zu beruhigen; die Wärterin fragte mich: warum ich denn so sehr weinte? Jch wollte es nicht sagen, man drang in mich. O daß der Prior nicht mein Vater war, schrie ich, so wäre der todt, und der andre Herr lebte noch! -- Jch erinnere mich jetzt nicht mehr, was auf diesen Ausruf erfolgte, auch nicht, ob der Prior zugegen war.
Von den Hausleuten hörte ich manch- mal mit Bedauern sagen: es wäre doch sonst viel anders im Hause gewesen! Jch erkun- digte mich dann bey ihnen und bey meiner Schwester, wie es eigentlich gewesen wäre? Jhre Erzählungen gaben mir ein wunderli- ches buntes Bild von den weltlichen Freuden, die jetzt ganz aus dem Hause verbannt, und an deren Stelle feyerliche Unterredungen und Andachtsübungen getreten waren. Meine Schwester wußte nicht viel zu erzählen, au- ßer daß die Mutter damals sehr reiche glän- zende Kleider angehabt hätte.
Einige Mal hörte ich den Prior meine Mutter erinnern, daß es jetzt die höchste
zu beruhigen; die Waͤrterin fragte mich: warum ich denn ſo ſehr weinte? Jch wollte es nicht ſagen, man drang in mich. O daß der Prior nicht mein Vater war, ſchrie ich, ſo waͤre der todt, und der andre Herr lebte noch! — Jch erinnere mich jetzt nicht mehr, was auf dieſen Ausruf erfolgte, auch nicht, ob der Prior zugegen war.
Von den Hausleuten hoͤrte ich manch- mal mit Bedauern ſagen: es waͤre doch ſonſt viel anders im Hauſe geweſen! Jch erkun- digte mich dann bey ihnen und bey meiner Schweſter, wie es eigentlich geweſen waͤre? Jhre Erzaͤhlungen gaben mir ein wunderli- ches buntes Bild von den weltlichen Freuden, die jetzt ganz aus dem Hauſe verbannt, und an deren Stelle feyerliche Unterredungen und Andachtsuͤbungen getreten waren. Meine Schweſter wußte nicht viel zu erzaͤhlen, au- ßer daß die Mutter damals ſehr reiche glaͤn- zende Kleider angehabt haͤtte.
Einige Mal hoͤrte ich den Prior meine Mutter erinnern, daß es jetzt die hoͤchſte
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zu beruhigen; die Waͤrterin fragte mich:
warum ich denn ſo ſehr weinte? Jch wollte
es nicht ſagen, man drang in mich. O daß
der Prior nicht mein Vater war, ſchrie
ich, ſo waͤre der todt, und der andre Herr
lebte noch! — Jch erinnere mich jetzt nicht
mehr, was auf dieſen Ausruf erfolgte, auch
nicht, ob der Prior zugegen war.
Von den Hausleuten hoͤrte ich manch-
mal mit Bedauern ſagen: es waͤre doch ſonſt
viel anders im Hauſe geweſen! Jch erkun-
digte mich dann bey ihnen und bey meiner
Schweſter, wie es eigentlich geweſen waͤre?
Jhre Erzaͤhlungen gaben mir ein wunderli-
ches buntes Bild von den weltlichen Freuden,
die jetzt ganz aus dem Hauſe verbannt, und
an deren Stelle feyerliche Unterredungen und
Andachtsuͤbungen getreten waren. Meine
Schweſter wußte nicht viel zu erzaͤhlen, au-
ßer daß die Mutter damals ſehr reiche glaͤn-
zende Kleider angehabt haͤtte.
Einige Mal hoͤrte ich den Prior meine
Mutter erinnern, daß es jetzt die hoͤchſte
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/101>, abgerufen am 24.11.2024.
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