als daß sie mich zu meiner Schwester führen sollte, die mich sprechen müßte, ich folgte ihr also. Sie öffnete eine Thür, ich trat hinein, und sah meine Schwester in prächtigem Braut- schmuck in den Armen meiner Mutter, die sie mit Schmeicheleyen und Küssen bedeckte. Mei- ne Schwester schrie laut auf, als sie mich ge- wahr ward, ihr Gesicht in beyden Händen bergend; dann kam sie auf mich zu: Vergieb mir! rief sie, und fiel mir um den Hals, ver- gieb mir, Guter, und lebe wohl! Sie wollte noch sprechen, meine Mutter verhinderte sie aber daran. Geh, meine fromme Tochter! sagte sie, laß mich mit ihm allein. Meine Schwester ging hinaus, ich war unbeweglich und stumm vor Erstaunen. Meine Mutter sing wieder an: Jch habe nur wenig Zeit, Florentin, mich mir Dir zu unterhalten. Dein entsetzliches gottloses Vorhaben ist entdeckt! Sey ewig gepriesen von mir, gebenedeyte Jungfrau, daß du das Herz meines Kindes gerührt hast, eh es unwiderruflich verloren war! Ju dieser Nacht, die das arme Kind
als daß ſie mich zu meiner Schweſter fuͤhren ſollte, die mich ſprechen muͤßte, ich folgte ihr alſo. Sie oͤffnete eine Thuͤr, ich trat hinein, und ſah meine Schweſter in praͤchtigem Braut- ſchmuck in den Armen meiner Mutter, die ſie mit Schmeicheleyen und Kuͤſſen bedeckte. Mei- ne Schweſter ſchrie laut auf, als ſie mich ge- wahr ward, ihr Geſicht in beyden Haͤnden bergend; dann kam ſie auf mich zu: Vergieb mir! rief ſie, und fiel mir um den Hals, ver- gieb mir, Guter, und lebe wohl! Sie wollte noch ſprechen, meine Mutter verhinderte ſie aber daran. Geh, meine fromme Tochter! ſagte ſie, laß mich mit ihm allein. Meine Schweſter ging hinaus, ich war unbeweglich und ſtumm vor Erſtaunen. Meine Mutter ſing wieder an: Jch habe nur wenig Zeit, Florentin, mich mir Dir zu unterhalten. Dein entſetzliches gottloſes Vorhaben iſt entdeckt! Sey ewig geprieſen von mir, gebenedeyte Jungfrau, daß du das Herz meines Kindes geruͤhrt haſt, eh es unwiderruflich verloren war! Ju dieſer Nacht, die das arme Kind
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als daß ſie mich zu meiner Schweſter fuͤhren
ſollte, die mich ſprechen muͤßte, ich folgte ihr
alſo. Sie oͤffnete eine Thuͤr, ich trat hinein,
und ſah meine Schweſter in praͤchtigem Braut-
ſchmuck in den Armen meiner Mutter, die ſie
mit Schmeicheleyen und Kuͤſſen bedeckte. Mei-
ne Schweſter ſchrie laut auf, als ſie mich ge-
wahr ward, ihr Geſicht in beyden Haͤnden
bergend; dann kam ſie auf mich zu: Vergieb
mir! rief ſie, und fiel mir um den Hals, ver-
gieb mir, Guter, und lebe wohl! Sie wollte
noch ſprechen, meine Mutter verhinderte ſie
aber daran. Geh, meine fromme Tochter!
ſagte ſie, laß mich mit ihm allein. Meine
Schweſter ging hinaus, ich war unbeweglich
und ſtumm vor Erſtaunen. Meine Mutter
ſing wieder an: Jch habe nur wenig Zeit,
Florentin, mich mir Dir zu unterhalten. Dein
entſetzliches gottloſes Vorhaben iſt entdeckt!
Sey ewig geprieſen von mir, gebenedeyte
Jungfrau, daß du das Herz meines Kindes
geruͤhrt haſt, eh es unwiderruflich verloren
war! Ju dieſer Nacht, die das arme Kind
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/150>, abgerufen am 29.11.2024.
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