Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sehn wollen, bleibt mir ein Räthsel. Ich glaube fest, Sie
könnten in meiner Gegenwart so unschuldig bleiben, und sein,
als in Schl.s: höher wenigstens kann er die Unschuld nicht
schätzen; verwandter ihr nicht sein; ich halte sie für die ein-
zige Tugend: ja, noch mehr! Ein denkender, wahrhaft den-
kender Mensch, kann sie gar nicht verlieren; Besinnen schafft
sie immer wieder. Was wäre das auch für eine Unschuld,
für eine Gabe, die sich verlöre! Sie waren schon oft ein
"Spatz," ein "Kind" in meiner Gegenwart, warum sollten
Sie es nicht noch sein können? Junge unbefangene Herzen,
von Schl. erzogen, die Ihnen die Mittheilung nicht versa-
gen, können Sie bei mir nicht finden: auch nicht Schl.s
hohe, milde Gaben, Einwirkung und Mittheilung: das weiß
ich, tief, hinlänglich, und bestimmt; und längst, längst. Alles dies
aber müßte Sie nicht dispensiren, auch mich ferner zu sehn.
Müssen Sie denn nur allein Vortheil von einem Umgang,
wie der unsrige sein könnte, haben? Und gehen Sie wie
Schmarotzer nach dem besten Dine, und versäumen gleich die
Menschen, die Ihnen nur ein mindergutes bieten können?
Warum wollen Sie mir nicht auch ein Gebündchen mitbrin-
gen, und Freude an meinem Genuß, an meinem Gedeihen
haben?

Sie thaten es sonst, und gaben reichlich, reichlich! wie
nur allein Sie zu geben vermögen: und gewiß, angenehme
Freundin, es kann der Begabteste Ihre reichen, hohen Ei-
genschaften nicht höher ansehn, und schätzen, als ich es
stumm, und auch beredt, thue; Sie nicht so hoch aus aller
vulgaren Beurtheilung hinaus stellen; größeres Ergötzen, im

III. 33

ſehn wollen, bleibt mir ein Räthſel. Ich glaube feſt, Sie
könnten in meiner Gegenwart ſo unſchuldig bleiben, und ſein,
als in Schl.s: höher wenigſtens kann er die Unſchuld nicht
ſchätzen; verwandter ihr nicht ſein; ich halte ſie für die ein-
zige Tugend: ja, noch mehr! Ein denkender, wahrhaft den-
kender Menſch, kann ſie gar nicht verlieren; Beſinnen ſchafft
ſie immer wieder. Was wäre das auch für eine Unſchuld,
für eine Gabe, die ſich verlöre! Sie waren ſchon oft ein
„Spatz,“ ein „Kind“ in meiner Gegenwart, warum ſollten
Sie es nicht noch ſein können? Junge unbefangene Herzen,
von Schl. erzogen, die Ihnen die Mittheilung nicht verſa-
gen, können Sie bei mir nicht finden: auch nicht Schl.s
hohe, milde Gaben, Einwirkung und Mittheilung: das weiß
ich, tief, hinlänglich, und beſtimmt; und längſt, längſt. Alles dies
aber müßte Sie nicht dispenſiren, auch mich ferner zu ſehn.
Müſſen Sie denn nur allein Vortheil von einem Umgang,
wie der unſrige ſein könnte, haben? Und gehen Sie wie
Schmarotzer nach dem beſten Diné, und verſäumen gleich die
Menſchen, die Ihnen nur ein mindergutes bieten können?
Warum wollen Sie mir nicht auch ein Gebündchen mitbrin-
gen, und Freude an meinem Genuß, an meinem Gedeihen
haben?

Sie thaten es ſonſt, und gaben reichlich, reichlich! wie
nur allein Sie zu geben vermögen: und gewiß, angenehme
Freundin, es kann der Begabteſte Ihre reichen, hohen Ei-
genſchaften nicht höher anſehn, und ſchätzen, als ich es
ſtumm, und auch beredt, thue; Sie nicht ſo hoch aus aller
vulgaren Beurtheilung hinaus ſtellen; größeres Ergötzen, im

