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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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Jch war außer mir, ich wollte es durchaus
nicht leiden, keine Drohung konnte mich be-
wegen. Endlich zog meine Schwester mit stil-
len sanften Thränen an, was man von ihr
verlangte, da ließ ich mir's auch gefallen.
Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die-
sem unglücklichen Tage.

Wir wurden zur Mutter herein gerufen;
sie war im Gespräch mit dem Prior und
noch einem Mann in geistlicher Kleidung,
den ich nicht kannte, der mir aber einen so
fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den
Augenblick, wo ich ihn zuerst gesehen, nie
vergessen werde. Er hatte ein finstres kaltes
Gesicht wie der Prior, nur daß dieser, ein
vollkommen schöner Mann, mit feyerlichem stol-
zen Anstand sich sehr gut zu präsentiren
wußte, auch über meine Mutter eine Supe-
riorität hatte, die Allen Ehrfurcht einflößen
mußte. Der neue Ankömmling war lang
und mager, von gelber Gesichtsfarbe, und
hatte so durchaus etwas jämmerliches und de-
müthiges. Er bückte sich bey jedem Wort,

Jch war außer mir, ich wollte es durchaus
nicht leiden, keine Drohung konnte mich be-
wegen. Endlich zog meine Schweſter mit ſtil-
len ſanften Thraͤnen an, was man von ihr
verlangte, da ließ ich mir’s auch gefallen.
Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die-
ſem ungluͤcklichen Tage.

Wir wurden zur Mutter herein gerufen;
ſie war im Geſpraͤch mit dem Prior und
noch einem Mann in geiſtlicher Kleidung,
den ich nicht kannte, der mir aber einen ſo
fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den
Augenblick, wo ich ihn zuerſt geſehen, nie
vergeſſen werde. Er hatte ein finſtres kaltes
Geſicht wie der Prior, nur daß dieſer, ein
vollkommen ſchoͤner Mann, mit feyerlichem ſtol-
zen Anſtand ſich ſehr gut zu praͤſentiren
wußte, auch uͤber meine Mutter eine Supe-
rioritaͤt hatte, die Allen Ehrfurcht einfloͤßen
mußte. Der neue Ankoͤmmling war lang
und mager, von gelber Geſichtsfarbe, und
hatte ſo durchaus etwas jaͤmmerliches und de-
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[95/0103] Jch war außer mir, ich wollte es durchaus nicht leiden, keine Drohung konnte mich be- wegen. Endlich zog meine Schweſter mit ſtil- len ſanften Thraͤnen an, was man von ihr verlangte, da ließ ich mir’s auch gefallen. Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die- ſem ungluͤcklichen Tage. Wir wurden zur Mutter herein gerufen; ſie war im Geſpraͤch mit dem Prior und noch einem Mann in geiſtlicher Kleidung, den ich nicht kannte, der mir aber einen ſo fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den Augenblick, wo ich ihn zuerſt geſehen, nie vergeſſen werde. Er hatte ein finſtres kaltes Geſicht wie der Prior, nur daß dieſer, ein vollkommen ſchoͤner Mann, mit feyerlichem ſtol- zen Anſtand ſich ſehr gut zu praͤſentiren wußte, auch uͤber meine Mutter eine Supe- rioritaͤt hatte, die Allen Ehrfurcht einfloͤßen mußte. Der neue Ankoͤmmling war lang und mager, von gelber Geſichtsfarbe, und hatte ſo durchaus etwas jaͤmmerliches und de- muͤthiges. Er buͤckte ſich bey jedem Wort,

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/103>, abgerufen am 13.05.2024.