Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

zu beruhigen; die Wärterin fragte mich:
warum ich denn so sehr weinte? Jch wollte
es nicht sagen, man drang in mich. O daß
der Prior nicht mein Vater war, schrie
ich, so wäre der todt, und der andre Herr
lebte noch! -- Jch erinnere mich jetzt nicht
mehr, was auf diesen Ausruf erfolgte, auch
nicht, ob der Prior zugegen war.

Von den Hausleuten hörte ich manch-
mal mit Bedauern sagen: es wäre doch sonst
viel anders im Hause gewesen! Jch erkun-
digte mich dann bey ihnen und bey meiner
Schwester, wie es eigentlich gewesen wäre?
Jhre Erzählungen gaben mir ein wunderli-
ches buntes Bild von den weltlichen Freuden,
die jetzt ganz aus dem Hause verbannt, und
an deren Stelle feyerliche Unterredungen und
Andachtsübungen getreten waren. Meine
Schwester wußte nicht viel zu erzählen, au-
ßer daß die Mutter damals sehr reiche glän-
zende Kleider angehabt hätte.

Einige Mal hörte ich den Prior meine
Mutter erinnern, daß es jetzt die höchste

zu beruhigen; die Waͤrterin fragte mich:
warum ich denn ſo ſehr weinte? Jch wollte
es nicht ſagen, man drang in mich. O daß
der Prior nicht mein Vater war, ſchrie
ich, ſo waͤre der todt, und der andre Herr
lebte noch! — Jch erinnere mich jetzt nicht
mehr, was auf dieſen Ausruf erfolgte, auch
nicht, ob der Prior zugegen war.

Von den Hausleuten hoͤrte ich manch-
mal mit Bedauern ſagen: es waͤre doch ſonſt
viel anders im Hauſe geweſen! Jch erkun-
digte mich dann bey ihnen und bey meiner
Schweſter, wie es eigentlich geweſen waͤre?
Jhre Erzaͤhlungen gaben mir ein wunderli-
ches buntes Bild von den weltlichen Freuden,
die jetzt ganz aus dem Hauſe verbannt, und
an deren Stelle feyerliche Unterredungen und
Andachtsuͤbungen getreten waren. Meine
Schweſter wußte nicht viel zu erzaͤhlen, au-
ßer daß die Mutter damals ſehr reiche glaͤn-
zende Kleider angehabt haͤtte.

Einige Mal hoͤrte ich den Prior meine
Mutter erinnern, daß es jetzt die hoͤchſte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="93"/>
zu beruhigen; die Wa&#x0364;rterin fragte mich:<lb/>
warum ich denn &#x017F;o &#x017F;ehr weinte? Jch wollte<lb/>
es nicht &#x017F;agen, man drang in mich. O daß<lb/>
der Prior nicht mein Vater war, &#x017F;chrie<lb/>
ich, &#x017F;o wa&#x0364;re der todt, und der andre Herr<lb/>
lebte noch! &#x2014; Jch erinnere mich jetzt nicht<lb/>
mehr, was auf die&#x017F;en Ausruf erfolgte, auch<lb/>
nicht, ob der Prior zugegen war.</p><lb/>
          <p>Von den Hausleuten ho&#x0364;rte ich manch-<lb/><hi rendition="#fr">mal</hi> mit Bedauern &#x017F;agen: es wa&#x0364;re doch &#x017F;on&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">viel</hi> anders im Hau&#x017F;e gewe&#x017F;en! Jch erkun-<lb/><hi rendition="#fr">digte</hi> mich dann bey ihnen und bey meiner<lb/><hi rendition="#fr">Schwe&#x017F;ter,</hi> wie es eigentlich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re?<lb/>
Jhre Erza&#x0364;hlungen gaben mir ein wunderli-<lb/>
ches buntes Bild von den weltlichen Freuden,<lb/><hi rendition="#fr">die</hi> jetzt ganz aus dem Hau&#x017F;e verbannt, und<lb/><hi rendition="#fr">an</hi> deren Stelle feyerliche Unterredungen und<lb/>
Andachtsu&#x0364;bungen getreten waren. Meine<lb/>
Schwe&#x017F;ter wußte nicht viel zu erza&#x0364;hlen, au-<lb/>
ßer daß die Mutter damals &#x017F;ehr reiche gla&#x0364;n-<lb/>
zende Kleider angehabt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Einige Mal ho&#x0364;rte ich den Prior meine<lb/>
Mutter erinnern, daß es jetzt die ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0101] zu beruhigen; die Waͤrterin fragte mich: warum ich denn ſo ſehr weinte? Jch wollte es nicht ſagen, man drang in mich. O daß der Prior nicht mein Vater war, ſchrie ich, ſo waͤre der todt, und der andre Herr lebte noch! — Jch erinnere mich jetzt nicht mehr, was auf dieſen Ausruf erfolgte, auch nicht, ob der Prior zugegen war. Von den Hausleuten hoͤrte ich manch- mal mit Bedauern ſagen: es waͤre doch ſonſt viel anders im Hauſe geweſen! Jch erkun- digte mich dann bey ihnen und bey meiner Schweſter, wie es eigentlich geweſen waͤre? Jhre Erzaͤhlungen gaben mir ein wunderli- ches buntes Bild von den weltlichen Freuden, die jetzt ganz aus dem Hauſe verbannt, und an deren Stelle feyerliche Unterredungen und Andachtsuͤbungen getreten waren. Meine Schweſter wußte nicht viel zu erzaͤhlen, au- ßer daß die Mutter damals ſehr reiche glaͤn- zende Kleider angehabt haͤtte. Einige Mal hoͤrte ich den Prior meine Mutter erinnern, daß es jetzt die hoͤchſte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/101
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/101>, abgerufen am 13.05.2024.