Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinn seiner Worte --): die Religion sich nur am Ende die-
ser Untersuchung einfinden, und mit -- aus uns selbst ge-
schöpftem -- Vertrauen gnädigst, gütigst, und durch inneres
Gefühl zuversichtlich, weiter verweisen; sauf neuer Offenba-
rungen, die ich nicht hier den alten entgegensetze, sondern --
wünsche. Tief abgeschnitten hielt mich Ihre letzte Antwort
an Varnhagen auf diesen meinen hier erwähnten Brief: was
konnte ich sagen, weiter sagen, wenn Sie diese Worte, tief
aus Herz und Geist geschöpft, nicht verstanden! Gelöst ist
die Welt, die da zwischen uns lag; und auch von der Seite
sind Sie mir gewonnen: wie nichts je mich von Ihnen tren-
nen kann, und konnte; fehlten Sie auch (fehlen heißt hier
nicht, einen Fehler begehen, sondern nicht da sein); ich über-
sah uns; und wußte, daß in jeder Zukunft Sie zu mir mußten.

Welche Ehre, daß Sie in dem Zustand, in dem Vorneh-
men, besten, mir schreiben mußten! Keine Zweite existirt, ich
weiß es selbst; und läugne es Würdigen nicht. Aber woher
das? Jeder könnte so sein; einzig sein. Wenn er den Muth,
den Sinn hätte, "original," er selbst zu sein: wenn ihm an
fremder Zustimmung nicht mehr läge, als an seiner: wenn er
sein tiefstes Wollen abfrüge. Wie einem aber dieser Muth,
dieser Sinn abgehen kann, ist mir eigentlich durchaus unver-
ständlich: gestehe ich's nur! Menschen, denen diese bedeutend
fehlen, sind mir eigentlich vortreffliche Marionetten; zur Ver-
wunderung aus Fleisch und Blut. -- Nochmal Glück auf, zu
unserer Frische! Unsre Jugend war kein Blendwerk. Wir
lieferten ihr Grüne und Leben: sie bestand nicht nur aus Un-
kunde, und ungekränkter Haut; sondern aus Fülle, Tiefe,

Leben,

Sinn ſeiner Worte —): die Religion ſich nur am Ende die-
ſer Unterſuchung einfinden, und mit — aus uns ſelbſt ge-
ſchöpftem — Vertrauen gnädigſt, gütigſt, und durch inneres
Gefühl zuverſichtlich, weiter verweiſen; sauf neuer Offenba-
rungen, die ich nicht hier den alten entgegenſetze, ſondern —
wünſche. Tief abgeſchnitten hielt mich Ihre letzte Antwort
an Varnhagen auf dieſen meinen hier erwähnten Brief: was
konnte ich ſagen, weiter ſagen, wenn Sie dieſe Worte, tief
aus Herz und Geiſt geſchöpft, nicht verſtanden! Gelöſt iſt
die Welt, die da zwiſchen uns lag; und auch von der Seite
ſind Sie mir gewonnen: wie nichts je mich von Ihnen tren-
nen kann, und konnte; fehlten Sie auch (fehlen heißt hier
nicht, einen Fehler begehen, ſondern nicht da ſein); ich über-
ſah uns; und wußte, daß in jeder Zukunft Sie zu mir mußten.

Welche Ehre, daß Sie in dem Zuſtand, in dem Vorneh-
men, beſten, mir ſchreiben mußten! Keine Zweite exiſtirt, ich
weiß es ſelbſt; und läugne es Würdigen nicht. Aber woher
das? Jeder könnte ſo ſein; einzig ſein. Wenn er den Muth,
den Sinn hätte, „original,“ er ſelbſt zu ſein: wenn ihm an
fremder Zuſtimmung nicht mehr läge, als an ſeiner: wenn er
ſein tiefſtes Wollen abfrüge. Wie einem aber dieſer Muth,
dieſer Sinn abgehen kann, iſt mir eigentlich durchaus unver-
ſtändlich: geſtehe ich’s nur! Menſchen, denen dieſe bedeutend
fehlen, ſind mir eigentlich vortreffliche Marionetten; zur Ver-
wunderung aus Fleiſch und Blut. — Nochmal Glück auf, zu
unſerer Friſche! Unſre Jugend war kein Blendwerk. Wir
lieferten ihr Grüne und Leben: ſie beſtand nicht nur aus Un-
kunde, und ungekränkter Haut; ſondern aus Fülle, Tiefe,

