Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Verhältniss des Fettes zu den Geweben.
Wir finden nämlich eine Reihe von Geweben im Körper vor,
welche als physiologische Behälter für Fett dienen, und in
denen das Fett als eine Art von nothwendigem Zubehör ent-
halten ist, ohne dass jedoch ihr eigener Bestand durch die An-
wesenheit des Fettes irgend wie gefährdet wäre. Im Gegen-
theil, wir sind sogar gewöhnt, nach dem Fettgehalt gewisser
Gewebe das Wohlsein eines Individuums zu schätzen und den
Grad der Füllung der einzelnen Fettzellen als Kriterium für
den glücklichen Fortgang des Stoffwechsels überhaupt anzu-
sehen. Dies ist also ein gerader Gegensatz zu den nekrobio-
tischen Verhältnissen, wo der Theil unter der Anhäufung des
Fettes wirklich ganz und gar aufhört zu existiren.

Eine zweite Reihe von Geweben stellt keine regelmässi-
gen Behälter für Fett dar, vielmehr treffen wir in ihnen zu ge-
wissen Zeiten vorübergehend Fett an, welches nach einiger
Zeit wieder aus ihnen verschwindet, ohne den Theil desshalb
in einem veränderten Zustande zurückzulassen. Das ist der
Fall bei der gewöhnlichen Resorption des Fettes aus dem
Darme. Wenn wir Milch trinken, so erwarten wir nach alter
Erfahrung, dass dieselbe vom Darme allmählig in die Milchge-
fässe übergehe und von da aus dem Blute zugeführt werde;
wir wissen, dass der Uebergang des Verdauten vom Darm in
die Milchgefässe durch das Epithel und die Zotten hindurch
erfolgt, und dass das Epithel und die Zotten einige Stunden nach
der Mahlzeit voll von Fett stecken. Von einer solchen fetthal-
tigen Zotte oder Epithelzelle setzen wir aber voraus, dass sie
unter natürlichen Verhältnissen endlich ihr Fett abgeben und
nach einiger Zeit wieder vollkommen frei sein werden. Das
ist eine Fett-Infiltration von rein transitorischem Charakter.

Endlich haben wir eine dritte Reihe von Prozessen, näm-
lich diejenigen, welche zur Nekrobiose führen und welche man
in neuerer Zeit häufig als eigenthümlich pathologische betrach-
tet hat. Allein, wie sich bei allen übrigen Zuständen ge-
zeigt hat, dass die pathologischen Prozesse keine specifischen
sind, dass vielmehr für sie Analogien in dem normalen Leben
bestehen, so hat man sich auch überzeugt, dass diese nekro-
biotische Entwicklung von Fett ein ganz regelmässiger typi-
scher Vorgang an gewissen Theilen des gesunden Körpers ist,

19

Verhältniss des Fettes zu den Geweben.
Wir finden nämlich eine Reihe von Geweben im Körper vor,
welche als physiologische Behälter für Fett dienen, und in
denen das Fett als eine Art von nothwendigem Zubehör ent-
halten ist, ohne dass jedoch ihr eigener Bestand durch die An-
wesenheit des Fettes irgend wie gefährdet wäre. Im Gegen-
theil, wir sind sogar gewöhnt, nach dem Fettgehalt gewisser
Gewebe das Wohlsein eines Individuums zu schätzen und den
Grad der Füllung der einzelnen Fettzellen als Kriterium für
den glücklichen Fortgang des Stoffwechsels überhaupt anzu-
sehen. Dies ist also ein gerader Gegensatz zu den nekrobio-
tischen Verhältnissen, wo der Theil unter der Anhäufung des
Fettes wirklich ganz und gar aufhört zu existiren.

