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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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daß ich meine Besinnung wieder erlangt hätte,
und sie mich wieder ruhig und zusammenhän-
gend sprechen hörte, auch der Arzt versicherte,
ich sey jetzt außer aller Gefahr, war unbe-
schreiblich, und bewegte mich tief. Mein Zu-
stand schien mir selbst höchst abschreckend und
ekelhaft; doch hielt er weder meine Mutter
noch meinen Hofmeister ab, mir alle mögli-
chen Dienste selbst zu leisten, und Erleichte-
rungen zu verschaffen. Sie verließen mich fast
keinen Augenblick, begegneten mir mit nie
erfahrner Freundlichkeit, und suchten mir so-
gar durch kleine Spiele diese Leidenszeit zu
verkürzen. Trotz meiner körperlichen Schmer-
zen war ich zum erstenmal vergnügt; mein
Herz erweichte sich gegen diejenigen, die ich
für meine Feinde gehalten hatte, und die mich
jetzt so freundlich und zärtlich behandelten.
Mein Vergehen, sie als Feinde betrogen zu
haben, fiel schwer auf mein Gewissen; es
drängte mich, mich ihnen zu entdecken, und
sie selbst um die Auflösung meiner Zweifel zu
bitten. Jn dieser Aufwallung von frommer

daß ich meine Beſinnung wieder erlangt haͤtte,
und ſie mich wieder ruhig und zuſammenhaͤn-
gend ſprechen hoͤrte, auch der Arzt verſicherte,
ich ſey jetzt außer aller Gefahr, war unbe-
ſchreiblich, und bewegte mich tief. Mein Zu-
ſtand ſchien mir ſelbſt hoͤchſt abſchreckend und
ekelhaft; doch hielt er weder meine Mutter
noch meinen Hofmeiſter ab, mir alle moͤgli-
chen Dienſte ſelbſt zu leiſten, und Erleichte-
rungen zu verſchaffen. Sie verließen mich faſt
keinen Augenblick, begegneten mir mit nie
erfahrner Freundlichkeit, und ſuchten mir ſo-
gar durch kleine Spiele dieſe Leidenszeit zu
verkuͤrzen. Trotz meiner koͤrperlichen Schmer-
zen war ich zum erſtenmal vergnuͤgt; mein
Herz erweichte ſich gegen diejenigen, die ich
fuͤr meine Feinde gehalten hatte, und die mich
jetzt ſo freundlich und zaͤrtlich behandelten.
Mein Vergehen, ſie als Feinde betrogen zu
haben, fiel ſchwer auf mein Gewiſſen; es
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[109/0117] daß ich meine Beſinnung wieder erlangt haͤtte, und ſie mich wieder ruhig und zuſammenhaͤn- gend ſprechen hoͤrte, auch der Arzt verſicherte, ich ſey jetzt außer aller Gefahr, war unbe- ſchreiblich, und bewegte mich tief. Mein Zu- ſtand ſchien mir ſelbſt hoͤchſt abſchreckend und ekelhaft; doch hielt er weder meine Mutter noch meinen Hofmeiſter ab, mir alle moͤgli- chen Dienſte ſelbſt zu leiſten, und Erleichte- rungen zu verſchaffen. Sie verließen mich faſt keinen Augenblick, begegneten mir mit nie erfahrner Freundlichkeit, und ſuchten mir ſo- gar durch kleine Spiele dieſe Leidenszeit zu verkuͤrzen. Trotz meiner koͤrperlichen Schmer- zen war ich zum erſtenmal vergnuͤgt; mein Herz erweichte ſich gegen diejenigen, die ich fuͤr meine Feinde gehalten hatte, und die mich jetzt ſo freundlich und zaͤrtlich behandelten. Mein Vergehen, ſie als Feinde betrogen zu haben, fiel ſchwer auf mein Gewiſſen; es draͤngte mich, mich ihnen zu entdecken, und ſie ſelbſt um die Aufloͤſung meiner Zweifel zu bitten. Jn dieſer Aufwallung von frommer

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/117>, abgerufen am 26.11.2024.