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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Lebensdauer der pathologischen Neubildungen.
theilen des Körpers werden könnten. Es scheint dies aller-
dings insofern zweifelhaft als wir sehen, dass manche Formen
von malignen Geschwülsten viele Jahre hindurch bestehen, dass
das Individuum sie von dem Zeitpunkte an, wo sie sich ent-
wickeln, bis zu dem vielleicht sehr spät erfolgenden Tode be-
hält. Allein man muss die Geschwulst als Ganzes
von den einzelnen Theilen derselben unterscheiden
.
Innerhalb einer Krebsgeschwulst, die viele Jahre lang besteht,
sind es nicht dieselben Elemente, welche so lange bestehen,
sondern innerhalb der Grenzen der Geschwulst erfolgt eine
oft sehr zahlreiche Succession immer neuer Bildungen. Wäh-
rend die erste Entwickelung einer Geschwulst an einem be-
stimmten Punkte erfolgt, so besteht ihr Wachsthum nicht darin,
dass aus diesem Punkte heraus immer neue Entwickelungen
geschehen und eine Intussusception stattfindet, welche zu einer
dauerhaften Entfaltung des Ganzen nach ausserhalb führte.
Immer bilden sich im Umfange des ersten Heerdes kleine neue
Heerde, welche, indem sie sich vergrössern, sich dem ersten
anschliessen und so nach und nach eine immer weiter gehende
Vergrösserung bilden. Liegt die Geschwulst an der Oberfläche,
so findet sich auf dem Durchschnitte eine halbkreisförmige Zone
jüngster Substanz an der Peripherie des Knotens; liegt die Ge-
schwulst inmitten eines Organs, so bilden die neuen Appositionen
eine sphärische Schale um das ältere Centrum. Untersuchen wir
eine solche Geschwulst, nachdem sie vielleicht ein Jahr lang be-
standen, so ergibt sich gewöhnlich, dass in der Mitte die zuerst
gebildeten Elemente gar nicht mehr vorhanden sind. Hier finden
wir die Elemente zerfallen, durch fettige Prozesse aufgelöst.
Liegt die Geschwulst an einer Oberfläche, so zeigt sie in der
Mitte ihrer Hervorragung eine nabelförmige Einziehung, und
das nächste Stück darunter stellt eine dichte Narbe dar, welche
nicht mehr den ursprünglichen Character der Neubildung an
sich trägt. Diese Formen habe ich beschrieben beim Krebs,
besonders an der Leber, der Lunge und dem Darm, wo sie
leicht zu constatiren sind.

Immer kann man sich überzeugen, dass, was man Ge-
schwulst nennt, eine oft ausserordentlich grosse

Lebensdauer der pathologischen Neubildungen.
theilen des Körpers werden könnten. Es scheint dies aller-
dings insofern zweifelhaft als wir sehen, dass manche Formen
von malignen Geschwülsten viele Jahre hindurch bestehen, dass
das Individuum sie von dem Zeitpunkte an, wo sie sich ent-
wickeln, bis zu dem vielleicht sehr spät erfolgenden Tode be-
hält. Allein man muss die Geschwulst als Ganzes
von den einzelnen Theilen derselben unterscheiden
.
Innerhalb einer Krebsgeschwulst, die viele Jahre lang besteht,
sind es nicht dieselben Elemente, welche so lange bestehen,
sondern innerhalb der Grenzen der Geschwulst erfolgt eine
oft sehr zahlreiche Succession immer neuer Bildungen. Wäh-
rend die erste Entwickelung einer Geschwulst an einem be-
stimmten Punkte erfolgt, so besteht ihr Wachsthum nicht darin,
dass aus diesem Punkte heraus immer neue Entwickelungen
geschehen und eine Intussusception stattfindet, welche zu einer
dauerhaften Entfaltung des Ganzen nach ausserhalb führte.
Immer bilden sich im Umfange des ersten Heerdes kleine neue
Heerde, welche, indem sie sich vergrössern, sich dem ersten
anschliessen und so nach und nach eine immer weiter gehende
Vergrösserung bilden. Liegt die Geschwulst an der Oberfläche,
so findet sich auf dem Durchschnitte eine halbkreisförmige Zone
jüngster Substanz an der Peripherie des Knotens; liegt die Ge-
schwulst inmitten eines Organs, so bilden die neuen Appositionen
eine sphärische Schale um das ältere Centrum. Untersuchen wir
eine solche Geschwulst, nachdem sie vielleicht ein Jahr lang be-
standen, so ergibt sich gewöhnlich, dass in der Mitte die zuerst
gebildeten Elemente gar nicht mehr vorhanden sind. Hier finden
wir die Elemente zerfallen, durch fettige Prozesse aufgelöst.
Liegt die Geschwulst an einer Oberfläche, so zeigt sie in der
Mitte ihrer Hervorragung eine nabelförmige Einziehung, und
das nächste Stück darunter stellt eine dichte Narbe dar, welche
nicht mehr den ursprünglichen Character der Neubildung an
sich trägt. Diese Formen habe ich beschrieben beim Krebs,
besonders an der Leber, der Lunge und dem Darm, wo sie
leicht zu constatiren sind.