Leben,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0456" n="448"/>
Sinn &#x017F;einer Worte &#x2014;): die Religion &#x017F;ich nur am Ende die-<lb/>
&#x017F;er Unter&#x017F;uchung einfinden, und mit &#x2014; aus uns &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
&#x017F;chöpftem &#x2014; Vertrauen gnädig&#x017F;t, gütig&#x017F;t, und durch inneres<lb/>
Gefühl zuver&#x017F;ichtlich, weiter verwei&#x017F;en; <hi rendition="#aq">sauf</hi> neuer Offenba-<lb/>
rungen, die ich nicht hier den alten entgegen&#x017F;etze, &#x017F;ondern &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">wün&#x017F;che</hi>. Tief abge&#x017F;chnitten hielt mich Ihre letzte Antwort<lb/>
an Varnhagen auf die&#x017F;en meinen hier erwähnten Brief: <hi rendition="#g">was</hi><lb/>
konnte ich &#x017F;agen, weiter &#x017F;agen, wenn Sie die&#x017F;e Worte, tief<lb/>
aus Herz und Gei&#x017F;t ge&#x017F;chöpft, nicht ver&#x017F;tanden! Gelö&#x017F;t i&#x017F;t<lb/>
die Welt, die da zwi&#x017F;chen uns lag; und auch von <hi rendition="#g">der</hi> Seite<lb/>
&#x017F;ind Sie mir gewonnen: wie nichts je mich von Ihnen tren-<lb/>
nen kann, und konnte; fehlten <hi rendition="#g">Sie</hi> auch (fehlen heißt hier<lb/>
nicht, einen Fehler begehen, &#x017F;ondern nicht da &#x017F;ein); <hi rendition="#g">ich</hi> über-<lb/>
&#x017F;ah uns; und wußte, daß in jeder Zukunft Sie zu mir mußten.</p><lb/>
            <p>Welche Ehre, daß Sie in dem Zu&#x017F;tand, in dem Vorneh-<lb/>
men, be&#x017F;ten, mir &#x017F;chreiben mußten! Keine Zweite exi&#x017F;tirt, ich<lb/>
weiß es &#x017F;elb&#x017F;t; und läugne es Würdigen nicht. Aber woher<lb/>
das? Jeder könnte &#x017F;o &#x017F;ein; einzig &#x017F;ein. Wenn er den Muth,<lb/>
den Sinn hätte, &#x201E;original,&#x201C; er &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;ein: wenn ihm an<lb/>
fremder Zu&#x017F;timmung nicht mehr läge, als an &#x017F;einer: wenn er<lb/>
&#x017F;ein <hi rendition="#g">tief&#x017F;tes</hi> Wollen abfrüge. Wie einem aber die&#x017F;er Muth,<lb/>
die&#x017F;er Sinn abgehen kann, i&#x017F;t mir eigentlich durchaus unver-<lb/>
&#x017F;tändlich: ge&#x017F;tehe ich&#x2019;s nur! Men&#x017F;chen, denen die&#x017F;e bedeutend<lb/>
fehlen, &#x017F;ind mir eigentlich vortreffliche Marionetten; zur Ver-<lb/>
wunderung aus Flei&#x017F;ch und Blut. &#x2014; Nochmal Glück auf, zu<lb/>
un&#x017F;erer Fri&#x017F;che! Un&#x017F;re Jugend war kein Blendwerk. <hi rendition="#g">Wir</hi><lb/>
lieferten ihr Grüne und Leben: &#x017F;ie be&#x017F;tand nicht nur aus Un-<lb/>
kunde, und ungekränkter Haut; &#x017F;ondern aus Fülle, Tiefe,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Leben,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0456] Sinn ſeiner Worte —): die Religion ſich nur am Ende die- ſer Unterſuchung einfinden, und mit — aus uns ſelbſt ge- ſchöpftem — Vertrauen gnädigſt, gütigſt, und durch inneres Gefühl zuverſichtlich, weiter verweiſen; sauf neuer Offenba- rungen, die ich nicht hier den alten entgegenſetze, ſondern — wünſche. Tief abgeſchnitten hielt mich Ihre letzte Antwort an Varnhagen auf dieſen meinen hier erwähnten Brief: was konnte ich ſagen, weiter ſagen, wenn Sie dieſe Worte, tief aus Herz und Geiſt geſchöpft, nicht verſtanden! Gelöſt iſt die Welt, die da zwiſchen uns lag; und auch von der Seite ſind Sie mir gewonnen: wie nichts je mich von Ihnen tren- nen kann, und konnte; fehlten Sie auch (fehlen heißt hier nicht, einen Fehler begehen, ſondern nicht da ſein); ich über- ſah uns; und wußte, daß in jeder Zukunft Sie zu mir mußten. Welche Ehre, daß Sie in dem Zuſtand, in dem Vorneh- men, beſten, mir ſchreiben mußten! Keine Zweite exiſtirt, ich weiß es ſelbſt; und läugne es Würdigen nicht. Aber woher das? Jeder könnte ſo ſein; einzig ſein. Wenn er den Muth, den Sinn hätte, „original,“ er ſelbſt zu ſein: wenn ihm an fremder Zuſtimmung nicht mehr läge, als an ſeiner: wenn er ſein tiefſtes Wollen abfrüge. Wie einem aber dieſer Muth, dieſer Sinn abgehen kann, iſt mir eigentlich durchaus unver- ſtändlich: geſtehe ich’s nur! Menſchen, denen dieſe bedeutend fehlen, ſind mir eigentlich vortreffliche Marionetten; zur Ver- wunderung aus Fleiſch und Blut. — Nochmal Glück auf, zu unſerer Friſche! Unſre Jugend war kein Blendwerk. Wir lieferten ihr Grüne und Leben: ſie beſtand nicht nur aus Un- kunde, und ungekränkter Haut; ſondern aus Fülle, Tiefe, Leben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/456
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/456>, abgerufen am 04.06.2024.