gen, mit dem Tod. Sind wir es nicht schon? Ist er wun- derbarer, als das Leben? Dies Leben, mit den innern, gei- stigen Lücken? Dieses zerrissene Bruchstück? Wo er am Ende doch steht? Wer mir durch den dunklen Mutterleib half, bringt mich auch durch dunkle Erde! Ich will leben; also muß ich auch leben. Mein Lebensgefühl, mein Glücks-, Ordnungs-, Vernunftbedürfniß, sind mir auch die Bürgen für dies alles; wie käm' ich sonst darauf? diese sind mein Gott in mir und außer mir; mein letzter Win- kel, wo auch mein Tempel und meine Religion ist. Wenn ich jeden Augenblick sterben kann, so bin ich schon todt; d. h. ich lebe todt weiter. Und ich fühle ja mein Leben, und nicht den Tod; wie sträubt sich unser Innerstes bei jeder Probe, wo ihm nur Einhalt, Hemmung gethan werden soll; jeden Widerspruch eines gerechten Anspruchs von uns fühlen wir nur darum so empfindlich, ja eigentlich so unleidlich! -- Gewiß werden wir wieder jung. Herrliches physisches Gefühl: nämlich ganz fertiges, nicht erst zusammengedacht, gemacht, von uns selbst erst bereitet, sondern gleich passend, gehörend zu dem Ort, wo wir zu sein haben: das ist Jugend; darin besteht sie: einschlürfend das Dasein, ausströmend, er- regend wieder ausströmend: und eine neue viel gesteigertere Jugend müssen wir wiederkriegen: in ihr fortleben: und in einer, in einer innern, leben wir schon fort! Und nur viel- behäutete Köpfe können es lächerlich finden, wenn Alte noch wollen, wie Junge. Wollen sollten sie auch nicht? Ist es nicht Erde genug, daß sie nicht können? Soll im Leben ein Oberceremonienmeister wie an Höfen herrschen? Wahrhaftig,
gen, mit dem Tod. Sind wir es nicht ſchon? Iſt er wun- derbarer, als das Leben? Dies Leben, mit den innern, gei- ſtigen Lücken? Dieſes zerriſſene Bruchſtück? Wo er am Ende doch ſteht? Wer mir durch den dunklen Mutterleib half, bringt mich auch durch dunkle Erde! Ich will leben; alſo muß ich auch leben. Mein Lebensgefühl, mein Glücks-, Ordnungs-, Vernunftbedürfniß, ſind mir auch die Bürgen für dies alles; wie käm’ ich ſonſt darauf? dieſe ſind mein Gott in mir und außer mir; mein letzter Win- kel, wo auch mein Tempel und meine Religion iſt. Wenn ich jeden Augenblick ſterben kann, ſo bin ich ſchon todt; d. h. ich lebe todt weiter. Und ich fühle ja mein Leben, und nicht den Tod; wie ſträubt ſich unſer Innerſtes bei jeder Probe, wo ihm nur Einhalt, Hemmung gethan werden ſoll; jeden Widerſpruch eines gerechten Anſpruchs von uns fühlen wir nur darum ſo empfindlich, ja eigentlich ſo unleidlich! — Gewiß werden wir wieder jung. Herrliches phyſiſches Gefühl: nämlich ganz fertiges, nicht erſt zuſammengedacht, gemacht, von uns ſelbſt erſt bereitet, ſondern gleich paſſend, gehörend zu dem Ort, wo wir zu ſein haben: das iſt Jugend; darin beſteht ſie: einſchlürfend das Daſein, ausſtrömend, er- regend wieder ausſtrömend: und eine neue viel geſteigertere Jugend müſſen wir wiederkriegen: in ihr fortleben: und in einer, in einer innern, leben wir ſchon fort! Und nur viel- behäutete Köpfe können es lächerlich finden, wenn Alte noch wollen, wie Junge. Wollen ſollten ſie auch nicht? Iſt es nicht Erde genug, daß ſie nicht können? Soll im Leben ein Oberceremonienmeiſter wie an Höfen herrſchen? Wahrhaftig,
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gen, mit dem Tod. Sind wir es nicht ſchon? Iſt er wun-
derbarer, als das Leben? Dies Leben, mit den innern, gei-
ſtigen Lücken? Dieſes zerriſſene Bruchſtück? Wo er am Ende
doch ſteht? Wer mir durch den dunklen Mutterleib
half, bringt mich auch durch dunkle Erde! Ich
will leben; alſo muß ich auch leben. Mein Lebensgefühl,
mein Glücks-, Ordnungs-, Vernunftbedürfniß, ſind mir
auch die Bürgen für dies alles; wie käm’ ich ſonſt darauf?
dieſe ſind mein Gott in mir und außer mir; mein letzter Win-
kel, wo auch mein Tempel und meine Religion iſt. Wenn
ich jeden Augenblick ſterben kann, ſo bin ich ſchon todt; d. h.
ich lebe todt weiter. Und ich fühle ja mein Leben, und
nicht den Tod; wie ſträubt ſich unſer Innerſtes bei jeder
Probe, wo ihm nur Einhalt, Hemmung gethan werden ſoll;
jeden Widerſpruch eines gerechten Anſpruchs von uns fühlen
wir nur darum ſo empfindlich, ja eigentlich ſo unleidlich!
— Gewiß werden wir wieder jung. Herrliches phyſiſches
Gefühl: nämlich ganz fertiges, nicht erſt zuſammengedacht,
gemacht, von uns ſelbſt erſt bereitet, ſondern gleich paſſend,
gehörend zu dem Ort, wo wir zu ſein haben: das iſt Jugend;
darin beſteht ſie: einſchlürfend das Daſein, ausſtrömend, er-
regend wieder ausſtrömend: und eine neue viel geſteigertere
Jugend müſſen wir wiederkriegen: in ihr fortleben: und in
einer, in einer innern, leben wir ſchon fort! Und nur viel-
behäutete Köpfe können es lächerlich finden, wenn Alte noch
wollen, wie Junge. Wollen ſollten ſie auch nicht? Iſt es
nicht Erde genug, daß ſie nicht können? Soll im Leben ein
Oberceremonienmeiſter wie an Höfen herrſchen? Wahrhaftig,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/490>, abgerufen am 24.11.2024.
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