ben, was ich mir in meinem langen Leben alles zusammenge- lesen habe! Wenn auch ohne Studienplan; aber mit mehr, besonders anderm Kopf, als Sie mir nur irgend zutrauen können. Weil mein sogenanntes rohes Wesen grade Sie, zu sehr frappiren muß. Für miniatür-gesellige-Verhältnisse, für dunkle Leidenschaften, und Labyrinthe des Busens, hat sie Sinn, und Scharfsinn; denken Sie: sie hat ihn auch für noch viele andre, anscheinend ihr hetenogene Dinge. Und scheut sich nicht, das Ihnen zu sagen. Ich kann Ihnen hier in der Geschwindigkeit nicht mit einemmale ausdrücken, welche Be- wunderung Sie hier im Hause, als auteur genießen, wie wir solches ununterbrochen, überhaupt bewundern, und wie vielen Antheil ich an all solchem habe; so wenig Titel ich dazu habe, welches aber meinen großen Einfluß in meinem großen Kreise keineswegs ausschließt; wohl aber begünstigt. Wir sehen un- endlich verschiedene Klassen: aber die Glieder einer jeden be- quemen-sich gern, ja geflissentlich, Antheil an Geistigem und Litterarischem zu nehmen. (Denken Sie sich ja kein bureau d'esprit! oder ewige Kunstgespräche!!! oder irgend etwas Feststehendes; wohl aber Ausgeschlossenes.) Wenn ich Sie je sprechen könnte, würde es Sie ergötzen, wenn ich Ihnen das Bild meines äußern Lebens gäbe: dergleichen hat wohl noch nie existirt. Zum Schreiben ist es nicht: wenigstens heute nicht. Varnhagen empfiehlt sich Ihnen mit wahrer Ergebenheit, kann ich's wohl nennen; wenn nur ein wenig Raum entstehen wird, so wird er es wohl in Person thun; mit seiner Feder. Auch er arbeitet unendlich gerne, und ich kann wohl sagen, von allem zu Thuenden dies am liebsten. -- Er ist es nicht, den
ben, was ich mir in meinem langen Leben alles zuſammenge- leſen habe! Wenn auch ohne Studienplan; aber mit mehr, beſonders anderm Kopf, als Sie mir nur irgend zutrauen können. Weil mein ſogenanntes rohes Weſen grade Sie, zu ſehr frappiren muß. Für miniatür-geſellige-Verhältniſſe, für dunkle Leidenſchaften, und Labyrinthe des Buſens, hat ſie Sinn, und Scharfſinn; denken Sie: ſie hat ihn auch für noch viele andre, anſcheinend ihr hetenogene Dinge. Und ſcheut ſich nicht, das Ihnen zu ſagen. Ich kann Ihnen hier in der Geſchwindigkeit nicht mit einemmale ausdrücken, welche Be- wunderung Sie hier im Hauſe, als auteur genießen, wie wir ſolches ununterbrochen, überhaupt bewundern, und wie vielen Antheil ich an all ſolchem habe; ſo wenig Titel ich dazu habe, welches aber meinen großen Einfluß in meinem großen Kreiſe keineswegs ausſchließt; wohl aber begünſtigt. Wir ſehen un- endlich verſchiedene Klaſſen: aber die Glieder einer jeden be- quemen-ſich gern, ja gefliſſentlich, Antheil an Geiſtigem und Litterariſchem zu nehmen. (Denken Sie ſich ja kein bureau d’esprit! oder ewige Kunſtgeſpräche!!! oder irgend etwas Feſtſtehendes; wohl aber Ausgeſchloſſenes.) Wenn ich Sie je ſprechen könnte, würde es Sie ergötzen, wenn ich Ihnen das Bild meines äußern Lebens gäbe: dergleichen hat wohl noch nie exiſtirt. Zum Schreiben iſt es nicht: wenigſtens heute nicht. Varnhagen empfiehlt ſich Ihnen mit wahrer Ergebenheit, kann ich’s wohl nennen; wenn nur ein wenig Raum entſtehen wird, ſo wird er es wohl in Perſon thun; mit ſeiner Feder. Auch er arbeitet unendlich gerne, und ich kann wohl ſagen, von allem zu Thuenden dies am liebſten. — Er iſt es nicht, den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0468"n="460"/>
ben, was ich mir in meinem langen Leben alles zuſammenge-<lb/>
leſen habe! Wenn auch ohne Studienplan; aber mit mehr,<lb/>
beſonders anderm Kopf, als <hirendition="#g">Sie</hi> mir nur irgend zutrauen<lb/>
