streben des Thoren erscheint sein ganzes Leben hindurch halb vereitelt und halb beglückt" u. s. w. (S. 48) -- "er wird am Ende klug, ohne es gewollt, oder glücklich, ohne es erst verdient zu haben" (121). Es folgt aus diesem Allem, daß der Mittelzustand, auf den das Komische führt, nicht als formales Maß der Mitte zu fassen ist, sondern als fortdauernde Oscillation. Die Idee muß immer hinauswollen und zu- rücksinken, das Komische ist nicht die geistlose Zufriedenheit des Philisters; das Kleine muß immer dazwischen spielen, vereiteln, zu einem leidlichen Glücke führen, aber es ist dem Thoren nicht darum wohl in seiner Haut, weil er dieses Mittelglück ruhig zu genießen der Mann wäre, es prickelt vielmehr immer in ihm, darüber hinaus in's Ungewöhnliche zu streben und dieses Streben mitten im Anlauf wieder aufzugeben: eben ein Beweis, daß im unendlich Kleinen die Idee wohnt, die sich selbst das Spiel bereitet, sich außer sich zu setzen, und von dieser Fata Morgana ihrer selbst auf den festen Boden zurückzufallen. Nur etwas bleibt fest: und dies ist eben diese Bewegung als Bewegung der Subjectivität.
§. 181.
Es ist zu dem Acte des Komischen ein Leihen von Seiten des Zu- schauers gefordert, aber auch der Fall angenommen worden, daß das verlachte1 Subject selbst zum Bewußtseyn komme (§. 180). Das Letztere wird bei jedem geistig freieren Subjecte der Fall seyn, doch nicht im Anfange, sondern erst am Wendepunkt oder Schluß der Verirrung. Uebrigens kann sich, je den Anfang der einzelnen Verirrung ausgenommen, diese Freiheit des Bewußtseyns auch als dauernde Selbstbeschauung auf die ganze Persönlichkeit ausdehnen. Für den wissenschaftlichen Begriff des Komischen ist es aber, wie Ruge nachge-2 wiesen, gleichgültig, ob das Bewußtseyn in das verlachte Subject selbst wirklich, oder in dieses nur als Möglichkeit, eigentlich aber in das zuschauende, diese Mög- lichkeit durch Unterschiebung zur Wirklichkeit erhebende fällt; denn es ist die Eine Subjectivität in beiden, die sich gerade im Momente der Wahrnehmung des Komischen, ihr Bewußtseyn gegenseitig ergänzend, zu Einer Persönlichkeit zusammenbewegt, und auch wenn jener erste Fall vorliegt, ist das zuschauende Subject nicht nur aus dem allgemeinen ästhetischen Grunde (§. 70), sondern auch aus dem besonderen, daß dem verlachten Subjecte das wirkliche Be- wußtseyn jedenfalls im Aufange mangelt, wesentlich mitgesetzt.
ſtreben des Thoren erſcheint ſein ganzes Leben hindurch halb vereitelt und halb beglückt“ u. ſ. w. (S. 48) — „er wird am Ende klug, ohne es gewollt, oder glücklich, ohne es erſt verdient zu haben“ (121). Es folgt aus dieſem Allem, daß der Mittelzuſtand, auf den das Komiſche führt, nicht als formales Maß der Mitte zu faſſen iſt, ſondern als fortdauernde Oscillation. Die Idee muß immer hinauswollen und zu- rückſinken, das Komiſche iſt nicht die geiſtloſe Zufriedenheit des Philiſters; das Kleine muß immer dazwiſchen ſpielen, vereiteln, zu einem leidlichen Glücke führen, aber es iſt dem Thoren nicht darum wohl in ſeiner Haut, weil er dieſes Mittelglück ruhig zu genießen der Mann wäre, es prickelt vielmehr immer in ihm, darüber hinaus in’s Ungewöhnliche zu ſtreben und dieſes Streben mitten im Anlauf wieder aufzugeben: eben ein Beweis, daß im unendlich Kleinen die Idee wohnt, die ſich ſelbſt das Spiel bereitet, ſich außer ſich zu ſetzen, und von dieſer Fata Morgana ihrer ſelbſt auf den feſten Boden zurückzufallen. Nur etwas bleibt feſt: und dies iſt eben dieſe Bewegung als Bewegung der Subjectivität.
§. 181.
