Erstaunen aller Bekannten, in kurzer Zeit, ordentlich neu auf. Sie ward wieder mun- ter, sie konnte wieder gehörig Speisen zu sich nehmen und ruhig schlafen, sie nahm wieder an der Gesellschaft frohen Antheil, und schien sogar ihres traurigen Gelübdes nicht mehr zu gedenken. Ein paar Mal sprach sie nur mit ihrem Gemahl davon, aber mit der größten Geistesruhe; sie versicherte ihn, sie verlasse sich völlig auf sein Versprechen, ihr in der Erfüllung nicht entgegen zu seyn. Die Er- scheinung des Kindes verließ sie keinen Au- genblick. Es begleitete sie bis an die Gitter- thüre, so oft sie ausging; so bald die Thür zugemacht war, sah sie es den Gang wieder zurück nach ihrem Zimmer schweben; wenn sie wieder kam, fand sie es eben so am Git- ter ihr entgegen kommen. Dabey war es, wie sie vorgab, immer traurig, wenn sie es verließ, und vergnügt, wenn sie es wieder sah. Bey Nacht trug es eine Kerze in der Hand, und am Tage einen Blumenkranz. Ausser jenem Bezirk hatte es sie nie verfolgt.
Erſtaunen aller Bekannten, in kurzer Zeit, ordentlich neu auf. Sie ward wieder mun- ter, ſie konnte wieder gehoͤrig Speiſen zu ſich nehmen und ruhig ſchlafen, ſie nahm wieder an der Geſellſchaft frohen Antheil, und ſchien ſogar ihres traurigen Geluͤbdes nicht mehr zu gedenken. Ein paar Mal ſprach ſie nur mit ihrem Gemahl davon, aber mit der groͤßten Geiſtesruhe; ſie verſicherte ihn, ſie verlaſſe ſich voͤllig auf ſein Verſprechen, ihr in der Erfuͤllung nicht entgegen zu ſeyn. Die Er- ſcheinung des Kindes verließ ſie keinen Au- genblick. Es begleitete ſie bis an die Gitter- thuͤre, ſo oft ſie ausging; ſo bald die Thuͤr zugemacht war, ſah ſie es den Gang wieder zuruͤck nach ihrem Zimmer ſchweben; wenn ſie wieder kam, fand ſie es eben ſo am Git- ter ihr entgegen kommen. Dabey war es, wie ſie vorgab, immer traurig, wenn ſie es verließ, und vergnuͤgt, wenn ſie es wieder ſah. Bey Nacht trug es eine Kerze in der Hand, und am Tage einen Blumenkranz. Auſſer jenem Bezirk hatte es ſie nie verfolgt.
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Erſtaunen aller Bekannten, in kurzer Zeit,
ordentlich neu auf. Sie ward wieder mun-
ter, ſie konnte wieder gehoͤrig Speiſen zu ſich
nehmen und ruhig ſchlafen, ſie nahm wieder
an der Geſellſchaft frohen Antheil, und ſchien
ſogar ihres traurigen Geluͤbdes nicht mehr zu
gedenken. Ein paar Mal ſprach ſie nur mit
ihrem Gemahl davon, aber mit der groͤßten
Geiſtesruhe; ſie verſicherte ihn, ſie verlaſſe
ſich voͤllig auf ſein Verſprechen, ihr in der
Erfuͤllung nicht entgegen zu ſeyn. Die Er-
ſcheinung des Kindes verließ ſie keinen Au-
genblick. Es begleitete ſie bis an die Gitter-
thuͤre, ſo oft ſie ausging; ſo bald die Thuͤr
zugemacht war, ſah ſie es den Gang wieder
zuruͤck nach ihrem Zimmer ſchweben; wenn
ſie wieder kam, fand ſie es eben ſo am Git-
ter ihr entgegen kommen. Dabey war es,
wie ſie vorgab, immer traurig, wenn ſie es
verließ, und vergnuͤgt, wenn ſie es wieder
ſah. Bey Nacht trug es eine Kerze in der
Hand, und am Tage einen Blumenkranz.
Auſſer jenem Bezirk hatte es ſie nie verfolgt.
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/254>, abgerufen am 24.11.2024.
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