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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Die Kostümeurs werden antworten, das sei das Kostüm
von Anno so und so. Gelehrte, mit denen ich noch gestern
nach der Vorstellung der Semiramis zusammenkam, bewiesen,
daß ihre Zeit durchaus eine fabelhafte, unzuermittlende sei,
und Kostüme erst sechshundert Jahre nach dieser vorgeblichen
Zeit erwähnt gefunden werden könnten. Gesetzt aber auch,
wir hätten sogar Portraite aus dieser Zeit: bliebe es nicht
immer ein kindischer Grund, unsern Sinn, Auge, und unser
Urtheil deßhalb peinigen zu wollen? Uns Dlle. Hoffmann
z. B., so wie man sie gestern erscheinen ließ, als einen jungen
Helden aufdringen zu wollen, der eine Semiramis, die nicht
allein seine Mutter sein könnte, sondern es zum Beweis auch
ist, zur Liebe reizen kann. Eine minder pudelartige Perücke --
wie man sie vollkommen schön in jeder Art verfertigt -- von
dunklerem Haar, als das der jungen Aktrice; den Fall des
Haars veranstaltet, daß es eine Art von Backenbart zu bilden
scheint, wenn man einen ausdrücklichen glaubt vermeiden zu
müssen; einen Schnurrbart, einen kleinen Jünglingsbart so-
gar -- die andern Männer in dem Stücke tragen ja welche,
-- eine kleidendere, dunkle Mütze, und nicht einen drapd'or'nen
Blumentopf auf dem Kopf, wenn auch zu irgend einer Zeit,
irgend ein Volk dergleichen trug! -- oder steht die Kunst,
solche Epoche, wo solcherlei vorging, herauszufinden, über al-
ler schönen Kunst, Geschicklichkeit in ihr, und Wohlgefälligkeit
von ihr; stehn über alles dies Wissenschaft und Studium?
Kann dieser kindische und abgetragene Irrthum noch immer
vorhalten? Und wollen die Theater darin noch immer wett-
eifern? Warum hat Dlle. Hoffmann nicht die Fuß- und

Die Koſtümeurs werden antworten, das ſei das Koſtüm
von Anno ſo und ſo. Gelehrte, mit denen ich noch geſtern
nach der Vorſtellung der Semiramis zuſammenkam, bewieſen,
daß ihre Zeit durchaus eine fabelhafte, unzuermittlende ſei,
und Koſtüme erſt ſechshundert Jahre nach dieſer vorgeblichen
Zeit erwähnt gefunden werden könnten. Geſetzt aber auch,
wir hätten ſogar Portraite aus dieſer Zeit: bliebe es nicht
immer ein kindiſcher Grund, unſern Sinn, Auge, und unſer
Urtheil deßhalb peinigen zu wollen? Uns Dlle. Hoffmann
z. B., ſo wie man ſie geſtern erſcheinen ließ, als einen jungen
Helden aufdringen zu wollen, der eine Semiramis, die nicht
allein ſeine Mutter ſein könnte, ſondern es zum Beweis auch
iſt, zur Liebe reizen kann. Eine minder pudelartige Perücke —
wie man ſie vollkommen ſchön in jeder Art verfertigt — von
dunklerem Haar, als das der jungen Aktrice; den Fall des
Haars veranſtaltet, daß es eine Art von Backenbart zu bilden
ſcheint, wenn man einen ausdrücklichen glaubt vermeiden zu
müſſen; einen Schnurrbart, einen kleinen Jünglingsbart ſo-
gar — die andern Männer in dem Stücke tragen ja welche,
— eine kleidendere, dunkle Mütze, und nicht einen drapd’or’nen
Blumentopf auf dem Kopf, wenn auch zu irgend einer Zeit,
irgend ein Volk dergleichen trug! — oder ſteht die Kunſt,
ſolche Epoche, wo ſolcherlei vorging, herauszufinden, über al-
ler ſchönen Kunſt, Geſchicklichkeit in ihr, und Wohlgefälligkeit
von ihr; ſtehn über alles dies Wiſſenſchaft und Studium?
Kann dieſer kindiſche und abgetragene Irrthum noch immer
vorhalten? Und wollen die Theater darin noch immer wett-
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[438/0446] Die Koſtümeurs werden antworten, das ſei das Koſtüm von Anno ſo und ſo. Gelehrte, mit denen ich noch geſtern nach der Vorſtellung der Semiramis zuſammenkam, bewieſen, daß ihre Zeit durchaus eine fabelhafte, unzuermittlende ſei, und Koſtüme erſt ſechshundert Jahre nach dieſer vorgeblichen Zeit erwähnt gefunden werden könnten. Geſetzt aber auch, wir hätten ſogar Portraite aus dieſer Zeit: bliebe es nicht immer ein kindiſcher Grund, unſern Sinn, Auge, und unſer Urtheil deßhalb peinigen zu wollen? Uns Dlle. Hoffmann z. B., ſo wie man ſie geſtern erſcheinen ließ, als einen jungen Helden aufdringen zu wollen, der eine Semiramis, die nicht allein ſeine Mutter ſein könnte, ſondern es zum Beweis auch iſt, zur Liebe reizen kann. Eine minder pudelartige Perücke — wie man ſie vollkommen ſchön in jeder Art verfertigt — von dunklerem Haar, als das der jungen Aktrice; den Fall des Haars veranſtaltet, daß es eine Art von Backenbart zu bilden ſcheint, wenn man einen ausdrücklichen glaubt vermeiden zu müſſen; einen Schnurrbart, einen kleinen Jünglingsbart ſo- gar — die andern Männer in dem Stücke tragen ja welche, — eine kleidendere, dunkle Mütze, und nicht einen drapd’or’nen Blumentopf auf dem Kopf, wenn auch zu irgend einer Zeit, irgend ein Volk dergleichen trug! — oder ſteht die Kunſt, ſolche Epoche, wo ſolcherlei vorging, herauszufinden, über al- ler ſchönen Kunſt, Geſchicklichkeit in ihr, und Wohlgefälligkeit von ihr; ſtehn über alles dies Wiſſenſchaft und Studium? Kann dieſer kindiſche und abgetragene Irrthum noch immer vorhalten? Und wollen die Theater darin noch immer wett- eifern? Warum hat Dlle. Hoffmann nicht die Fuß- und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/446>, abgerufen am 27.11.2024.