Es iſt zu dem Acte des Komiſchen ein Leihen von Seiten des Zu- ſchauers gefordert, aber auch der Fall angenommen worden, daß das verlachte1 Subject ſelbſt zum Bewußtſeyn komme (§. 180). Das Letztere wird bei jedem geiſtig freieren Subjecte der Fall ſeyn, doch nicht im Anfange, ſondern erſt am Wendepunkt oder Schluß der Verirrung. Uebrigens kann ſich, je den Anfang der einzelnen Verirrung ausgenommen, dieſe Freiheit des Bewußtſeyns auch als dauernde Selbſtbeſchauung auf die ganze Perſönlichkeit ausdehnen. Für den wiſſenſchaftlichen Begriff des Komiſchen iſt es aber, wie Ruge nachge-2 wieſen, gleichgültig, ob das Bewußtſeyn in das verlachte Subject ſelbſt wirklich, oder in dieſes nur als Möglichkeit, eigentlich aber in das zuſchauende, dieſe Mög- lichkeit durch Unterſchiebung zur Wirklichkeit erhebende fällt; denn es iſt die Eine Subjectivität in beiden, die ſich gerade im Momente der Wahrnehmung des Komiſchen, ihr Bewußtſeyn gegenſeitig ergänzend, zu Einer Perſönlichkeit zuſammenbewegt, und auch wenn jener erſte Fall vorliegt, iſt das zuſchauende Subject nicht nur aus dem allgemeinen äſthetiſchen Grunde (§. 70), ſondern auch aus dem beſonderen, daß dem verlachten Subjecte das wirkliche Be- wußtſeyn jedenfalls im Aufange mangelt, weſentlich mitgeſetzt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0409"n="395"/>ſtreben des Thoren erſcheint ſein ganzes Leben hindurch halb vereitelt<lb/>
und halb beglückt“ u. ſ. w. (S. 48) —„er wird am Ende klug,<lb/>
ohne es gewollt, oder glücklich, ohne es erſt verdient zu haben“ (121).<lb/>
Es folgt aus dieſem Allem, daß der Mittelzuſtand, auf den das Komiſche<lb/>
führt, nicht als formales Maß der Mitte zu faſſen iſt, ſondern als<lb/>
fortdauernde Oscillation. Die Idee muß immer hinauswollen und zu-<lb/>
rückſinken, das Komiſche iſt nicht die geiſtloſe Zufriedenheit des Philiſters;<lb/>
das Kleine muß immer dazwiſchen ſpielen, vereiteln, zu einem leidlichen<lb/>
Glücke führen, aber es iſt dem Thoren nicht darum wohl in ſeiner Haut,<lb/>
weil er dieſes Mittelglück ruhig zu genießen der Mann wäre, es<lb/>
prickelt vielmehr immer in ihm, darüber hinaus in’s Ungewöhnliche zu<lb/>ſtreben und dieſes Streben mitten im Anlauf wieder aufzugeben: eben<lb/>
ein Beweis, daß im unendlich Kleinen die Idee wohnt, die ſich ſelbſt<lb/>
das Spiel bereitet, ſich außer ſich zu ſetzen, und von dieſer Fata Morgana<lb/>
ihrer ſelbſt auf den feſten Boden zurückzufallen. Nur etwas bleibt feſt:<lb/>
und dies iſt eben dieſe Bewegung als Bewegung der Subjectivität.</hi></p></div><lb/><divn="5"><head>§. 181.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Es iſt zu dem Acte des Komiſchen ein Leihen von Seiten des Zu-<lb/>ſchauers gefordert, aber auch der Fall angenommen worden, daß das verlachte<noteplace="right">1</note><lb/>
Subject ſelbſt zum Bewußtſeyn komme (§. 180). Das Letztere wird bei jedem<lb/>
geiſtig freieren Subjecte der Fall ſeyn, doch nicht im Anfange, ſondern erſt<lb/>
am Wendepunkt oder Schluß der Verirrung. Uebrigens kann ſich, je den Anfang<lb/>
der einzelnen Verirrung ausgenommen, dieſe Freiheit des Bewußtſeyns auch<lb/>
als dauernde Selbſtbeſchauung auf die ganze Perſönlichkeit ausdehnen. Für<lb/>
den wiſſenſchaftlichen Begriff des Komiſchen iſt es aber, wie <hirendition="#g">Ruge</hi> nachge-<noteplace="right">2</note><lb/>