Eine zweite Reihe von Geweben stellt keine regelmässi-
gen Behälter für Fett dar, vielmehr treffen wir in ihnen zu ge-
wissen Zeiten vorübergehend Fett an, welches nach einiger
Zeit wieder aus ihnen verschwindet, ohne den Theil desshalb
in einem veränderten Zustande zurückzulassen. Das ist der
Fall bei der gewöhnlichen Resorption des Fettes aus dem
Darme. Wenn wir Milch trinken, so erwarten wir nach alter
Erfahrung, dass dieselbe vom Darme allmählig in die Milchge-
fässe übergehe und von da aus dem Blute zugeführt werde;
wir wissen, dass der Uebergang des Verdauten vom Darm in
die Milchgefässe durch das Epithel und die Zotten hindurch
erfolgt, und dass das Epithel und die Zotten einige Stunden nach
der Mahlzeit voll von Fett stecken. Von einer solchen fetthal-
tigen Zotte oder Epithelzelle setzen wir aber voraus, dass sie
unter natürlichen Verhältnissen endlich ihr Fett abgeben und
nach einiger Zeit wieder vollkommen frei sein werden. Das
ist eine Fett-Infiltration von rein transitorischem Charakter.

Endlich haben wir eine dritte Reihe von Prozessen, näm-
lich diejenigen, welche zur Nekrobiose führen und welche man
in neuerer Zeit häufig als eigenthümlich pathologische betrach-
tet hat. Allein, wie sich bei allen übrigen Zuständen ge-
zeigt hat, dass die pathologischen Prozesse keine specifischen
sind, dass vielmehr für sie Analogien in dem normalen Leben
bestehen, so hat man sich auch überzeugt, dass diese nekro-
biotische Entwicklung von Fett ein ganz regelmässiger typi-
scher Vorgang an gewissen Theilen des gesunden Körpers ist,

