Leben, und Keimdrang; zum ewigen Weiterleben sind wir aufgelegt; vermögen zu lieben; und begründeter nur wird unsre alte Freundschaft, die nicht altern kann. Einen Tempel möchte ich in ewiggrünem Hain stiften, um für Ihre erneute Gesundheit zu danken; ja, mit Ruhe und Ungestörtheit (Grund- lage aller Pflege) kann man sie wieder erlangen; sogar die verlorne.
Auch ich habe noch ein Liebeherz. Ich liebe mit neuer, niegekannter Zärtlichkeit einen reinen Thautropfen des Him- mels, ein sechsjähriges Nichten-Kind. Aber auch in dieser Liebe erfahre ich Störung, Kontradiktion. Und muß meinen Gegenstand oft leiden sehen!! Das Mädchen gehört mir nicht. -- Aber das Kind gehört, höheren Ortes her, mir. Mein Blut, meine Nerven: meine Schnelligkeit: herzweich, und herzstark. Vernunftkind nenne ich es; fromme Tochter. Aber sie ist hübsch, graziös: reizend, leichtsinnig: und ganz anders, als ich, Vor Gott und Menschen angenehm. Sechs Jahre segne und pfleg' ich sie mit allen meinen Kräften. Ich denke in meiner tiefen Überzeugung und Religion: daß das Kind und ich immer wieder zusammenkommen werden. Wie Schönes wußte ich Ihnen gestern darüber zu sagen; aber leider hatte ich keine Feder in der Hand.
Nur soviel in diesem Brief. Den Ihrigen erhielt ich gestern Abend. Von Heine, von allem andern künftig. Sie sollten nur geschwind Antwort haben. Wie ganz kindisch, lieblich Ihre Furcht, Ihre Zweifel! Von mir könnte ich Ihnen nur mündlich Rechenschaft geben: wie ich bin, hab' ich Ihnen gesagt: wie es mir geht, könnte ich nur erzählen. Wissen
III. 29
Leben, und Keimdrang; zum ewigen Weiterleben ſind wir aufgelegt; vermögen zu lieben; und begründeter nur wird unſre alte Freundſchaft, die nicht altern kann. Einen Tempel möchte ich in ewiggrünem Hain ſtiften, um für Ihre erneute Geſundheit zu danken; ja, mit Ruhe und Ungeſtörtheit (Grund- lage aller Pflege) kann man ſie wieder erlangen; ſogar die verlorne.
Auch ich habe noch ein Liebeherz. Ich liebe mit neuer, niegekannter Zärtlichkeit einen reinen Thautropfen des Him- mels, ein ſechsjähriges Nichten-Kind. Aber auch in dieſer Liebe erfahre ich Störung, Kontradiktion. Und muß meinen Gegenſtand oft leiden ſehen!! Das Mädchen gehört mir nicht. — Aber das Kind gehört, höheren Ortes her, mir. Mein Blut, meine Nerven: meine Schnelligkeit: herzweich, und herzſtark. Vernunftkind nenne ich es; fromme Tochter. Aber ſie iſt hübſch, graziös: reizend, leichtſinnig: und ganz anders, als ich, Vor Gott und Menſchen angenehm. Sechs Jahre ſegne und pfleg’ ich ſie mit allen meinen Kräften. Ich denke in meiner tiefen Überzeugung und Religion: daß das Kind und ich immer wieder zuſammenkommen werden. Wie Schönes wußte ich Ihnen geſtern darüber zu ſagen; aber leider hatte ich keine Feder in der Hand.
Nur ſoviel in dieſem Brief. Den Ihrigen erhielt ich geſtern Abend. Von Heine, von allem andern künftig. Sie ſollten nur geſchwind Antwort haben. Wie ganz kindiſch, lieblich Ihre Furcht, Ihre Zweifel! Von mir könnte ich Ihnen nur mündlich Rechenſchaft geben: wie ich bin, hab’ ich Ihnen geſagt: wie es mir geht, könnte ich nur erzählen. Wiſſen
III. 29
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Leben, und Keimdrang; zum ewigen Weiterleben ſind wir
aufgelegt; vermögen zu lieben; und begründeter nur wird
unſre alte Freundſchaft, die nicht altern kann. Einen Tempel
möchte ich in ewiggrünem Hain ſtiften, um für Ihre erneute
Geſundheit zu danken; ja, mit Ruhe und Ungeſtörtheit (Grund-
lage aller Pflege) kann man ſie wieder erlangen; ſogar die
verlorne.
Auch ich habe noch ein Liebeherz. Ich liebe mit neuer,
niegekannter Zärtlichkeit einen reinen Thautropfen des Him-
mels, ein ſechsjähriges Nichten-Kind. Aber auch in dieſer
Liebe erfahre ich Störung, Kontradiktion. Und muß meinen
Gegenſtand oft leiden ſehen!! Das Mädchen gehört mir
nicht. — Aber das Kind gehört, höheren Ortes her, mir.
Mein Blut, meine Nerven: meine Schnelligkeit: herzweich,
und herzſtark. Vernunftkind nenne ich es; fromme Tochter.
Aber ſie iſt hübſch, graziös: reizend, leichtſinnig: und ganz
anders, als ich, Vor Gott und Menſchen angenehm. Sechs
Jahre ſegne und pfleg’ ich ſie mit allen meinen Kräften.
Ich denke in meiner tiefen Überzeugung und Religion: daß
das Kind und ich immer wieder zuſammenkommen werden.
Wie Schönes wußte ich Ihnen geſtern darüber zu ſagen; aber
leider hatte ich keine Feder in der Hand.
Nur ſoviel in dieſem Brief. Den Ihrigen erhielt ich
geſtern Abend. Von Heine, von allem andern künftig. Sie
ſollten nur geſchwind Antwort haben. Wie ganz kindiſch,
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geſagt: wie es mir geht, könnte ich nur erzählen. Wiſſen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/457>, abgerufen am 26.11.2024.
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