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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Functionelle Reizung.
der Theil nicht mehr im Stande ist, dasjenige Maass von Be-
wegung von sich ausgehen zu lassen, welches bis dahin an
ihm zu bemerken war. Allein um wiederum in den leistungs-
fähigen Zustand zu kommen, bedürfen diese Theile keineswegs
immer einer Ernährung, sondern wir sehen, dass die blosse
Ruhe ausreicht, um innerhalb einer gewissen Zeit die Möglich-
keit einer neuen Thätigkeit herbeizuführen. Ein Nerv, der er-
müdet, nachdem wir ihn aus dem Körper herausgeschnitten
und zum Experiment verwendet haben, wird nach einer ge-
wissen Zeit leistungsunfähig; wenn man ihn unter günstigen
Verhältnissen, welche seine Austrocknung hindern, liegen lässt,
so wird er allmälig wieder leistungsfähig. Diese functio-
nelle Restitution
, welche ohne eigentliche Ernährung statt-
findet und aller Wahrscheinlichkeit nach darauf beruht, dass
die Theile, welche aus ihrer gewöhnlichen Lagerung heraus-
getreten sind, allmälig wieder in dieselbe zurückkehren, kön-
nen wir an verschiedenen Theilen hervorrufen durch gewisse
Reizmittel. Nach der Auffassung der Neuropathologen würden
diese Mittel nur auf die Nerven einwirken, und vermittelst der
Nerven auf die anderen Theile; allein gerade hier haben wir
einige Thatsachen, welche sich nicht wohl anders deuten las-
sen, als dass in der That eine Wirkung auf die Theile selbst
stattfindet.

Wenn wir z. B. eine einzelne Flimmerzelle nehmen,
diese, ganz vom Körper isolirt, frei schwimmen lassen, und ab-
warten, bis vollkommene Ruhe eingetreten ist, so können wir
die eigenthümliche Bewegung wieder hervorrufen, wenn wir
eine kleine Quantität von Kali oder Natron der Flüssigkeit
zufügen, eine Quantität, welche nicht so gross ist, dass
ätzende Effecte auf die Zelle hervorgebracht würden, welche
also nur, indem sie eindringt, eine gewisse Veränderung des
Inhaltes erzeugt. Es ist aber besonders interessant, dass die
Zahl der bekannten Reizmittel, welche wir für Flimmer-Epithel be-
sitzen, sich auf diese beiden Substanzen beschränkt. Daraus erklärt
es sich, dass Purkinje und Valentin, welche bekanntlich
zuerst und gleich in einer sehr ausgiebigen Weise Experimente
über die Flimmerbewegung anstellten, obwohl sie mit einer
sehr grossen Zahl von Substanzen experimentirten, nachdem

Functionelle Reizung.
der Theil nicht mehr im Stande ist, dasjenige Maass von Be-
wegung von sich ausgehen zu lassen, welches bis dahin an
ihm zu bemerken war. Allein um wiederum in den leistungs-
fähigen Zustand zu kommen, bedürfen diese Theile keineswegs
immer einer Ernährung, sondern wir sehen, dass die blosse
Ruhe ausreicht, um innerhalb einer gewissen Zeit die Möglich-
keit einer neuen Thätigkeit herbeizuführen. Ein Nerv, der er-
müdet, nachdem wir ihn aus dem Körper herausgeschnitten
und zum Experiment verwendet haben, wird nach einer ge-
wissen Zeit leistungsunfähig; wenn man ihn unter günstigen
Verhältnissen, welche seine Austrocknung hindern, liegen lässt,
so wird er allmälig wieder leistungsfähig. Diese functio-
nelle Restitution
, welche ohne eigentliche Ernährung statt-
findet und aller Wahrscheinlichkeit nach darauf beruht, dass
die Theile, welche aus ihrer gewöhnlichen Lagerung heraus-
getreten sind, allmälig wieder in dieselbe zurückkehren, kön-
nen wir an verschiedenen Theilen hervorrufen durch gewisse
Reizmittel. Nach der Auffassung der Neuropathologen würden
diese Mittel nur auf die Nerven einwirken, und vermittelst der
Nerven auf die anderen Theile; allein gerade hier haben wir
einige Thatsachen, welche sich nicht wohl anders deuten las-
sen, als dass in der That eine Wirkung auf die Theile selbst
stattfindet.

