Was können Sie von mir dem Schwefel eben Entstiege- nen verlangen! Auch ich sollte nicht glauben, jetzt einen Brief schreiben zu können; und ich will Sie nur vorbereiten, daß so viel Zeilen Sie auch zu Gesichte bekommen mögen, es keiner ist, und auch keinen vorstellen soll. Wie mit einem Stärkungs- und Heilungsmittel lief ich vor einer Stunde zu Varnhagen mit Ihrem Paket, weil ihn wenig so freut, vor sein Bette; wo er seinem Krampfhusten Ruhe und Stille, als einzige Strei- ter entgegenstellt; ich selbst war noch ganz irritirt von meinem Schwefelbade; habe auch Ihren Brief noch nicht gelesen, nur gesehen was Sie uns alles senden. Nun hätte ich sehr gerne mit einem Scherz begonnen, um Ihnen den Glauben an ein ernsteres Unwohlsein Varnhagens zu benehmen; ich hatte auch einen recht hübschen schon fertig, aber sie haben ihn mir weg- gestört. Billette, Boten, ein Besuch; zwei zum Abweisen, ein paarmal V., noch einigemale meine Jungfer! Endlich zwi- schen dem allen ein Ausgang; aus Karakterschwäche! -- Un- ser König nämlich läßt auf einem Bilde unsere zwei ersten und schönsten Tänzerinnen, die Damen Lemiere und Hoguet, und Hrn. Rebenstein in ihren Kostümen des Ballets Aline mahlen: der junge, schön sehende, talentvolle Mahler, Herr Hensel, besteht gewissermaßen darauf, daß ich das Bild, ehe er es ganz vollendet, sehe, ob ich nicht mit meinen Augen eine Unähnlichkeit entdecke, oder ihm eine Ähnlichkeit mehr angeben kann. Eine angenehme, ehrenvolle Kommission. Nur bin ich
An Oelsner, in Paris.
Sonnabend, den 12. April 1823.
Was können Sie von mir dem Schwefel eben Entſtiege- nen verlangen! Auch ich ſollte nicht glauben, jetzt einen Brief ſchreiben zu können; und ich will Sie nur vorbereiten, daß ſo viel Zeilen Sie auch zu Geſichte bekommen mögen, es keiner iſt, und auch keinen vorſtellen ſoll. Wie mit einem Stärkungs- und Heilungsmittel lief ich vor einer Stunde zu Varnhagen mit Ihrem Paket, weil ihn wenig ſo freut, vor ſein Bette; wo er ſeinem Krampfhuſten Ruhe und Stille, als einzige Strei- ter entgegenſtellt; ich ſelbſt war noch ganz irritirt von meinem Schwefelbade; habe auch Ihren Brief noch nicht geleſen, nur geſehen was Sie uns alles ſenden. Nun hätte ich ſehr gerne mit einem Scherz begonnen, um Ihnen den Glauben an ein ernſteres Unwohlſein Varnhagens zu benehmen; ich hatte auch einen recht hübſchen ſchon fertig, aber ſie haben ihn mir weg- geſtört. Billette, Boten, ein Beſuch; zwei zum Abweiſen, ein paarmal V., noch einigemale meine Jungfer! Endlich zwi- ſchen dem allen ein Ausgang; aus Karakterſchwäche! — Un- ſer König nämlich läßt auf einem Bilde unſere zwei erſten und ſchönſten Tänzerinnen, die Damen Lemière und Hoguet, und Hrn. Rebenſtein in ihren Koſtümen des Ballets Aline mahlen: der junge, ſchön ſehende, talentvolle Mahler, Herr Henſel, beſteht gewiſſermaßen darauf, daß ich das Bild, ehe er es ganz vollendet, ſehe, ob ich nicht mit meinen Augen eine Unähnlichkeit entdecke, oder ihm eine Ähnlichkeit mehr angeben kann. Eine angenehme, ehrenvolle Kommiſſion. Nur bin ich
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An Oelsner, in Paris.
Sonnabend, den 12. April 1823.
Was können Sie von mir dem Schwefel eben Entſtiege-
nen verlangen! Auch ich ſollte nicht glauben, jetzt einen Brief
ſchreiben zu können; und ich will Sie nur vorbereiten, daß ſo
viel Zeilen Sie auch zu Geſichte bekommen mögen, es keiner
iſt, und auch keinen vorſtellen ſoll. Wie mit einem Stärkungs-
und Heilungsmittel lief ich vor einer Stunde zu Varnhagen
mit Ihrem Paket, weil ihn wenig ſo freut, vor ſein Bette;
wo er ſeinem Krampfhuſten Ruhe und Stille, als einzige Strei-
ter entgegenſtellt; ich ſelbſt war noch ganz irritirt von meinem
Schwefelbade; habe auch Ihren Brief noch nicht geleſen, nur
geſehen was Sie uns alles ſenden. Nun hätte ich ſehr gerne
mit einem Scherz begonnen, um Ihnen den Glauben an ein
ernſteres Unwohlſein Varnhagens zu benehmen; ich hatte auch
einen recht hübſchen ſchon fertig, aber ſie haben ihn mir weg-
geſtört. Billette, Boten, ein Beſuch; zwei zum Abweiſen, ein
paarmal V., noch einigemale meine Jungfer! Endlich zwi-
ſchen dem allen ein Ausgang; aus Karakterſchwäche! — Un-
ſer König nämlich läßt auf einem Bilde unſere zwei erſten
und ſchönſten Tänzerinnen, die Damen Lemière und Hoguet,
und Hrn. Rebenſtein in ihren Koſtümen des Ballets Aline
mahlen: der junge, ſchön ſehende, talentvolle Mahler, Herr
Henſel, beſteht gewiſſermaßen darauf, daß ich das Bild, ehe
er es ganz vollendet, ſehe, ob ich nicht mit meinen Augen eine
Unähnlichkeit entdecke, oder ihm eine Ähnlichkeit mehr angeben
kann. Eine angenehme, ehrenvolle Kommiſſion. Nur bin ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/100>, abgerufen am 23.11.2024.
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