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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Tuberkel.
so würde er unzweifelhaft zu einem anderen Resultate gekom-
men sein.

Man kann, wie ich es wenigstens für richtig halte, aller-
dings sagen, dass der grösste Theil desjenigen, was im Laufe
der Tuberkulose nicht in Knotenform erscheint, eingedicktes
Entzündungsprodukt sei, und dass dieses zunächst wenigstens
keine Beziehungen zum Tuberkel habe. Allein neben diesem
Produkte oder auch unabhängig von demselben gibt es ein
Gebilde, welches in die gewöhnliche Bezeichnung nicht mehr
hineinpassen würde, wenn man jene Entzündungs-Produkte
Tuberkel nennt; und es ist gewiss eine äusserst characte-
ristische Thatsache, dass man in Frankreich, wo die Termi-
nologie von Lebert die maassgebende geworden ist und
wo man die Corpuscules tuberculeux als die nothwendigen Be-
gleiter der Tuberkulose angesehen hat, in der neuesten Zeit
auf den Gedanken gekommen ist, der eigentliche Tuberkel
sei noch etwas ganz Neues und bis jetzt noch gar nicht Be-
zeichnetes. Einer der besten, ja vielleicht der beste Mikro-
graph, den Frankreich besitzt, Robin hat bei Untersuchung
der Meningitis tuberculosa die kleinen Knoten in der Pia mater,
die alle Welt für Tuberkeln hält, nicht dafür halten zu kön-
nen geglaubt, weil einmal das Dogma in Frankreich herrscht,
dass der Tuberkel aus soliden, unzelligen Körpern bestehe,
und weil in den Tuberkeln der Hirnhaut vollständig erhaltene
Zellen vorkommen. Zu so sonderbaren Verirrungen führt
dieser Weg, dass man am Ende den eigentlichen Tuber-
kel gar nicht mehr bezeichnen kann, weil man so viel
zufällige Dinge mit ihm zusammen geworfen hat, dass man
über lauter Zufälligem das Gesuchte oder selbst das Gefundene,
was man schon besessen, wieder aus der Hand verliert. Ich
halte dafür, dass der Tuberkel ein Korn, ein Knötchen sei,
und dass dieses Knötchen eine Neubildung darstellt, und zwar
eine Neubildung, welche von ihrer ersten Entwickelung an
nothwendig zelliger Natur ist, welche in der Regel grade so
wie die anderen Neubildungen aus Bindegewebe hervorgeht,
und welche, wenn sie zu einer gewissen Entwickelung ge-
kommen ist, innerhalb dieses Gewebes einen kleinen, wenn
er an der Oberfläche sich befindet, in Form eines Höckers

Tuberkel.
so würde er unzweifelhaft zu einem anderen Resultate gekom-
men sein.