Wenn wir z. B. eine einzelne Flimmerzelle nehmen,
diese, ganz vom Körper isolirt, frei schwimmen lassen, und ab-
warten, bis vollkommene Ruhe eingetreten ist, so können wir
die eigenthümliche Bewegung wieder hervorrufen, wenn wir
eine kleine Quantität von Kali oder Natron der Flüssigkeit
zufügen, eine Quantität, welche nicht so gross ist, dass
ätzende Effecte auf die Zelle hervorgebracht würden, welche
also nur, indem sie eindringt, eine gewisse Veränderung des
Inhaltes erzeugt. Es ist aber besonders interessant, dass die
Zahl der bekannten Reizmittel, welche wir für Flimmer-Epithel be-
sitzen, sich auf diese beiden Substanzen beschränkt. Daraus erklärt
es sich, dass Purkinje und Valentin, welche bekanntlich
zuerst und gleich in einer sehr ausgiebigen Weise Experimente
über die Flimmerbewegung anstellten, obwohl sie mit einer
sehr grossen Zahl von Substanzen experimentirten, nachdem

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[263/0285] Functionelle Reizung. der Theil nicht mehr im Stande ist, dasjenige Maass von Be- wegung von sich ausgehen zu lassen, welches bis dahin an ihm zu bemerken war. Allein um wiederum in den leistungs- fähigen Zustand zu kommen, bedürfen diese Theile keineswegs immer einer Ernährung, sondern wir sehen, dass die blosse Ruhe ausreicht, um innerhalb einer gewissen Zeit die Möglich- keit einer neuen Thätigkeit herbeizuführen. Ein Nerv, der er- müdet, nachdem wir ihn aus dem Körper herausgeschnitten und zum Experiment verwendet haben, wird nach einer ge- wissen Zeit leistungsunfähig; wenn man ihn unter günstigen Verhältnissen, welche seine Austrocknung hindern, liegen lässt, so wird er allmälig wieder leistungsfähig. Diese functio- nelle Restitution, welche ohne eigentliche Ernährung statt- findet und aller Wahrscheinlichkeit nach darauf beruht, dass die Theile, welche aus ihrer gewöhnlichen Lagerung heraus- getreten sind, allmälig wieder in dieselbe zurückkehren, kön- nen wir an verschiedenen Theilen hervorrufen durch gewisse Reizmittel. Nach der Auffassung der Neuropathologen würden diese Mittel nur auf die Nerven einwirken, und vermittelst der Nerven auf die anderen Theile; allein gerade hier haben wir einige Thatsachen, welche sich nicht wohl anders deuten las- sen, als dass in der That eine Wirkung auf die Theile selbst stattfindet. Wenn wir z. B. eine einzelne Flimmerzelle nehmen, diese, ganz vom Körper isolirt, frei schwimmen lassen, und ab- warten, bis vollkommene Ruhe eingetreten ist, so können wir die eigenthümliche Bewegung wieder hervorrufen, wenn wir eine kleine Quantität von Kali oder Natron der Flüssigkeit zufügen, eine Quantität, welche nicht so gross ist, dass ätzende Effecte auf die Zelle hervorgebracht würden, welche also nur, indem sie eindringt, eine gewisse Veränderung des Inhaltes erzeugt. Es ist aber besonders interessant, dass die Zahl der bekannten Reizmittel, welche wir für Flimmer-Epithel be- sitzen, sich auf diese beiden Substanzen beschränkt. Daraus erklärt es sich, dass Purkinje und Valentin, welche bekanntlich zuerst und gleich in einer sehr ausgiebigen Weise Experimente über die Flimmerbewegung anstellten, obwohl sie mit einer sehr grossen Zahl von Substanzen experimentirten, nachdem

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/285>, abgerufen am 24.11.2024.