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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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gerufen. Ich will also mehr Darstellung, woraus wir den
wissentlichen, geselligen, politischen Zustand ersehn, worin unsre
Personen zu leben haben. Und hiemit habe ich auch meine
ganze Kritik erschöpft. Und erwarte die Ihre, hierüber.

Mir ist während dem Schreiben klar geworden, daß ein
Aufenthalt in Berlin Ihnen von unendlichem Nutzen werden
könnte: eine reiche doch neue Litteratur auf die leichteste ge-
sellige Weise mitgetheilt -- und versteht sich auch ein neues
Leben -- grad in meinem Hause. Ganz in ihrer Mitte steht
Varnh. durch sein Leben und Wirken: alles kommt ihm da-
von zu: er giebt mir mehr Bücher und Hefte in die Hände,
als der Fleißigste nur verbrauchen kann: erfahren schon Ein-
mal thue ich von allem; und ewige Diskussionen, und Unter-
suchungen, veranlasse ich schon selbst. Ein einziges Haus
darin: Sie wären mitten in Deutschland; sauf le pedantisme,
que je tue a trente lieues a la ronde;
durch bloßes Existiren,
solcher Feind, solcher Giftbaum bin ich für ihn. Lesen Sie
wo möglich -- in Paris hat man alles -- des Königs von
Baiern Gedichte. Mir gefallen sie, daß sei Ihnen genug: ich,
die gegen alle Gedichte das größte Vorurtheil hat, mit wel-
chem ich sie auch zur Hand nahm. Schöne Gesinnung; gu-
tes Naturgefühl: keine Affektation; keine neuere Nachahmung
von Gefühl, Kunst, Religion. Sehr gut! Und der König --
der Vielvermögende -- obenein! --

Alles was Sie von Paris schreiben, haben wir bewun-
dert; so wahr ist's. Tausend schönste Sachen an Hrn. Bär-
stecher und an Sie, den ich im Grund Ihrer Seele sehe, wie

gerufen. Ich will alſo mehr Darſtellung, woraus wir den
wiſſentlichen, geſelligen, politiſchen Zuſtand erſehn, worin unſre
Perſonen zu leben haben. Und hiemit habe ich auch meine
ganze Kritik erſchöpft. Und erwarte die Ihre, hierüber.

Mir iſt während dem Schreiben klar geworden, daß ein
Aufenthalt in Berlin Ihnen von unendlichem Nutzen werden
könnte: eine reiche doch neue Litteratur auf die leichteſte ge-
ſellige Weiſe mitgetheilt — und verſteht ſich auch ein neues
Leben — grad in meinem Hauſe. Ganz in ihrer Mitte ſteht
Varnh. durch ſein Leben und Wirken: alles kommt ihm da-
von zu: er giebt mir mehr Bücher und Hefte in die Hände,
als der Fleißigſte nur verbrauchen kann: erfahren ſchon Ein-
mal thue ich von allem; und ewige Diskuſſionen, und Unter-
ſuchungen, veranlaſſe ich ſchon ſelbſt. Ein einziges Haus
darin: Sie wären mitten in Deutſchland; sauf le pédantisme,
que je tue à trente lieues à la ronde;
durch bloßes Exiſtiren,
ſolcher Feind, ſolcher Giftbaum bin ich für ihn. Leſen Sie
wo möglich — in Paris hat man alles — des Königs von
Baiern Gedichte. Mir gefallen ſie, daß ſei Ihnen genug: ich,
die gegen alle Gedichte das größte Vorurtheil hat, mit wel-
chem ich ſie auch zur Hand nahm. Schöne Geſinnung; gu-
tes Naturgefühl: keine Affektation; keine neuere Nachahmung
von Gefühl, Kunſt, Religion. Sehr gut! Und der König —
der Vielvermögende — obenein! —

Alles was Sie von Paris ſchreiben, haben wir bewun-
dert; ſo wahr iſt’s. Tauſend ſchönſte Sachen an Hrn. Bär-
ſtecher und an Sie, den ich im Grund Ihrer Seele ſehe, wie

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[415/0423] gerufen. Ich will alſo mehr Darſtellung, woraus wir den wiſſentlichen, geſelligen, politiſchen Zuſtand erſehn, worin unſre Perſonen zu leben haben. Und hiemit habe ich auch meine ganze Kritik erſchöpft. Und erwarte die Ihre, hierüber. Mir iſt während dem Schreiben klar geworden, daß ein Aufenthalt in Berlin Ihnen von unendlichem Nutzen werden könnte: eine reiche doch neue Litteratur auf die leichteſte ge- ſellige Weiſe mitgetheilt — und verſteht ſich auch ein neues Leben — grad in meinem Hauſe. Ganz in ihrer Mitte ſteht Varnh. durch ſein Leben und Wirken: alles kommt ihm da- von zu: er giebt mir mehr Bücher und Hefte in die Hände, als der Fleißigſte nur verbrauchen kann: erfahren ſchon Ein- mal thue ich von allem; und ewige Diskuſſionen, und Unter- ſuchungen, veranlaſſe ich ſchon ſelbſt. Ein einziges Haus darin: Sie wären mitten in Deutſchland; sauf le pédantisme, que je tue à trente lieues à la ronde; durch bloßes Exiſtiren, ſolcher Feind, ſolcher Giftbaum bin ich für ihn. Leſen Sie wo möglich — in Paris hat man alles — des Königs von Baiern Gedichte. Mir gefallen ſie, daß ſei Ihnen genug: ich, die gegen alle Gedichte das größte Vorurtheil hat, mit wel- chem ich ſie auch zur Hand nahm. Schöne Geſinnung; gu- tes Naturgefühl: keine Affektation; keine neuere Nachahmung von Gefühl, Kunſt, Religion. Sehr gut! Und der König — der Vielvermögende — obenein! — Alles was Sie von Paris ſchreiben, haben wir bewun- dert; ſo wahr iſt’s. Tauſend ſchönſte Sachen an Hrn. Bär- ſtecher und an Sie, den ich im Grund Ihrer Seele ſehe, wie

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/423>, abgerufen am 22.12.2024.