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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Physiologische Leukocytose.
durch. Für solche Formen besteht also noch eine wirkliche
Permeabilität der Drüsengänge, aber auch sie werden eine
Zeit lang retinirt; immer dauert es lange, ehe nach einer Mahl-
zeit die Gekrösdrüsen das Fett wieder völlig los werden und
es geschieht das Hindurchschieben der Massen offenbar unter
einem verhältnissmässig grossen Drucke. Dabei beobachtet
man zugleich eine Vergrösserung der Drüse, und ebenso nach
jeder Mahlzeit eine Zunahme in der Zahl der farblosen Kör-
perchen im Blute, -- eine physiologische Leukocytose,
aber keine Pyämie.

In dem Maasse, als eine Schwangerschaft vorrückt,
als die Lymphgefässe am Uterus sich erweitern, als der Stoff-
wechsel in der Gebärmutter mit der Entwickelung des Fötus
zunimmt, vergrössern sich die Lymphdrüsen der Inguinal- und
Lumbalgegend erheblich, zuweilen so beträchtlich, dass, wenn
wir sie zu einer andern Zeit fänden, wir sie als entzündet
betrachten würden. Diese Vergrösserung führt dem Blute auch
mehr neue Partikelchen formeller Art zu, und so steigt von
Monat zu Monat die Zahl der farblosen Körperchen. Zur Zeit
der Geburt kann man fast bei jeder Puerpera, mag sie pyämisch
sein oder nicht, in dem defibrinirten Blute die farblosen Kör-
perchen ein eiterartiges Sediment bilden sehen. Auch dies ist
eine physiologische Form, welche fern davon ist, eine pyämi-
sche zu sein. Wenn man sich aber gerade eine Puerpera
aussucht, welche Krankheits-Erscheinungen darbietet, die mit
dem Bilde der Pyämie übereinstimmen, dann ist nichts leich-
ter, als diese vielen farblosen, mehrkernigen Zellen zu finden,
welche nach der Voraussetzung gerade die Pyämie constatiren
sollen. Dies sind Trugschlüsse, welche aus unvollständiger
Kenntniss des normalen Lebens und der Entwickelung resul-
tiren. So lange man sich bloss an die pyämischen Erfahrun-
gen hält, so lange kann dies Alles erscheinen wie ein gros-
ses und neues Ereigniss, und man kann sich berechtigt halten,
wenn man das Blut einer Wöchnerin untersucht, zu schliessen,
sie hätte schon die Pyämie, bevor die pyämischen Symptome
auftreten. Aber man mag untersuchen, wann man will, so
wird man stets etwas von Leukocytose finden, gerade so, wie

Physiologische Leukocytose.
durch. Für solche Formen besteht also noch eine wirkliche
Permeabilität der Drüsengänge, aber auch sie werden eine
Zeit lang retinirt; immer dauert es lange, ehe nach einer Mahl-
zeit die Gekrösdrüsen das Fett wieder völlig los werden und
es geschieht das Hindurchschieben der Massen offenbar unter
einem verhältnissmässig grossen Drucke. Dabei beobachtet
man zugleich eine Vergrösserung der Drüse, und ebenso nach
jeder Mahlzeit eine Zunahme in der Zahl der farblosen Kör-
perchen im Blute, — eine physiologische Leukocytose,
aber keine Pyämie.

