Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

sen. Jch suchte auf jede Weise meine Unab-
hängigkeit in meinem Jnnern zu erhalten, je
mehr ich meine Handlungen und mein äußeres
Leben nach ihrem Willen ordnen mußte. Jn
jeder Meinung ging ich geflissentlich von der
ihrigen ab, es war mir genug, daß jene etwas
fest glaubten, um starke Zweifel in mir dage-
gen zu hegen, und grade das entgegengesetzte
anzunehmen. Da ich nun meine Freydenkerey
forgfältig verbergen mußte, so hielt ich mich
heimlich für den Zwang schadlos; jeder Akt
von Unabhängigkeit, auch der allerunbedeu-
tendste, erfüllte meine Seele mit einem gehei-
men Triumph, und daß ich nicht gleich auf
der Stelle für meine Unwahrheit von Gott be-
straft wurde, befestigte mich in meiner Ueber-
zeugung. So lebte ich, in anscheinendem
Frieden, innerlich in beständigem Krieg mit
meinen Vorgesetzten, dachte auch, sie verach-
teten mich eben so, wie ich sie, und suchten
mich nur zu überlisten.

Wie ward ich nun überrascht und erschüt-
tert, als ich bey einer Krankheit, die ich aus

ſen. Jch ſuchte auf jede Weiſe meine Unab-
haͤngigkeit in meinem Jnnern zu erhalten, je
mehr ich meine Handlungen und mein aͤußeres
Leben nach ihrem Willen ordnen mußte. Jn
jeder Meinung ging ich gefliſſentlich von der
ihrigen ab, es war mir genug, daß jene etwas
feſt glaubten, um ſtarke Zweifel in mir dage-
gen zu hegen, und grade das entgegengeſetzte
anzunehmen. Da ich nun meine Freydenkerey
forgfaͤltig verbergen mußte, ſo hielt ich mich
heimlich fuͤr den Zwang ſchadlos; jeder Akt
von Unabhaͤngigkeit, auch der allerunbedeu-
tendſte, erfuͤllte meine Seele mit einem gehei-
men Triumph, und daß ich nicht gleich auf
der Stelle fuͤr meine Unwahrheit von Gott be-
ſtraft wurde, befeſtigte mich in meiner Ueber-
zeugung. So lebte ich, in anſcheinendem
Frieden, innerlich in beſtaͤndigem Krieg mit
meinen Vorgeſetzten, dachte auch, ſie verach-
teten mich eben ſo, wie ich ſie, und ſuchten
mich nur zu uͤberliſten.

Wie ward ich nun uͤberraſcht und erſchuͤt-
tert, als ich bey einer Krankheit, die ich aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0115" n="107"/>
&#x017F;en. Jch &#x017F;uchte auf jede Wei&#x017F;e meine Unab-<lb/>
ha&#x0364;ngigkeit in meinem Jnnern zu erhalten, je<lb/>
mehr ich meine Handlungen und mein a&#x0364;ußeres<lb/>
Leben nach ihrem Willen ordnen mußte. Jn<lb/>
jeder Meinung ging ich gefli&#x017F;&#x017F;entlich von der<lb/>
ihrigen ab, es war mir genug, daß jene etwas<lb/>
fe&#x017F;t glaubten, um &#x017F;tarke Zweifel in mir dage-<lb/>
gen zu hegen, und grade das entgegenge&#x017F;etzte<lb/>
anzunehmen. Da ich nun meine Freydenkerey<lb/>
forgfa&#x0364;ltig verbergen mußte, &#x017F;o hielt ich mich<lb/>
heimlich fu&#x0364;r den Zwang &#x017F;chadlos; jeder Akt<lb/>
von Unabha&#x0364;ngigkeit, auch der allerunbedeu-<lb/>
tend&#x017F;te, erfu&#x0364;llte meine Seele mit einem gehei-<lb/>
men Triumph, und daß ich nicht gleich auf<lb/>
der Stelle fu&#x0364;r meine Unwahrheit von Gott be-<lb/>
&#x017F;traft wurde, befe&#x017F;tigte mich in meiner Ueber-<lb/>
zeugung. So lebte ich, in an&#x017F;cheinendem<lb/>
Frieden, innerlich in be&#x017F;ta&#x0364;ndigem Krieg mit<lb/>
meinen Vorge&#x017F;etzten, dachte auch, &#x017F;ie verach-<lb/>
teten mich eben &#x017F;o, wie ich &#x017F;ie, und &#x017F;uchten<lb/>
mich nur zu u&#x0364;berli&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Wie ward ich nun u&#x0364;berra&#x017F;cht und er&#x017F;chu&#x0364;t-<lb/>
tert, als ich bey einer Krankheit, die ich aus<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0115] ſen. Jch ſuchte auf jede Weiſe meine Unab- haͤngigkeit in meinem Jnnern zu erhalten, je mehr ich meine Handlungen und mein aͤußeres Leben nach ihrem Willen ordnen mußte. Jn jeder Meinung ging ich gefliſſentlich von der ihrigen ab, es war mir genug, daß jene etwas feſt glaubten, um ſtarke Zweifel in mir dage- gen zu hegen, und grade das entgegengeſetzte anzunehmen. Da ich nun meine Freydenkerey forgfaͤltig verbergen mußte, ſo hielt ich mich heimlich fuͤr den Zwang ſchadlos; jeder Akt von Unabhaͤngigkeit, auch der allerunbedeu- tendſte, erfuͤllte meine Seele mit einem gehei- men Triumph, und daß ich nicht gleich auf der Stelle fuͤr meine Unwahrheit von Gott be- ſtraft wurde, befeſtigte mich in meiner Ueber- zeugung. So lebte ich, in anſcheinendem Frieden, innerlich in beſtaͤndigem Krieg mit meinen Vorgeſetzten, dachte auch, ſie verach- teten mich eben ſo, wie ich ſie, und ſuchten mich nur zu uͤberliſten. Wie ward ich nun uͤberraſcht und erſchuͤt- tert, als ich bey einer Krankheit, die ich aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/115
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/115>, abgerufen am 13.05.2024.