nehmen. Mit unbeschreiblicher Geduld verrichte- te ich alles, bloß aus Gefälligkeit für die Men- schen, die mich liebten, und die ich beleidigt hat- te. Daß sie mir mein Unrecht nicht sühlen ließen, hatte ihnen mein ganzes Herz wieder gewonnen.
Jhr Betragen veränderte sich aber, je mehr ich wieder an Kräften zunahm. Mit der möglichsten Streuge ward ich beob- achtet; zu unaufhörlichen, mir verabscheu- ungswürdigen Uebungen angetrieben; nicht die allergeringste Freyheit ward mir verstattet; im Hause der Mutter mußte ich vollkommen so leben, als im Kloster; dabey zeigte man mir unaufhörlich das größte Mistrauen. Jch fühlte mich hier so rein, war es mir bewußt, daß ich durch meine Aufrichtigkeit vielmehr ihr Zutrauen hätte erwerben sollen; ich sand jene so klein, so unedel in ihrem Mistrauen, und mich so unwürdig behandelt, daß mein Entschluß wieder aufs neue fest ward, mich zu befreyen. Wie? und wann? das sah ich, un- erfahren und kindisch wie ich war, durchaus nicht ein. Der Zufall kam mir zu Hülfe.
nehmen. Mit unbeſchreiblicher Geduld verrichte- te ich alles, bloß aus Gefaͤlligkeit fuͤr die Men- ſchen, die mich liebten, und die ich beleidigt hat- te. Daß ſie mir mein Unrecht nicht ſuͤhlen ließen, hatte ihnen mein ganzes Herz wieder gewonnen.
Jhr Betragen veraͤnderte ſich aber, je mehr ich wieder an Kraͤften zunahm. Mit der moͤglichſten Streuge ward ich beob- achtet; zu unaufhoͤrlichen, mir verabſcheu- ungswuͤrdigen Uebungen angetrieben; nicht die allergeringſte Freyheit ward mir verſtattet; im Hauſe der Mutter mußte ich vollkommen ſo leben, als im Kloſter; dabey zeigte man mir unaufhoͤrlich das groͤßte Mistrauen. Jch fuͤhlte mich hier ſo rein, war es mir bewußt, daß ich durch meine Aufrichtigkeit vielmehr ihr Zutrauen haͤtte erwerben ſollen; ich ſand jene ſo klein, ſo unedel in ihrem Mistrauen, und mich ſo unwuͤrdig behandelt, daß mein Entſchluß wieder aufs neue feſt ward, mich zu befreyen. Wie? und wann? das ſah ich, un- erfahren und kindiſch wie ich war, durchaus nicht ein. Der Zufall kam mir zu Huͤlfe.
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nehmen. Mit unbeſchreiblicher Geduld verrichte-
te ich alles, bloß aus Gefaͤlligkeit fuͤr die Men-
ſchen, die mich liebten, und die ich beleidigt hat-
te. Daß ſie mir mein Unrecht nicht ſuͤhlen ließen,
hatte ihnen mein ganzes Herz wieder gewonnen.
Jhr Betragen veraͤnderte ſich aber,
je mehr ich wieder an Kraͤften zunahm.
Mit der moͤglichſten Streuge ward ich beob-
achtet; zu unaufhoͤrlichen, mir verabſcheu-
ungswuͤrdigen Uebungen angetrieben; nicht
die allergeringſte Freyheit ward mir verſtattet;
im Hauſe der Mutter mußte ich vollkommen
ſo leben, als im Kloſter; dabey zeigte man
mir unaufhoͤrlich das groͤßte Mistrauen. Jch
fuͤhlte mich hier ſo rein, war es mir bewußt,
daß ich durch meine Aufrichtigkeit vielmehr
ihr Zutrauen haͤtte erwerben ſollen; ich ſand
jene ſo klein, ſo unedel in ihrem Mistrauen,
und mich ſo unwuͤrdig behandelt, daß mein
Entſchluß wieder aufs neue feſt ward, mich zu
befreyen. Wie? und wann? das ſah ich, un-
erfahren und kindiſch wie ich war, durchaus
nicht ein. Der Zufall kam mir zu Huͤlfe.
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/119>, abgerufen am 26.11.2024.
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