In dem Maasse, als eine Schwangerschaft vorrückt,
als die Lymphgefässe am Uterus sich erweitern, als der Stoff-
wechsel in der Gebärmutter mit der Entwickelung des Fötus
zunimmt, vergrössern sich die Lymphdrüsen der Inguinal- und
Lumbalgegend erheblich, zuweilen so beträchtlich, dass, wenn
wir sie zu einer andern Zeit fänden, wir sie als entzündet
betrachten würden. Diese Vergrösserung führt dem Blute auch
mehr neue Partikelchen formeller Art zu, und so steigt von
Monat zu Monat die Zahl der farblosen Körperchen. Zur Zeit
der Geburt kann man fast bei jeder Puerpera, mag sie pyämisch
sein oder nicht, in dem defibrinirten Blute die farblosen Kör-
perchen ein eiterartiges Sediment bilden sehen. Auch dies ist
eine physiologische Form, welche fern davon ist, eine pyämi-
sche zu sein. Wenn man sich aber gerade eine Puerpera
aussucht, welche Krankheits-Erscheinungen darbietet, die mit
dem Bilde der Pyämie übereinstimmen, dann ist nichts leich-
ter, als diese vielen farblosen, mehrkernigen Zellen zu finden,
welche nach der Voraussetzung gerade die Pyämie constatiren
sollen. Dies sind Trugschlüsse, welche aus unvollständiger
Kenntniss des normalen Lebens und der Entwickelung resul-
tiren. So lange man sich bloss an die pyämischen Erfahrun-
gen hält, so lange kann dies Alles erscheinen wie ein gros-
ses und neues Ereigniss, und man kann sich berechtigt halten,
wenn man das Blut einer Wöchnerin untersucht, zu schliessen,
sie hätte schon die Pyämie, bevor die pyämischen Symptome
auftreten. Aber man mag untersuchen, wann man will, so
wird man stets etwas von Leukocytose finden, gerade so, wie

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[171/0193] Physiologische Leukocytose. durch. Für solche Formen besteht also noch eine wirkliche Permeabilität der Drüsengänge, aber auch sie werden eine Zeit lang retinirt; immer dauert es lange, ehe nach einer Mahl- zeit die Gekrösdrüsen das Fett wieder völlig los werden und es geschieht das Hindurchschieben der Massen offenbar unter einem verhältnissmässig grossen Drucke. Dabei beobachtet man zugleich eine Vergrösserung der Drüse, und ebenso nach jeder Mahlzeit eine Zunahme in der Zahl der farblosen Kör- perchen im Blute, — eine physiologische Leukocytose, aber keine Pyämie. In dem Maasse, als eine Schwangerschaft vorrückt, als die Lymphgefässe am Uterus sich erweitern, als der Stoff- wechsel in der Gebärmutter mit der Entwickelung des Fötus zunimmt, vergrössern sich die Lymphdrüsen der Inguinal- und Lumbalgegend erheblich, zuweilen so beträchtlich, dass, wenn wir sie zu einer andern Zeit fänden, wir sie als entzündet betrachten würden. Diese Vergrösserung führt dem Blute auch mehr neue Partikelchen formeller Art zu, und so steigt von Monat zu Monat die Zahl der farblosen Körperchen. Zur Zeit der Geburt kann man fast bei jeder Puerpera, mag sie pyämisch sein oder nicht, in dem defibrinirten Blute die farblosen Kör- perchen ein eiterartiges Sediment bilden sehen. Auch dies ist eine physiologische Form, welche fern davon ist, eine pyämi- sche zu sein. Wenn man sich aber gerade eine Puerpera aussucht, welche Krankheits-Erscheinungen darbietet, die mit dem Bilde der Pyämie übereinstimmen, dann ist nichts leich- ter, als diese vielen farblosen, mehrkernigen Zellen zu finden, welche nach der Voraussetzung gerade die Pyämie constatiren sollen. Dies sind Trugschlüsse, welche aus unvollständiger Kenntniss des normalen Lebens und der Entwickelung resul- tiren. So lange man sich bloss an die pyämischen Erfahrun- gen hält, so lange kann dies Alles erscheinen wie ein gros- ses und neues Ereigniss, und man kann sich berechtigt halten, wenn man das Blut einer Wöchnerin untersucht, zu schliessen, sie hätte schon die Pyämie, bevor die pyämischen Symptome auftreten. Aber man mag untersuchen, wann man will, so wird man stets etwas von Leukocytose finden, gerade so, wie

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/193>, abgerufen am 24.11.2024.