist gleichviel. -- Der komische Vorgang ist dieser Eine, daß zuerst die Entzweiung, der Abfall des Geistes von sich vorhanden ist; der Geist unterscheidet sich in sich, seine
1. Ueber den Fall der eigenen Beſinnung des verlachten Subjects und deren Beſchränkung ſagt J. Paul (a. a. O. §. 28): „daher kann Niemand ſich ſelber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn eine Stunde ſpäter ſeyn, wo er ſchon ſein zweites Ich geworden und dem erſten die Einſichten des zweiten andichten kann.“ Eine Stunde ſpäter: dies iſt etwas zu wenig zugegeben; die Beſinnung kann unmit- telbar im Momente des Anpralls an das Hinderniß eintreten, und zwar, wenn er ſtark iſt, ſelbſt bei geiſtig minder freien Subjecten. Je geiſt- voller das Subject, deſto leichter tritt ſie ein und deſto ſicherer wird ſich das Bewußtſeyn der eigenen Thorheit auch als Totalſtimmung über den ganzen Charakter verbreiten, welche nur während der einzelnen komiſchen Verwicklung vorerſt immer wieder unterbrochen wird. Ueber Gebrechen der eigenen Geſtalt z. B. kann ein fortdauerndes ſpielendes Bewußtſeyn ſtatt finden und ſich von da über die ganze Welt ausdehnen; aber in dem Momente, wo ein ſolches Gebrechen beſchwerlich wird, erlaubt der Aerger nicht ſogleich den Scherz. In allem Komiſchen iſt der Begriff der Folie weſentlich: „mit der höhern Anſicht ver- lachen wir die niedere“ (St. Schütze a. a. O. S. 68). Je tiefer nun ein Geiſt, deſto mehr verdoppelt er ſich in ſich ſelbſt, wird ſich zum Object, ſieht in ſich hinein und legt allem dem, worin er bloſes Seyn (bewußtlos) iſt, ſein Wiſſen als durchſchimmernde Folie unter.
2. Der Unterſchied nun, ob ein volles Leihen Statt findet, oder ob das verlachte Subject dem Lachenden die Hälfte der Arbeit abnimmt, iſt ſchon deßwegen für den Begriff des Komiſchen unweſentlich, weil, wie der Schluß des §. ſagt, doch ja eben nur die Hälfte abgenommen wird. Dieſer Unterſchied wird erſt in der Eintheilung des Komiſchen an einem gewiſſen Punkte wichtig. Hier hat Ruge aufgehellt (a. a. O. 114 ff.): „ob dieſe Thätigkeit (der Befreiung durch die bloſe Be- ſinnung des abgewichenen Geiſtes über das, was er in Wahrheit iſt) von Hinz oder Kunz ausgeht, ob von dem, der durch ſeine innere Ver- wirrung den Anlaß gibt, ſelbſt, ſo daß ihm ſeine eigene Confuſion erſcheint, er alſo erſt in der Verwirrung iſt und dann ſich darin erkennt, oder ob ein Anderer die Geiſtesverwirrung und Verzerrung auffaßt als dieſe feſtgewordene Thätigkeit und ſie durch dieſe erkennende Auffaſſung oder dieſe bewußte Anſchauung in die wahre Thätigkeit und freie Flüſſigkeit des Geiſtes wieder umſetzt, das iſt gleichviel. — Der komiſche Vorgang iſt dieſer Eine, daß zuerſt die Entzweiung, der Abfall des Geiſtes von ſich vorhanden iſt; der Geiſt unterſcheidet ſich in ſich, ſeine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0410"n="396"/><p><hirendition="#et">1. Ueber den Fall der eigenen Beſinnung des verlachten Subjects<lb/>
und deren Beſchränkung ſagt J. <hirendition="#g">Paul</hi> (a. a. O. §. 28): „daher kann<lb/>
Niemand ſich ſelber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn<lb/>
eine Stunde ſpäter ſeyn, wo er ſchon ſein zweites Ich geworden und<lb/>
dem erſten die Einſichten des zweiten andichten kann.“ Eine Stunde<lb/>ſpäter: dies iſt etwas zu wenig zugegeben; die Beſinnung kann unmit-<lb/>
telbar im Momente des Anpralls an das Hinderniß eintreten, und zwar,<lb/>
wenn er ſtark iſt, ſelbſt bei geiſtig minder freien Subjecten. Je geiſt-<lb/>
voller das Subject, deſto leichter tritt ſie ein und deſto ſicherer wird<lb/>ſich das Bewußtſeyn der eigenen Thorheit auch als Totalſtimmung über<lb/>
den ganzen Charakter verbreiten, welche nur während der einzelnen<lb/>
komiſchen Verwicklung vorerſt immer wieder unterbrochen wird. Ueber<lb/>
Gebrechen der eigenen Geſtalt z. B. kann ein fortdauerndes ſpielendes<lb/>
Bewußtſeyn ſtatt finden und ſich von da über die ganze Welt ausdehnen;<lb/>
aber in dem Momente, wo ein ſolches Gebrechen beſchwerlich wird,<lb/>
erlaubt der Aerger nicht ſogleich den Scherz. In allem Komiſchen iſt<lb/>
der Begriff der <hirendition="#g">Folie</hi> weſentlich: „<hirendition="#g">mit der höhern Anſicht ver-<lb/>
lachen wir die niedere</hi>“ (<hirendition="#g">St. Schütze</hi> a. a. O. S. 68). Je tiefer<lb/>