wieſen, gleichgültig, ob das Bewußtſeyn in das verlachte Subject ſelbſt wirklich,<lb/>
oder in dieſes nur als Möglichkeit, eigentlich aber in das zuſchauende, dieſe Mög-<lb/>
lichkeit durch Unterſchiebung zur Wirklichkeit erhebende fällt; denn es iſt die<lb/>
Eine Subjectivität in beiden, die ſich gerade im Momente der Wahrnehmung<lb/>
des Komiſchen, ihr Bewußtſeyn gegenſeitig ergänzend, zu Einer Perſönlichkeit<lb/>
zuſammenbewegt, und auch wenn jener erſte Fall vorliegt, iſt das zuſchauende<lb/>
Subject nicht nur aus dem allgemeinen äſthetiſchen Grunde (§. 70), ſondern<lb/>
auch aus dem beſonderen, daß dem verlachten Subjecte das wirkliche Be-<lb/>
wußtſeyn jedenfalls im Aufange mangelt, weſentlich mitgeſetzt.</hi></p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[395/0409]
ſtreben des Thoren erſcheint ſein ganzes Leben hindurch halb vereitelt
und halb beglückt“ u. ſ. w. (S. 48) — „er wird am Ende klug,
ohne es gewollt, oder glücklich, ohne es erſt verdient zu haben“ (121).
Es folgt aus dieſem Allem, daß der Mittelzuſtand, auf den das Komiſche
führt, nicht als formales Maß der Mitte zu faſſen iſt, ſondern als
fortdauernde Oscillation. Die Idee muß immer hinauswollen und zu-
rückſinken, das Komiſche iſt nicht die geiſtloſe Zufriedenheit des Philiſters;
das Kleine muß immer dazwiſchen ſpielen, vereiteln, zu einem leidlichen
Glücke führen, aber es iſt dem Thoren nicht darum wohl in ſeiner Haut,
weil er dieſes Mittelglück ruhig zu genießen der Mann wäre, es
prickelt vielmehr immer in ihm, darüber hinaus in’s Ungewöhnliche zu
ſtreben und dieſes Streben mitten im Anlauf wieder aufzugeben: eben
ein Beweis, daß im unendlich Kleinen die Idee wohnt, die ſich ſelbſt
das Spiel bereitet, ſich außer ſich zu ſetzen, und von dieſer Fata Morgana
ihrer ſelbſt auf den feſten Boden zurückzufallen. Nur etwas bleibt feſt:
und dies iſt eben dieſe Bewegung als Bewegung der Subjectivität.
§. 181.
Es iſt zu dem Acte des Komiſchen ein Leihen von Seiten des Zu-
ſchauers gefordert, aber auch der Fall angenommen worden, daß das verlachte
Subject ſelbſt zum Bewußtſeyn komme (§. 180). Das Letztere wird bei jedem
geiſtig freieren Subjecte der Fall ſeyn, doch nicht im Anfange, ſondern erſt
am Wendepunkt oder Schluß der Verirrung. Uebrigens kann ſich, je den Anfang
der einzelnen Verirrung ausgenommen, dieſe Freiheit des Bewußtſeyns auch
als dauernde Selbſtbeſchauung auf die ganze Perſönlichkeit ausdehnen. Für
den wiſſenſchaftlichen Begriff des Komiſchen iſt es aber, wie Ruge nachge-
wieſen, gleichgültig, ob das Bewußtſeyn in das verlachte Subject ſelbſt wirklich,
oder in dieſes nur als Möglichkeit, eigentlich aber in das zuſchauende, dieſe Mög-
lichkeit durch Unterſchiebung zur Wirklichkeit erhebende fällt; denn es iſt die
Eine Subjectivität in beiden, die ſich gerade im Momente der Wahrnehmung
des Komiſchen, ihr Bewußtſeyn gegenſeitig ergänzend, zu Einer Perſönlichkeit
zuſammenbewegt, und auch wenn jener erſte Fall vorliegt, iſt das zuſchauende
Subject nicht nur aus dem allgemeinen äſthetiſchen Grunde (§. 70), ſondern
auch aus dem beſonderen, daß dem verlachten Subjecte das wirkliche Be-
wußtſeyn jedenfalls im Aufange mangelt, weſentlich mitgeſetzt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/409>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.