19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0311" n="289"/><fw place="top" type="header">Verhältniss des Fettes zu den Geweben.</fw><lb/>
Wir finden nämlich eine Reihe von Geweben im Körper vor,<lb/>
welche als physiologische Behälter für Fett dienen, und in<lb/>
denen das Fett als eine Art von nothwendigem Zubehör ent-<lb/>
halten ist, ohne dass jedoch ihr eigener Bestand durch die An-<lb/>
wesenheit des Fettes irgend wie gefährdet wäre. Im Gegen-<lb/>
theil, wir sind sogar gewöhnt, nach dem Fettgehalt gewisser<lb/>
Gewebe das Wohlsein eines Individuums zu schätzen und den<lb/>
Grad der Füllung der einzelnen Fettzellen als Kriterium für<lb/>
den glücklichen Fortgang des Stoffwechsels überhaupt anzu-<lb/>
sehen. Dies ist also ein gerader Gegensatz zu den nekrobio-<lb/>
tischen Verhältnissen, wo der Theil unter der Anhäufung des<lb/>
Fettes wirklich ganz und gar aufhört zu existiren.</p><lb/>
        <p>Eine zweite Reihe von Geweben stellt keine regelmässi-<lb/>
gen Behälter für Fett dar, vielmehr treffen wir in ihnen zu ge-<lb/>
wissen Zeiten vorübergehend Fett an, welches nach einiger<lb/>
Zeit wieder aus ihnen verschwindet, ohne den Theil desshalb<lb/>
in einem veränderten Zustande zurückzulassen. Das ist der<lb/>
Fall bei der gewöhnlichen Resorption des Fettes aus dem<lb/>
Darme. Wenn wir Milch trinken, so erwarten wir nach alter<lb/>
Erfahrung, dass dieselbe vom Darme allmählig in die Milchge-<lb/>
fässe übergehe und von da aus dem Blute zugeführt werde;<lb/>
wir wissen, dass der Uebergang des Verdauten vom Darm in<lb/>
die Milchgefässe durch das Epithel und die Zotten hindurch<lb/>
erfolgt, und dass das Epithel und die Zotten einige Stunden nach<lb/>
der Mahlzeit voll von Fett stecken. Von einer solchen fetthal-<lb/>
tigen Zotte oder Epithelzelle setzen wir aber voraus, dass sie<lb/>
unter natürlichen Verhältnissen endlich ihr Fett abgeben und<lb/>
nach einiger Zeit wieder vollkommen frei sein werden. Das<lb/>
ist eine Fett-Infiltration von rein transitorischem Charakter.</p><lb/>
        <p>Endlich haben wir eine dritte Reihe von Prozessen, näm-<lb/>
lich diejenigen, welche zur Nekrobiose führen und welche man<lb/>
in neuerer Zeit häufig als eigenthümlich pathologische betrach-<lb/>
tet hat. Allein, wie sich bei allen übrigen Zuständen ge-<lb/>
zeigt hat, dass die pathologischen Prozesse keine specifischen<lb/>
sind, dass vielmehr für sie Analogien in dem normalen Leben<lb/>
bestehen, so hat man sich auch überzeugt, dass diese nekro-<lb/>
biotische Entwicklung von Fett ein ganz regelmässiger typi-<lb/>
scher Vorgang an gewissen Theilen des gesunden Körpers ist,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">19</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0311] Verhältniss des Fettes zu den Geweben. Wir finden nämlich eine Reihe von Geweben im Körper vor, welche als physiologische Behälter für Fett dienen, und in denen das Fett als eine Art von nothwendigem Zubehör ent- halten ist, ohne dass jedoch ihr eigener Bestand durch die An- wesenheit des Fettes irgend wie gefährdet wäre. Im Gegen- theil, wir sind sogar gewöhnt, nach dem Fettgehalt gewisser Gewebe das Wohlsein eines Individuums zu schätzen und den Grad der Füllung der einzelnen Fettzellen als Kriterium für den glücklichen Fortgang des Stoffwechsels überhaupt anzu- sehen. Dies ist also ein gerader Gegensatz zu den nekrobio- tischen Verhältnissen, wo der Theil unter der Anhäufung des Fettes wirklich ganz und gar aufhört zu existiren. Eine zweite Reihe von Geweben stellt keine regelmässi- gen Behälter für Fett dar, vielmehr treffen wir in ihnen zu ge- wissen Zeiten vorübergehend Fett an, welches nach einiger Zeit wieder aus ihnen verschwindet, ohne den Theil desshalb in einem veränderten Zustande zurückzulassen. Das ist der Fall bei der gewöhnlichen Resorption des Fettes aus dem Darme. Wenn wir Milch trinken, so erwarten wir nach alter Erfahrung, dass dieselbe vom Darme allmählig in die Milchge- fässe übergehe und von da aus dem Blute zugeführt werde; wir wissen, dass der Uebergang des Verdauten vom Darm in die Milchgefässe durch das Epithel und die Zotten hindurch erfolgt, und dass das Epithel und die Zotten einige Stunden nach der Mahlzeit voll von Fett stecken. Von einer solchen fetthal- tigen Zotte oder Epithelzelle setzen wir aber voraus, dass sie unter natürlichen Verhältnissen endlich ihr Fett abgeben und nach einiger Zeit wieder vollkommen frei sein werden. Das ist eine Fett-Infiltration von rein transitorischem Charakter. Endlich haben wir eine dritte Reihe von Prozessen, näm- lich diejenigen, welche zur Nekrobiose führen und welche man in neuerer Zeit häufig als eigenthümlich pathologische betrach- tet hat. Allein, wie sich bei allen übrigen Zuständen ge- zeigt hat, dass die pathologischen Prozesse keine specifischen sind, dass vielmehr für sie Analogien in dem normalen Leben bestehen, so hat man sich auch überzeugt, dass diese nekro- biotische Entwicklung von Fett ein ganz regelmässiger typi- scher Vorgang an gewissen Theilen des gesunden Körpers ist, 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/311
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/311>, abgerufen am 01.05.2024.