Man kann, wie ich es wenigstens für richtig halte, aller-
dings sagen, dass der grösste Theil desjenigen, was im Laufe
der Tuberkulose nicht in Knotenform erscheint, eingedicktes
Entzündungsprodukt sei, und dass dieses zunächst wenigstens
keine Beziehungen zum Tuberkel habe. Allein neben diesem
Produkte oder auch unabhängig von demselben gibt es ein
Gebilde, welches in die gewöhnliche Bezeichnung nicht mehr
hineinpassen würde, wenn man jene Entzündungs-Produkte
Tuberkel nennt; und es ist gewiss eine äusserst characte-
ristische Thatsache, dass man in Frankreich, wo die Termi-
nologie von Lebert die maassgebende geworden ist und
wo man die Corpuscules tuberculeux als die nothwendigen Be-
gleiter der Tuberkulose angesehen hat, in der neuesten Zeit
auf den Gedanken gekommen ist, der eigentliche Tuberkel
sei noch etwas ganz Neues und bis jetzt noch gar nicht Be-
zeichnetes. Einer der besten, ja vielleicht der beste Mikro-
graph, den Frankreich besitzt, Robin hat bei Untersuchung
der Meningitis tuberculosa die kleinen Knoten in der Pia mater,
die alle Welt für Tuberkeln hält, nicht dafür halten zu kön-
nen geglaubt, weil einmal das Dogma in Frankreich herrscht,
dass der Tuberkel aus soliden, unzelligen Körpern bestehe,
und weil in den Tuberkeln der Hirnhaut vollständig erhaltene
Zellen vorkommen. Zu so sonderbaren Verirrungen führt
dieser Weg, dass man am Ende den eigentlichen Tuber-
kel gar nicht mehr bezeichnen kann, weil man so viel
zufällige Dinge mit ihm zusammen geworfen hat, dass man
über lauter Zufälligem das Gesuchte oder selbst das Gefundene,
was man schon besessen, wieder aus der Hand verliert. Ich
halte dafür, dass der Tuberkel ein Korn, ein Knötchen sei,
und dass dieses Knötchen eine Neubildung darstellt, und zwar
eine Neubildung, welche von ihrer ersten Entwickelung an
nothwendig zelliger Natur ist, welche in der Regel grade so
wie die anderen Neubildungen aus Bindegewebe hervorgeht,
und welche, wenn sie zu einer gewissen Entwickelung ge-
kommen ist, innerhalb dieses Gewebes einen kleinen, wenn
er an der Oberfläche sich befindet, in Form eines Höckers

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[421/0443] Tuberkel. so würde er unzweifelhaft zu einem anderen Resultate gekom- men sein. Man kann, wie ich es wenigstens für richtig halte, aller- dings sagen, dass der grösste Theil desjenigen, was im Laufe der Tuberkulose nicht in Knotenform erscheint, eingedicktes Entzündungsprodukt sei, und dass dieses zunächst wenigstens keine Beziehungen zum Tuberkel habe. Allein neben diesem Produkte oder auch unabhängig von demselben gibt es ein Gebilde, welches in die gewöhnliche Bezeichnung nicht mehr hineinpassen würde, wenn man jene Entzündungs-Produkte Tuberkel nennt; und es ist gewiss eine äusserst characte- ristische Thatsache, dass man in Frankreich, wo die Termi- nologie von Lebert die maassgebende geworden ist und wo man die Corpuscules tuberculeux als die nothwendigen Be- gleiter der Tuberkulose angesehen hat, in der neuesten Zeit auf den Gedanken gekommen ist, der eigentliche Tuberkel sei noch etwas ganz Neues und bis jetzt noch gar nicht Be- zeichnetes. Einer der besten, ja vielleicht der beste Mikro- graph, den Frankreich besitzt, Robin hat bei Untersuchung der Meningitis tuberculosa die kleinen Knoten in der Pia mater, die alle Welt für Tuberkeln hält, nicht dafür halten zu kön- nen geglaubt, weil einmal das Dogma in Frankreich herrscht, dass der Tuberkel aus soliden, unzelligen Körpern bestehe, und weil in den Tuberkeln der Hirnhaut vollständig erhaltene Zellen vorkommen. Zu so sonderbaren Verirrungen führt dieser Weg, dass man am Ende den eigentlichen Tuber- kel gar nicht mehr bezeichnen kann, weil man so viel zufällige Dinge mit ihm zusammen geworfen hat, dass man über lauter Zufälligem das Gesuchte oder selbst das Gefundene, was man schon besessen, wieder aus der Hand verliert. Ich halte dafür, dass der Tuberkel ein Korn, ein Knötchen sei, und dass dieses Knötchen eine Neubildung darstellt, und zwar eine Neubildung, welche von ihrer ersten Entwickelung an nothwendig zelliger Natur ist, welche in der Regel grade so wie die anderen Neubildungen aus Bindegewebe hervorgeht, und welche, wenn sie zu einer gewissen Entwickelung ge- kommen ist, innerhalb dieses Gewebes einen kleinen, wenn er an der Oberfläche sich befindet, in Form eines Höckers

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/443>, abgerufen am 27.04.2024.