welches durch nichts, was man auch auffinden mag, zu er- klären wäre, als durch die unendliche Tiefe der Leere, die dies nicht allein erlaubt, sondern erfordert. Ich spreche natür- lich nur von den Mitgliedern der großen Welt: die andern zählen gar nicht: und da hat ein jeder eine andre Original- Unart; die hauptsächlich darin besteht, keine Art zu haben. Aus diesem Gesichtspunkt haben wir durch die Abberufung des jungen Grafen Rechberg einen wahren Verlust erlitten. In diesem Kreise fast ein Phänomen zu nennen: wir lernten ihn nur seine ganz letzte Zeit in Berlin kennen: ich fand ihn aber einen feinen, und keinen oberflächlichen Menschen; kräftig, und doch mit all der Zurückhaltung, die seine Stellung er- heischt; körperlichen Übungen gewachsen, und ihrer benöthigt, ohne im geringsten die sedentaire Bescheidenheit verletzend; Haltung mit jungem Blut; der Karakter eines Diplomaten, ohne den des Menschen zu beeinträchtigen; und, wie Moce- nigo sagt, ein starker fleißiger Arbeiter. Son chemin est fait: si tant est, qu'il y a un chemin.
Mit dieser langen Parenthese, die ich heute schrieb, will ich suchen meinen Brief da, wo ich ihn ließ, wieder aufzu- nehmen. "Der Stoff, in dem er schreibt, ist nur Grammatik und Wörterbuch," sagte ich: und von da an will ich fort- fahren. Unter Stoff verstehe ich hier Marmor, oder Palette, Kanevas und Pinsel; dies ist der Stoff für jene Künstler, wie die abstraktesten Worte der zu Ihren Kunstwerken sind. Wohl habe ich Sie gelesen; und werde Sie noch lesen; und mit je- ner Vorrede, die Sie erwähnten, anfangen; und alles von neuem studiren. Sie scheinen keine Vorstellung davon zu ha-
welches durch nichts, was man auch auffinden mag, zu er- klären wäre, als durch die unendliche Tiefe der Leere, die dies nicht allein erlaubt, ſondern erfordert. Ich ſpreche natür- lich nur von den Mitgliedern der großen Welt: die andern zählen gar nicht: und da hat ein jeder eine andre Original- Unart; die hauptſächlich darin beſteht, keine Art zu haben. Aus dieſem Geſichtspunkt haben wir durch die Abberufung des jungen Grafen Rechberg einen wahren Verluſt erlitten. In dieſem Kreiſe faſt ein Phänomen zu nennen: wir lernten ihn nur ſeine ganz letzte Zeit in Berlin kennen: ich fand ihn aber einen feinen, und keinen oberflächlichen Menſchen; kräftig, und doch mit all der Zurückhaltung, die ſeine Stellung er- heiſcht; körperlichen Übungen gewachſen, und ihrer benöthigt, ohne im geringſten die ſedentaire Beſcheidenheit verletzend; Haltung mit jungem Blut; der Karakter eines Diplomaten, ohne den des Menſchen zu beeinträchtigen; und, wie Moce- nigo ſagt, ein ſtarker fleißiger Arbeiter. Son chemin est fait: si tant est, qu’il y a un chemin.