Immer kann man sich überzeugen, dass, was man Ge-
schwulst nennt, eine oft ausserordentlich grosse

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[405/0427] Lebensdauer der pathologischen Neubildungen. theilen des Körpers werden könnten. Es scheint dies aller- dings insofern zweifelhaft als wir sehen, dass manche Formen von malignen Geschwülsten viele Jahre hindurch bestehen, dass das Individuum sie von dem Zeitpunkte an, wo sie sich ent- wickeln, bis zu dem vielleicht sehr spät erfolgenden Tode be- hält. Allein man muss die Geschwulst als Ganzes von den einzelnen Theilen derselben unterscheiden. Innerhalb einer Krebsgeschwulst, die viele Jahre lang besteht, sind es nicht dieselben Elemente, welche so lange bestehen, sondern innerhalb der Grenzen der Geschwulst erfolgt eine oft sehr zahlreiche Succession immer neuer Bildungen. Wäh- rend die erste Entwickelung einer Geschwulst an einem be- stimmten Punkte erfolgt, so besteht ihr Wachsthum nicht darin, dass aus diesem Punkte heraus immer neue Entwickelungen geschehen und eine Intussusception stattfindet, welche zu einer dauerhaften Entfaltung des Ganzen nach ausserhalb führte. Immer bilden sich im Umfange des ersten Heerdes kleine neue Heerde, welche, indem sie sich vergrössern, sich dem ersten anschliessen und so nach und nach eine immer weiter gehende Vergrösserung bilden. Liegt die Geschwulst an der Oberfläche, so findet sich auf dem Durchschnitte eine halbkreisförmige Zone jüngster Substanz an der Peripherie des Knotens; liegt die Ge- schwulst inmitten eines Organs, so bilden die neuen Appositionen eine sphärische Schale um das ältere Centrum. Untersuchen wir eine solche Geschwulst, nachdem sie vielleicht ein Jahr lang be- standen, so ergibt sich gewöhnlich, dass in der Mitte die zuerst gebildeten Elemente gar nicht mehr vorhanden sind. Hier finden wir die Elemente zerfallen, durch fettige Prozesse aufgelöst. Liegt die Geschwulst an einer Oberfläche, so zeigt sie in der Mitte ihrer Hervorragung eine nabelförmige Einziehung, und das nächste Stück darunter stellt eine dichte Narbe dar, welche nicht mehr den ursprünglichen Character der Neubildung an sich trägt. Diese Formen habe ich beschrieben beim Krebs, besonders an der Leber, der Lunge und dem Darm, wo sie leicht zu constatiren sind. Immer kann man sich überzeugen, dass, was man Ge- schwulst nennt, eine oft ausserordentlich grosse

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/427>, abgerufen am 28.04.2024.