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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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gensinn, wie sie es nannten, erleiden, deren
Ungerechtigkeit mich nur noch mehr empörte,
und meine Verachtung gegen die geringe Ein-
sicht meiner Vorgesetzten noch vergrößerte. Wie
seufzte ich nach dem Moment, mich von den
hartherzigen, unverständigen Tyrannen los zu
machen, sie nicht mehr fürchten zu dürfen!
Jch suchte in den Augen meiner Schwester
eine Uebereinstimmung mit diesem Gefühle,
ohne sie zu finden; das Kind war durch meine
erlittne Strafe erschreckt, und las gedankenlos,
was man ihr aufgab, mit allem Eifer, bloß
um den Beyfall der Mutter zu erhalten; ich
hatte Mitleid mit ihr, aber mein Zutrauen zu
dem schwachen Kinde war verschwunden.

Der Eindruck dieser Begebenheit haftete
unauslöschlich in meinem Gemüth; ich war
seitdem überzeugt, mehr Verstand zu haben,
als die mich beherrschten, und sie betrügen zu
dürfen. Weil sie stärker waren und ihre Stär-
ke gegen mich anwandten, so glaubte ich mei-
nen Verstand, als die einzige Waffe, wodurch
ich ihnen überlegen wäre, gebrauchen zu müs-

genſinn, wie ſie es nannten, erleiden, deren
Ungerechtigkeit mich nur noch mehr empoͤrte,
und meine Verachtung gegen die geringe Ein-
ſicht meiner Vorgeſetzten noch vergroͤßerte. Wie
ſeufzte ich nach dem Moment, mich von den
hartherzigen, unverſtaͤndigen Tyrannen los zu
machen, ſie nicht mehr fuͤrchten zu duͤrfen!
Jch ſuchte in den Augen meiner Schweſter
eine Uebereinſtimmung mit dieſem Gefuͤhle,
ohne ſie zu finden; das Kind war durch meine
erlittne Strafe erſchreckt, und las gedankenlos,
was man ihr aufgab, mit allem Eifer, bloß
um den Beyfall der Mutter zu erhalten; ich
hatte Mitleid mit ihr, aber mein Zutrauen zu
dem ſchwachen Kinde war verſchwunden.

Der Eindruck dieſer Begebenheit haftete
unausloͤſchlich in meinem Gemuͤth; ich war
ſeitdem uͤberzeugt, mehr Verſtand zu haben,
als die mich beherrſchten, und ſie betruͤgen zu
duͤrfen. Weil ſie ſtaͤrker waren und ihre Staͤr-
ke gegen mich anwandten, ſo glaubte ich mei-
nen Verſtand, als die einzige Waffe, wodurch
ich ihnen uͤberlegen waͤre, gebrauchen zu muͤſ-

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[106/0114] genſinn, wie ſie es nannten, erleiden, deren Ungerechtigkeit mich nur noch mehr empoͤrte, und meine Verachtung gegen die geringe Ein- ſicht meiner Vorgeſetzten noch vergroͤßerte. Wie ſeufzte ich nach dem Moment, mich von den hartherzigen, unverſtaͤndigen Tyrannen los zu machen, ſie nicht mehr fuͤrchten zu duͤrfen! Jch ſuchte in den Augen meiner Schweſter eine Uebereinſtimmung mit dieſem Gefuͤhle, ohne ſie zu finden; das Kind war durch meine erlittne Strafe erſchreckt, und las gedankenlos, was man ihr aufgab, mit allem Eifer, bloß um den Beyfall der Mutter zu erhalten; ich hatte Mitleid mit ihr, aber mein Zutrauen zu dem ſchwachen Kinde war verſchwunden. Der Eindruck dieſer Begebenheit haftete unausloͤſchlich in meinem Gemuͤth; ich war ſeitdem uͤberzeugt, mehr Verſtand zu haben, als die mich beherrſchten, und ſie betruͤgen zu duͤrfen. Weil ſie ſtaͤrker waren und ihre Staͤr- ke gegen mich anwandten, ſo glaubte ich mei- nen Verſtand, als die einzige Waffe, wodurch ich ihnen uͤberlegen waͤre, gebrauchen zu muͤſ-

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/114>, abgerufen am 25.11.2024.