können. Weil mein ſogenanntes <hirendition="#g">rohes</hi> Weſen grade Sie,<lb/>
zu ſehr frappiren muß. Für miniatür-geſellige-Verhältniſſe,<lb/>
für dunkle Leidenſchaften, und Labyrinthe des Buſens, hat ſie<lb/>
Sinn, und Scharfſinn; denken Sie: ſie hat ihn auch für noch<lb/>
viele andre, anſcheinend ihr hetenogene Dinge. Und ſcheut ſich<lb/><hirendition="#g">nicht</hi>, das Ihnen zu ſagen. Ich kann Ihnen hier in der<lb/>
Geſchwindigkeit nicht mit einemmale ausdrücken, welche Be-<lb/>
wunderung Sie hier im Hauſe, als <hirendition="#aq">auteur</hi> genießen, wie wir<lb/>ſolches ununterbrochen, überhaupt bewundern, und wie vielen<lb/>
Antheil ich an all ſolchem habe; ſo wenig Titel ich dazu habe,<lb/>
welches aber meinen großen Einfluß in meinem großen Kreiſe<lb/>
keineswegs ausſchließt; wohl aber begünſtigt. Wir ſehen un-<lb/>
endlich verſchiedene Klaſſen: aber die Glieder einer jeden be-<lb/>
quemen-ſich gern, ja gefliſſentlich, Antheil an Geiſtigem und<lb/>
Litterariſchem zu nehmen. (Denken Sie ſich ja kein <hirendition="#aq">bureau<lb/>
d’esprit!</hi> oder ewige <hirendition="#g">Kunſtg</hi>eſpräche!!! oder irgend etwas<lb/>
Feſtſtehendes; wohl aber Ausgeſchloſſenes.) Wenn ich Sie je<lb/>ſprechen könnte, würde es Sie ergötzen, wenn ich Ihnen das<lb/>
Bild meines äußern Lebens gäbe: dergleichen hat wohl noch<lb/>
nie exiſtirt. Zum Schreiben iſt es nicht: wenigſtens heute nicht.<lb/>
Varnhagen empfiehlt ſich Ihnen mit wahrer Ergebenheit, kann<lb/>
ich’s wohl nennen; wenn nur ein wenig Raum entſtehen wird,<lb/>ſo wird er es wohl in Perſon thun; mit <hirendition="#g">ſeiner</hi> Feder. Auch<lb/>
er arbeitet unendlich gerne, und ich kann wohl ſagen, von<lb/>
allem zu Thuenden dies am liebſten. —<hirendition="#g">Er</hi> iſt es nicht, den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[460/0468]
ben, was ich mir in meinem langen Leben alles zuſammenge-
leſen habe! Wenn auch ohne Studienplan; aber mit mehr,
beſonders anderm Kopf, als Sie mir nur irgend zutrauen
können. Weil mein ſogenanntes rohes Weſen grade Sie,
zu ſehr frappiren muß. Für miniatür-geſellige-Verhältniſſe,
für dunkle Leidenſchaften, und Labyrinthe des Buſens, hat ſie
Sinn, und Scharfſinn; denken Sie: ſie hat ihn auch für noch
viele andre, anſcheinend ihr hetenogene Dinge. Und ſcheut ſich
nicht, das Ihnen zu ſagen. Ich kann Ihnen hier in der
Geſchwindigkeit nicht mit einemmale ausdrücken, welche Be-
wunderung Sie hier im Hauſe, als auteur genießen, wie wir
ſolches ununterbrochen, überhaupt bewundern, und wie vielen
Antheil ich an all ſolchem habe; ſo wenig Titel ich dazu habe,
welches aber meinen großen Einfluß in meinem großen Kreiſe
keineswegs ausſchließt; wohl aber begünſtigt. Wir ſehen un-
endlich verſchiedene Klaſſen: aber die Glieder einer jeden be-
quemen-ſich gern, ja gefliſſentlich, Antheil an Geiſtigem und
Litterariſchem zu nehmen. (Denken Sie ſich ja kein bureau
d’esprit! oder ewige Kunſtgeſpräche!!! oder irgend etwas
Feſtſtehendes; wohl aber Ausgeſchloſſenes.) Wenn ich Sie je
ſprechen könnte, würde es Sie ergötzen, wenn ich Ihnen das
Bild meines äußern Lebens gäbe: dergleichen hat wohl noch
nie exiſtirt. Zum Schreiben iſt es nicht: wenigſtens heute nicht.
Varnhagen empfiehlt ſich Ihnen mit wahrer Ergebenheit, kann
ich’s wohl nennen; wenn nur ein wenig Raum entſtehen wird,
ſo wird er es wohl in Perſon thun; mit ſeiner Feder. Auch
er arbeitet unendlich gerne, und ich kann wohl ſagen, von
allem zu Thuenden dies am liebſten. — Er iſt es nicht, den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/468>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.