die größte Litteratur haben doch Franzosen und Deutsche; darum passen sie zusammen und halten sich das Gegengewicht.
A. Nach Litteratur kann man die Völker nicht allein beurtheilen; was haben sie für einen Karakter? darauf kommt's auch an. Zum Beispiel: die Russen. Welchen Karakter! und die haben gar keine Litteratur.
R. Die sind auch wie außereuropäisch. Und sie und alle Völker wollen doch unsre Bildung, und streben danach --; ja, ich kann mir gebildete Völker ohne Litteratur denken; aber die müssen ganz anders sein, da muß die Bildung in's Leben übergegangen sein; Bewegung wie Tanz; und ganz andere Institute und Zwecke, und Lebenseinrichtungen: -- aber die Dänen, Schweden, Russen, wollen doch alle nur was wir wollen; und neuere Völker können nur nach ihrer Litteratur beurtheilt werden.
A. Ja, wo sich der Einzelne ganz in seine Nation verliert!
R. Nein, wo die Nation in jedem Einzelnen lebt!
A. Auch gut! wie der Flohdoktor. --
R. Auch gut? Was ist denn eine Nation? Eine An- stalt -- für den Einzelnen :/ eine Reise: wie Schwalben über einen Sumpf ziehen, wenn sie einzeln hinüber könnten, wär's nicht nöthig.
die größte Litteratur haben doch Franzoſen und Deutſche; darum paſſen ſie zuſammen und halten ſich das Gegengewicht.
A. Nach Litteratur kann man die Völker nicht allein beurtheilen; was haben ſie für einen Karakter? darauf kommt’s auch an. Zum Beiſpiel: die Ruſſen. Welchen Karakter! und die haben gar keine Litteratur.
R. Die ſind auch wie außereuropäiſch. Und ſie und alle Völker wollen doch unſre Bildung, und ſtreben danach —; ja, ich kann mir gebildete Völker ohne Litteratur denken; aber die müſſen ganz anders ſein, da muß die Bildung in’s Leben übergegangen ſein; Bewegung wie Tanz; und ganz andere Inſtitute und Zwecke, und Lebenseinrichtungen: — aber die Dänen, Schweden, Ruſſen, wollen doch alle nur was wir wollen; und neuere Völker können nur nach ihrer Litteratur beurtheilt werden.
A. Ja, wo ſich der Einzelne ganz in ſeine Nation verliert!
R. Nein, wo die Nation in jedem Einzelnen lebt!
A. Auch gut! wie der Flohdoktor. —
R. Auch gut? Was iſt denn eine Nation? Eine An- ſtalt — für den Einzelnen :/ eine Reiſe: wie Schwalben über einen Sumpf ziehen, wenn ſie einzeln hinüber könnten, wär’s nicht nöthig.
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die größte Litteratur haben doch Franzoſen und Deutſche;
darum paſſen ſie zuſammen und halten ſich das Gegengewicht.
A. Nach Litteratur kann man die Völker nicht allein
beurtheilen; was haben ſie für einen Karakter? darauf kommt’s
auch an. Zum Beiſpiel: die Ruſſen. Welchen Karakter! und
die haben gar keine Litteratur.
R. Die ſind auch wie außereuropäiſch. Und ſie und
alle Völker wollen doch unſre Bildung, und ſtreben danach —;
ja, ich kann mir gebildete Völker ohne Litteratur denken;
aber die müſſen ganz anders ſein, da muß die Bildung in’s
Leben übergegangen ſein; Bewegung wie Tanz; und ganz
andere Inſtitute und Zwecke, und Lebenseinrichtungen: — aber
die Dänen, Schweden, Ruſſen, wollen doch alle nur was wir
wollen; und neuere Völker können nur nach ihrer Litteratur
beurtheilt werden.
A. Ja, wo ſich der Einzelne ganz in ſeine Nation
verliert!
R. Nein, wo die Nation in jedem Einzelnen lebt!
A. Auch gut! wie der Flohdoktor. —
R. Auch gut? Was iſt denn eine Nation? Eine An-
ſtalt — für den Einzelnen :/ eine Reiſe: wie Schwalben über
einen Sumpf ziehen, wenn ſie einzeln hinüber könnten, wär’s
nicht nöthig.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/99>, abgerufen am 23.11.2024.
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