III. 33
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0521" n="513"/>
&#x017F;ehn wollen, bleibt mir ein Räth&#x017F;el. Ich glaube fe&#x017F;t, Sie<lb/>
könnten in meiner Gegenwart &#x017F;o un&#x017F;chuldig bleiben, und &#x017F;ein,<lb/>
als in Schl.s: höher wenig&#x017F;tens kann er die Un&#x017F;chuld nicht<lb/>
&#x017F;chätzen; verwandter ihr nicht &#x017F;ein; ich halte &#x017F;ie für die ein-<lb/>
zige Tugend: ja, noch mehr! Ein denkender, wahrhaft den-<lb/>
kender Men&#x017F;ch, kann &#x017F;ie gar nicht verlieren; Be&#x017F;innen &#x017F;chafft<lb/>
&#x017F;ie immer wieder. Was wäre das auch für eine Un&#x017F;chuld,<lb/>
für eine Gabe, die &#x017F;ich <hi rendition="#g">verlöre</hi>! Sie waren &#x017F;chon oft ein<lb/>
&#x201E;Spatz,&#x201C; ein &#x201E;Kind&#x201C; in meiner Gegenwart, warum &#x017F;ollten<lb/>
Sie es nicht noch &#x017F;ein können? Junge unbefangene Herzen,<lb/>
von Schl. erzogen, die Ihnen die Mittheilung nicht ver&#x017F;a-<lb/>
gen, können Sie bei mir nicht finden: auch nicht Schl.s<lb/>
hohe, milde Gaben, Einwirkung und Mittheilung: das weiß<lb/>
ich, tief, hinlänglich, und be&#x017F;timmt; und läng&#x017F;t, läng&#x017F;t. Alles dies<lb/>
aber müßte Sie nicht dispen&#x017F;iren, auch mich ferner zu &#x017F;ehn.<lb/>&#x017F;&#x017F;en Sie denn nur allein Vortheil von einem Umgang,<lb/>
wie der un&#x017F;rige &#x017F;ein könnte, haben? Und gehen Sie wie<lb/>
Schmarotzer nach dem be&#x017F;ten Din<hi rendition="#aq">é</hi>, und ver&#x017F;äumen gleich die<lb/>
Men&#x017F;chen, die Ihnen nur ein mindergutes bieten können?<lb/>
Warum wollen Sie mir nicht auch ein Gebündchen mitbrin-<lb/>
gen, und Freude an meinem Genuß, an meinem Gedeihen<lb/>
haben?</p><lb/>
            <p>Sie thaten es &#x017F;on&#x017F;t, und gaben reichlich, reichlich! wie<lb/>
nur allein Sie zu geben vermögen: und gewiß, angenehme<lb/>
Freundin, es kann der Begabte&#x017F;te Ihre reichen, hohen Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaften nicht höher an&#x017F;ehn, und &#x017F;chätzen, als ich es<lb/>
&#x017F;tumm, und auch beredt, thue; Sie nicht &#x017F;o hoch aus aller<lb/>
vulgaren Beurtheilung hinaus &#x017F;tellen; größeres Ergötzen, im<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III.</hi> 33</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[513/0521] ſehn wollen, bleibt mir ein Räthſel. Ich glaube feſt, Sie könnten in meiner Gegenwart ſo unſchuldig bleiben, und ſein, als in Schl.s: höher wenigſtens kann er die Unſchuld nicht ſchätzen; verwandter ihr nicht ſein; ich halte ſie für die ein- zige Tugend: ja, noch mehr! Ein denkender, wahrhaft den- kender Menſch, kann ſie gar nicht verlieren; Beſinnen ſchafft ſie immer wieder. Was wäre das auch für eine Unſchuld, für eine Gabe, die ſich verlöre! Sie waren ſchon oft ein „Spatz,“ ein „Kind“ in meiner Gegenwart, warum ſollten Sie es nicht noch ſein können? Junge unbefangene Herzen, von Schl. erzogen, die Ihnen die Mittheilung nicht verſa- gen, können Sie bei mir nicht finden: auch nicht Schl.s hohe, milde Gaben, Einwirkung und Mittheilung: das weiß ich, tief, hinlänglich, und beſtimmt; und längſt, längſt. Alles dies aber müßte Sie nicht dispenſiren, auch mich ferner zu ſehn. Müſſen Sie denn nur allein Vortheil von einem Umgang, wie der unſrige ſein könnte, haben? Und gehen Sie wie Schmarotzer nach dem beſten Diné, und verſäumen gleich die Menſchen, die Ihnen nur ein mindergutes bieten können? Warum wollen Sie mir nicht auch ein Gebündchen mitbrin- gen, und Freude an meinem Genuß, an meinem Gedeihen haben? Sie thaten es ſonſt, und gaben reichlich, reichlich! wie nur allein Sie zu geben vermögen: und gewiß, angenehme Freundin, es kann der Begabteſte Ihre reichen, hohen Ei- genſchaften nicht höher anſehn, und ſchätzen, als ich es ſtumm, und auch beredt, thue; Sie nicht ſo hoch aus aller vulgaren Beurtheilung hinaus ſtellen; größeres Ergötzen, im III. 33

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/521
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/521>, abgerufen am 04.06.2024.