Mit dieſer langen Parentheſe, die ich heute ſchrieb, will ich ſuchen meinen Brief da, wo ich ihn ließ, wieder aufzu- nehmen. „Der Stoff, in dem er ſchreibt, iſt nur Grammatik und Wörterbuch,“ ſagte ich: und von da an will ich fort- fahren. Unter Stoff verſtehe ich hier Marmor, oder Palette, Kanevas und Pinſel; dies iſt der Stoff für jene Künſtler, wie die abſtrakteſten Worte der zu Ihren Kunſtwerken ſind. Wohl habe ich Sie geleſen; und werde Sie noch leſen; und mit je- ner Vorrede, die Sie erwähnten, anfangen; und alles von neuem ſtudiren. Sie ſcheinen keine Vorſtellung davon zu ha-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0467"n="459"/>
welches durch nichts, was man auch auffinden mag, zu er-<lb/>
klären wäre, als durch die <hirendition="#g">unendliche</hi> Tiefe der Leere, die<lb/>
dies nicht allein erlaubt, ſondern erfordert. Ich ſpreche natür-<lb/>
lich nur von den Mitgliedern der großen Welt: die andern<lb/>
zählen <hirendition="#g">gar</hi> nicht: und da hat ein jeder eine andre Original-<lb/><hirendition="#g">Una</hi>rt; die hauptſächlich darin beſteht, keine <hirendition="#g">Art</hi> zu haben.<lb/>
Aus dieſem Geſichtspunkt haben wir durch die Abberufung des<lb/>
jungen Grafen Rechberg einen wahren Verluſt erlitten. In<lb/>
dieſem Kreiſe faſt ein Phänomen zu nennen: wir lernten ihn<lb/>
nur ſeine ganz letzte Zeit in Berlin kennen: ich fand ihn aber<lb/>
einen feinen, und keinen oberflächlichen Menſchen; kräftig,<lb/>
und doch mit all der Zurückhaltung, die ſeine Stellung er-<lb/>
heiſcht; körperlichen Übungen gewachſen, und ihrer benöthigt,<lb/>
ohne im geringſten die ſedentaire Beſcheidenheit verletzend;<lb/>
Haltung mit jungem Blut; der Karakter eines Diplomaten,<lb/>
ohne den des Menſchen zu beeinträchtigen; und, wie Moce-<lb/>
nigo ſagt, ein ſtarker fleißiger Arbeiter. <hirendition="#aq">Son chemin est fait:<lb/>
si tant est, qu’il y a un chemin.</hi></p><lb/><p>Mit dieſer langen Parentheſe, die ich heute ſchrieb, will<lb/>
ich ſuchen meinen Brief da, wo ich ihn ließ, wieder aufzu-<lb/>
nehmen. „Der Stoff, in dem er ſchreibt, iſt nur Grammatik<lb/>
und Wörterbuch,“ſagte ich: und von da an will ich fort-<lb/>
fahren. Unter Stoff verſtehe ich hier Marmor, oder Palette,<lb/>
Kanevas und Pinſel; dies iſt der Stoff für jene Künſtler, wie<lb/>
die abſtrakteſten Worte der zu Ihren Kunſtwerken ſind. Wohl<lb/>
habe ich Sie geleſen; und werde Sie noch leſen; und mit je-<lb/>
ner Vorrede, die Sie erwähnten, anfangen; und alles von<lb/>
neuem ſtudiren. Sie ſcheinen keine Vorſtellung davon zu ha-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[459/0467]
welches durch nichts, was man auch auffinden mag, zu er-
klären wäre, als durch die unendliche Tiefe der Leere, die
dies nicht allein erlaubt, ſondern erfordert. Ich ſpreche natür-
lich nur von den Mitgliedern der großen Welt: die andern
zählen gar nicht: und da hat ein jeder eine andre Original-
Unart; die hauptſächlich darin beſteht, keine Art zu haben.
Aus dieſem Geſichtspunkt haben wir durch die Abberufung des
jungen Grafen Rechberg einen wahren Verluſt erlitten. In
dieſem Kreiſe faſt ein Phänomen zu nennen: wir lernten ihn
nur ſeine ganz letzte Zeit in Berlin kennen: ich fand ihn aber
einen feinen, und keinen oberflächlichen Menſchen; kräftig,
und doch mit all der Zurückhaltung, die ſeine Stellung er-
heiſcht; körperlichen Übungen gewachſen, und ihrer benöthigt,
ohne im geringſten die ſedentaire Beſcheidenheit verletzend;
Haltung mit jungem Blut; der Karakter eines Diplomaten,
ohne den des Menſchen zu beeinträchtigen; und, wie Moce-
nigo ſagt, ein ſtarker fleißiger Arbeiter. Son chemin est fait:
si tant est, qu’il y a un chemin.
Mit dieſer langen Parentheſe, die ich heute ſchrieb, will
ich ſuchen meinen Brief da, wo ich ihn ließ, wieder aufzu-
nehmen. „Der Stoff, in dem er ſchreibt, iſt nur Grammatik
und Wörterbuch,“ ſagte ich: und von da an will ich fort-
fahren. Unter Stoff verſtehe ich hier Marmor, oder Palette,
Kanevas und Pinſel; dies iſt der Stoff für jene Künſtler, wie
die abſtrakteſten Worte der zu Ihren Kunſtwerken ſind. Wohl
habe ich Sie geleſen; und werde Sie noch leſen; und mit je-
ner Vorrede, die Sie erwähnten, anfangen; und alles von
neuem ſtudiren. Sie ſcheinen keine Vorſtellung davon zu ha-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/467>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.