nun ein Geiſt, deſto mehr verdoppelt er ſich in ſich ſelbſt, wird ſich<lb/>
zum Object, ſieht in ſich hinein und legt allem dem, worin er bloſes<lb/>
Seyn (bewußtlos) iſt, ſein Wiſſen als durchſchimmernde Folie unter.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Der Unterſchied nun, ob ein volles Leihen Statt findet, oder<lb/>
ob das verlachte Subject dem Lachenden die Hälfte der Arbeit abnimmt,<lb/>
iſt ſchon deßwegen für den Begriff des Komiſchen unweſentlich, weil,<lb/>
wie der Schluß des §. ſagt, doch ja eben nur die Hälfte abgenommen<lb/>
wird. Dieſer Unterſchied wird erſt in der Eintheilung des Komiſchen<lb/>
an einem gewiſſen Punkte wichtig. Hier hat <hirendition="#g">Ruge</hi> aufgehellt (a. a.<lb/>
O. 114 ff.): „ob dieſe Thätigkeit (der Befreiung durch die bloſe Be-<lb/>ſinnung des abgewichenen Geiſtes über das, was er in Wahrheit iſt)<lb/>
von Hinz oder Kunz ausgeht, ob von dem, der durch ſeine innere Ver-<lb/>
wirrung den Anlaß gibt, ſelbſt, ſo daß ihm ſeine eigene Confuſion<lb/>
erſcheint, er alſo erſt in der Verwirrung iſt und dann ſich darin erkennt,<lb/>
oder ob ein Anderer die Geiſtesverwirrung und Verzerrung auffaßt als<lb/>
dieſe feſtgewordene Thätigkeit und ſie durch dieſe erkennende Auffaſſung<lb/>
oder dieſe bewußte Anſchauung in die wahre Thätigkeit und freie<lb/>
Flüſſigkeit des Geiſtes wieder umſetzt, das iſt gleichviel. — Der komiſche<lb/>
Vorgang iſt dieſer Eine, daß zuerſt die Entzweiung, der Abfall des<lb/>
Geiſtes von ſich vorhanden iſt; der Geiſt unterſcheidet ſich in ſich, ſeine<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[396/0410]
1. Ueber den Fall der eigenen Beſinnung des verlachten Subjects
und deren Beſchränkung ſagt J. Paul (a. a. O. §. 28): „daher kann
Niemand ſich ſelber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn
eine Stunde ſpäter ſeyn, wo er ſchon ſein zweites Ich geworden und
dem erſten die Einſichten des zweiten andichten kann.“ Eine Stunde
ſpäter: dies iſt etwas zu wenig zugegeben; die Beſinnung kann unmit-
telbar im Momente des Anpralls an das Hinderniß eintreten, und zwar,
wenn er ſtark iſt, ſelbſt bei geiſtig minder freien Subjecten. Je geiſt-
voller das Subject, deſto leichter tritt ſie ein und deſto ſicherer wird
ſich das Bewußtſeyn der eigenen Thorheit auch als Totalſtimmung über
den ganzen Charakter verbreiten, welche nur während der einzelnen
komiſchen Verwicklung vorerſt immer wieder unterbrochen wird. Ueber
Gebrechen der eigenen Geſtalt z. B. kann ein fortdauerndes ſpielendes
Bewußtſeyn ſtatt finden und ſich von da über die ganze Welt ausdehnen;
aber in dem Momente, wo ein ſolches Gebrechen beſchwerlich wird,
erlaubt der Aerger nicht ſogleich den Scherz. In allem Komiſchen iſt
der Begriff der Folie weſentlich: „mit der höhern Anſicht ver-
lachen wir die niedere“ (St. Schütze a. a. O. S. 68). Je tiefer
nun ein Geiſt, deſto mehr verdoppelt er ſich in ſich ſelbſt, wird ſich
zum Object, ſieht in ſich hinein und legt allem dem, worin er bloſes
Seyn (bewußtlos) iſt, ſein Wiſſen als durchſchimmernde Folie unter.
2. Der Unterſchied nun, ob ein volles Leihen Statt findet, oder
ob das verlachte Subject dem Lachenden die Hälfte der Arbeit abnimmt,
iſt ſchon deßwegen für den Begriff des Komiſchen unweſentlich, weil,
wie der Schluß des §. ſagt, doch ja eben nur die Hälfte abgenommen
wird. Dieſer Unterſchied wird erſt in der Eintheilung des Komiſchen
an einem gewiſſen Punkte wichtig. Hier hat Ruge aufgehellt (a. a.
O. 114 ff.): „ob dieſe Thätigkeit (der Befreiung durch die bloſe Be-
ſinnung des abgewichenen Geiſtes über das, was er in Wahrheit iſt)
von Hinz oder Kunz ausgeht, ob von dem, der durch ſeine innere Ver-
wirrung den Anlaß gibt, ſelbſt, ſo daß ihm ſeine eigene Confuſion
erſcheint, er alſo erſt in der Verwirrung iſt und dann ſich darin erkennt,
oder ob ein Anderer die Geiſtesverwirrung und Verzerrung auffaßt als
dieſe feſtgewordene Thätigkeit und ſie durch dieſe erkennende Auffaſſung
oder dieſe bewußte Anſchauung in die wahre Thätigkeit und freie
Flüſſigkeit des Geiſtes wieder umſetzt, das iſt gleichviel. — Der komiſche
Vorgang iſt dieſer Eine, daß zuerſt die Entzweiung, der Abfall des
Geiſtes von ſich vorhanden iſt; der Geiſt unterſcheidet ſich in ſich, ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/410>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.