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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Dinge vague da; und alsdann erst kommt Grammatik, Logik;
und alles das Gerüste, und die willkürlichen Zeichen; wovon
die Sprachen noch nicht frei sind. So haben dem Gluck, der re-
volutionairer mit den Texten umging, die Franzosen so sehr
geschadet und eingeengt; so groß, so keusch, so weise, so er-
findungsreich er war. Die, mit ihrer Sprechsprache! die de-
rentwegen in weltlichen Dingen so voraus sind, und auf deren
Sprache wieder die Welt so eingewirkt hat; wie weit ab dies
von Gesang, hat ihnen ihr Rousseau auf ewig gesagt. Cet
original;
heißt auf Deutsch: der Tolle. Richtig, daß er ihnen
toll erscheint. Er geht in allen Dingen auf's Singen zurück;
und sie sprechen so schön! Singen ist bei ihnen ein Scherz:
und soll es Ernst sein, ein Spaß, für uns, für mich, für
Rousseau: und ein Leid, weil es nicht dafür angesehen wird.
Und wir Deutschen nun gar auch deklamirende Opern hören,
sehn, und schreiben! Das heißt Empfindungen auf Gramma-
tik und Silbenzahlen spannen; und je weniger das geht, und
Musik ausbleibt, je gelungener, richtig-deklamirter es hal-
ten! -- Mozart, der neuste Revolutionair, zertrat das alles
wieder; zwang aber den Gesang zu sehr unter die Instru-
mente; war aber so musiktrunken, so von Fluth der Eingebung
gehoben, daß er immer ein Ganzes bildete; und in einem
solchen muß, und kann manches unterliegen; um so größer!
Da er Bach, und Gluck studirt, und benutzt hat, mit dem
größten Witz, und sich unabhängig von ihnen gehalten. Dann
kommt Spontini, den auch die Franzosen erdrückt; der aber
in Nebeneinanderstellung der Instrumente neu, und im Besin-
nen neu ist: nämlich, er besinnt sich nicht etwa, wie Maria

Dinge vague da; und alsdann erſt kommt Grammatik, Logik;
und alles das Gerüſte, und die willkürlichen Zeichen; wovon
die Sprachen noch nicht frei ſind. So haben dem Gluck, der re-
volutionairer mit den Texten umging, die Franzoſen ſo ſehr
geſchadet und eingeengt; ſo groß, ſo keuſch, ſo weiſe, ſo er-
findungsreich er war. Die, mit ihrer Sprechſprache! die de-
rentwegen in weltlichen Dingen ſo voraus ſind, und auf deren
Sprache wieder die Welt ſo eingewirkt hat; wie weit ab dies
von Geſang, hat ihnen ihr Rouſſeau auf ewig geſagt. Cet
original;
heißt auf Deutſch: der Tolle. Richtig, daß er ihnen
toll erſcheint. Er geht in allen Dingen auf’s Singen zurück;
und ſie ſprechen ſo ſchön! Singen iſt bei ihnen ein Scherz:
und ſoll es Ernſt ſein, ein Spaß, für uns, für mich, für
Rouſſeau: und ein Leid, weil es nicht dafür angeſehen wird.
Und wir Deutſchen nun gar auch deklamirende Opern hören,
ſehn, und ſchreiben! Das heißt Empfindungen auf Gramma-
tik und Silbenzahlen ſpannen; und je weniger das geht, und
Muſik ausbleibt, je gelungener, richtig-deklamirter es hal-
ten! — Mozart, der neuſte Revolutionair, zertrat das alles
wieder; zwang aber den Geſang zu ſehr unter die Inſtru-
mente; war aber ſo muſiktrunken, ſo von Fluth der Eingebung
gehoben, daß er immer ein Ganzes bildete; und in einem
ſolchen muß, und kann manches unterliegen; um ſo größer!
Da er Bach, und Gluck ſtudirt, und benutzt hat, mit dem
größten Witz, und ſich unabhängig von ihnen gehalten. Dann
kommt Spontini, den auch die Franzoſen erdrückt; der aber
in Nebeneinanderſtellung der Inſtrumente neu, und im Beſin-
nen neu iſt: nämlich, er beſinnt ſich nicht etwa, wie Maria

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[375/0383] Dinge vague da; und alsdann erſt kommt Grammatik, Logik; und alles das Gerüſte, und die willkürlichen Zeichen; wovon die Sprachen noch nicht frei ſind. So haben dem Gluck, der re- volutionairer mit den Texten umging, die Franzoſen ſo ſehr geſchadet und eingeengt; ſo groß, ſo keuſch, ſo weiſe, ſo er- findungsreich er war. Die, mit ihrer Sprechſprache! die de- rentwegen in weltlichen Dingen ſo voraus ſind, und auf deren Sprache wieder die Welt ſo eingewirkt hat; wie weit ab dies von Geſang, hat ihnen ihr Rouſſeau auf ewig geſagt. Cet original; heißt auf Deutſch: der Tolle. Richtig, daß er ihnen toll erſcheint. Er geht in allen Dingen auf’s Singen zurück; und ſie ſprechen ſo ſchön! Singen iſt bei ihnen ein Scherz: und ſoll es Ernſt ſein, ein Spaß, für uns, für mich, für Rouſſeau: und ein Leid, weil es nicht dafür angeſehen wird. Und wir Deutſchen nun gar auch deklamirende Opern hören, ſehn, und ſchreiben! Das heißt Empfindungen auf Gramma- tik und Silbenzahlen ſpannen; und je weniger das geht, und Muſik ausbleibt, je gelungener, richtig-deklamirter es hal- ten! — Mozart, der neuſte Revolutionair, zertrat das alles wieder; zwang aber den Geſang zu ſehr unter die Inſtru- mente; war aber ſo muſiktrunken, ſo von Fluth der Eingebung gehoben, daß er immer ein Ganzes bildete; und in einem ſolchen muß, und kann manches unterliegen; um ſo größer! Da er Bach, und Gluck ſtudirt, und benutzt hat, mit dem größten Witz, und ſich unabhängig von ihnen gehalten. Dann kommt Spontini, den auch die Franzoſen erdrückt; der aber in Nebeneinanderſtellung der Inſtrumente neu, und im Beſin- nen neu iſt: nämlich, er beſinnt ſich nicht etwa, wie Maria

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/383>, abgerufen am 22.12.2024.