Treuherzigkeit legte ich eine vollständige Beichte in Gegenwart meiner Mutter und des Paters ab; heisse Thränen entfielen meinen Augen bey dem Bekenntniß meiner Sünden! Der Moment war entscheidend, denn jetzt hing es von ihnen ab, mich auf immer für sich zu ge- winnen. Die Jdee vom Kloster ausgenom- men, war ich zu Allem bereit, was von mir gefordert würde; ja auch zu diesem hätte ich mich vielleicht verleiten lassen, wenn sie mich mit weniger sichtbarer Absicht behandelt hät- ten; aber sie verstanden mich nicht, dieß ret- tete mich.
Während meiner Beichte waren beyde sehr erschreckt, wegen der Tiefe meiner Ruch- losigkeit, wie mein Hofmeister sich ausdrückte, meine Mutter aber wegen meines weltlichen Hanges zur Unabhängigkeit, der durch keine geistliche Uebung und Anstrengung zu unter- drücken sey. Während meiner Genesung ward ich mit Schonung behandelt, nur mußte ich mehr noch als vorher, Gebete hersagen, und sonst allerley von mir verachtete Dinge vor-
Treuherzigkeit legte ich eine vollſtaͤndige Beichte in Gegenwart meiner Mutter und des Paters ab; heiſſe Thraͤnen entfielen meinen Augen bey dem Bekenntniß meiner Suͤnden! Der Moment war entſcheidend, denn jetzt hing es von ihnen ab, mich auf immer fuͤr ſich zu ge- winnen. Die Jdee vom Kloſter ausgenom- men, war ich zu Allem bereit, was von mir gefordert wuͤrde; ja auch zu dieſem haͤtte ich mich vielleicht verleiten laſſen, wenn ſie mich mit weniger ſichtbarer Abſicht behandelt haͤt- ten; aber ſie verſtanden mich nicht, dieß ret- tete mich.
Waͤhrend meiner Beichte waren beyde ſehr erſchreckt, wegen der Tiefe meiner Ruch- loſigkeit, wie mein Hofmeiſter ſich ausdruͤckte, meine Mutter aber wegen meines weltlichen Hanges zur Unabhaͤngigkeit, der durch keine geiſtliche Uebung und Anſtrengung zu unter- druͤcken ſey. Waͤhrend meiner Geneſung ward ich mit Schonung behandelt, nur mußte ich mehr noch als vorher, Gebete herſagen, und ſonſt allerley von mir verachtete Dinge vor-
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Treuherzigkeit legte ich eine vollſtaͤndige Beichte
in Gegenwart meiner Mutter und des Paters
ab; heiſſe Thraͤnen entfielen meinen Augen
bey dem Bekenntniß meiner Suͤnden! Der
Moment war entſcheidend, denn jetzt hing es
von ihnen ab, mich auf immer fuͤr ſich zu ge-
winnen. Die Jdee vom Kloſter ausgenom-
men, war ich zu Allem bereit, was von mir
gefordert wuͤrde; ja auch zu dieſem haͤtte ich
mich vielleicht verleiten laſſen, wenn ſie mich
mit weniger ſichtbarer Abſicht behandelt haͤt-
ten; aber ſie verſtanden mich nicht, dieß ret-
tete mich.
Waͤhrend meiner Beichte waren beyde
ſehr erſchreckt, wegen der Tiefe meiner Ruch-
loſigkeit, wie mein Hofmeiſter ſich ausdruͤckte,
meine Mutter aber wegen meines weltlichen
Hanges zur Unabhaͤngigkeit, der durch keine
geiſtliche Uebung und Anſtrengung zu unter-
druͤcken ſey. Waͤhrend meiner Geneſung ward
ich mit Schonung behandelt, nur mußte ich
mehr noch als vorher, Gebete herſagen, und
ſonſt allerley von mir verachtete Dinge vor-
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/118>, abgerufen am 26.11.2024.
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