ganz überlassen, und ich war allein mit dem Pater. Nur an seltnen Festtagen dursten wir zur Mutter kommen; auch fanden wir immer weniger Trost bey ihr, sie bezeigte uns zwar viel Liebe, besonders mir; aber sie selbst ward täglich trüber, und den An- dachtsübungen immer mehr hingegeben. Mein einziger Trost war meine Schwester, die ich aber nie sprechen konnte als im Garten, wo- hin mich der Pater regelmäßig jeden Abend führte, wo sie sich dann auch mit ihrer Hof- meisterin einfand; dieß war die einzige fro- he Stunde, die ich den ganzen Tag hatte; und auch diese war beschränkt, denn der Pa- ter verließ mich keinen Augenblick, und ge- lang es uns auch, uns allein zu unterhal- ten, so vergiengen sie unter gegenseitigen Klagen. Das arme kleine Madchen jammer- te besonders sehr über die haßliche Kleidung, die ihr nicht stehen wollte, ich tröstete sie oft, wenn ich weniger übel gelaunt war, und einigemal versicherte ich ihr sogar als ei- ne Prophezeyung, ich wurde es, wenn ich
ganz uͤberlaſſen, und ich war allein mit dem Pater. Nur an ſeltnen Feſttagen durſten wir zur Mutter kommen; auch fanden wir immer weniger Troſt bey ihr, ſie bezeigte uns zwar viel Liebe, beſonders mir; aber ſie ſelbſt ward taͤglich truͤber, und den An- dachtsuͤbungen immer mehr hingegeben. Mein einziger Troſt war meine Schweſter, die ich aber nie ſprechen konnte als im Garten, wo- hin mich der Pater regelmaͤßig jeden Abend fuͤhrte, wo ſie ſich dann auch mit ihrer Hof- meiſterin einfand; dieß war die einzige fro- he Stunde, die ich den ganzen Tag hatte; und auch dieſe war beſchraͤnkt, denn der Pa- ter verließ mich keinen Augenblick, und ge- lang es uns auch, uns allein zu unterhal- ten, ſo vergiengen ſie unter gegenſeitigen Klagen. Das arme kleine Madchen jammer- te beſonders ſehr uͤber die haßliche Kleidung, die ihr nicht ſtehen wollte, ich troͤſtete ſie oft, wenn ich weniger uͤbel gelaunt war, und einigemal verſicherte ich ihr ſogar als ei- ne Prophezeyung, ich wurde es, wenn ich
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ganz uͤberlaſſen, und ich war allein mit dem
Pater. Nur an ſeltnen Feſttagen durſten
wir zur Mutter kommen; auch fanden wir
immer weniger Troſt bey ihr, ſie bezeigte
uns zwar viel Liebe, beſonders mir; aber
ſie ſelbſt ward taͤglich truͤber, und den An-
dachtsuͤbungen immer mehr hingegeben. Mein
einziger Troſt war meine Schweſter, die ich
aber nie ſprechen konnte als im Garten, wo-
hin mich der Pater regelmaͤßig jeden Abend
fuͤhrte, wo ſie ſich dann auch mit ihrer Hof-
meiſterin einfand; dieß war die einzige fro-
he Stunde, die ich den ganzen Tag hatte;
und auch dieſe war beſchraͤnkt, denn der Pa-
ter verließ mich keinen Augenblick, und ge-
lang es uns auch, uns allein zu unterhal-
ten, ſo vergiengen ſie unter gegenſeitigen
Klagen. Das arme kleine Madchen jammer-
te beſonders ſehr uͤber die haßliche Kleidung,
die ihr nicht ſtehen wollte, ich troͤſtete ſie
oft, wenn ich weniger uͤbel gelaunt war,
und einigemal verſicherte ich ihr ſogar als ei-
ne Prophezeyung, ich wurde es, wenn ich
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/110>, abgerufen am 25.11.2024.
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