Weber, was er machen soll: sondern, auf alles was er weg- lassen muß. Alle Andern können die Reminiszenzen nicht los werden; und haben nicht so viel Ursprüngliches um es nicht verschwemmen zu lassen. Mein Musikunterricht bestand in lauter Musik von Sebastian, und allen Bächen, und der gan- zen Schule, also wir, von der Zeit, kennen das alles genau. Wie das Publikum, das frömmlende, war, mündlich. -- Sie lasen das Stück Bibel als Text, nicht etwa gerührt! nein, sie studirten es mit Lügenmienen, als wäre es schwer: und Kants Kritik der reinen Vernunft etwa. --
An Varnhagen, in Bonn.
Freitag, den 13. März 1829.
Ich war zu erhitzt, um im Briefe heute alles ordentlicher zu sagen. Also nachträglich: Mozart ist mir Shakespear; Gluck: Ähnlichkeit mit Klopstock; das nur oberflächlich: schon weil Gluck mehr von Leidenschaftlichkeit und Leiden weiß. Righini allein weiß von Liebe, verliebter Liebe; versteht den Olymp, -- was der sagen will -- den Tartarus; welchem Dichter vergleich ich den? Heiteres lichtes Wetter auf Bergen weiß er auszusprechen, herzuzaubern; olympisches; Zauber, Nymphen, Liebesgötter, Liebesrausch. Zerrissenes Herz. Mei- nes Wissens im letzten einzig dastehend. Für den Sänger der Größte; noch so Bizarres für Ohr und Gewohnheit, in bequemen, einfach zu findenden Tönen, so wie man's versucht. Händel weißt du schon. Alle diese Meister haben, wie alle
Weber, was er machen ſoll: ſondern, auf alles was er weg- laſſen muß. Alle Andern können die Reminiszenzen nicht los werden; und haben nicht ſo viel Urſprüngliches um es nicht verſchwemmen zu laſſen. Mein Muſikunterricht beſtand in lauter Muſik von Sebaſtian, und allen Bächen, und der gan- zen Schule, alſo wir, von der Zeit, kennen das alles genau. Wie das Publikum, das frömmlende, war, mündlich. — Sie laſen das Stück Bibel als Text, nicht etwa gerührt! nein, ſie ſtudirten es mit Lügenmienen, als wäre es ſchwer: und Kants Kritik der reinen Vernunft etwa. —
An Varnhagen, in Bonn.
Freitag, den 13. März 1829.
Ich war zu erhitzt, um im Briefe heute alles ordentlicher zu ſagen. Alſo nachträglich: Mozart iſt mir Shakeſpear; Gluck: Ähnlichkeit mit Klopſtock; das nur oberflächlich: ſchon weil Gluck mehr von Leidenſchaftlichkeit und Leiden weiß. Righini allein weiß von Liebe, verliebter Liebe; verſteht den Olymp, — was der ſagen will — den Tartarus; welchem Dichter vergleich ich den? Heiteres lichtes Wetter auf Bergen weiß er auszuſprechen, herzuzaubern; olympiſches; Zauber, Nymphen, Liebesgötter, Liebesrauſch. Zerriſſenes Herz. Mei- nes Wiſſens im letzten einzig daſtehend. Für den Sänger der Größte; noch ſo Bizarres für Ohr und Gewohnheit, in bequemen, einfach zu findenden Tönen, ſo wie man’s verſucht. Händel weißt du ſchon. Alle dieſe Meiſter haben, wie alle
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Weber, was er machen ſoll: ſondern, auf alles was er weg-
laſſen muß. Alle Andern können die Reminiszenzen nicht los
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verſchwemmen zu laſſen. Mein Muſikunterricht beſtand in
lauter Muſik von Sebaſtian, und allen Bächen, und der gan-
zen Schule, alſo wir, von der Zeit, kennen das alles genau.
Wie das Publikum, das frömmlende, war, mündlich. — Sie
laſen das Stück Bibel als Text, nicht etwa gerührt! nein, ſie
ſtudirten es mit Lügenmienen, als wäre es ſchwer: und Kants
Kritik der reinen Vernunft etwa. —
An Varnhagen, in Bonn.
Freitag, den 13. März 1829.
Ich war zu erhitzt, um im Briefe heute alles ordentlicher
zu ſagen. Alſo nachträglich: Mozart iſt mir Shakeſpear;
Gluck: Ähnlichkeit mit Klopſtock; das nur oberflächlich: ſchon
weil Gluck mehr von Leidenſchaftlichkeit und Leiden weiß.
Righini allein weiß von Liebe, verliebter Liebe; verſteht den
Olymp, — was der ſagen will — den Tartarus; welchem
Dichter vergleich ich den? Heiteres lichtes Wetter auf Bergen
weiß er auszuſprechen, herzuzaubern; olympiſches; Zauber,
Nymphen, Liebesgötter, Liebesrauſch. Zerriſſenes Herz. Mei-
nes Wiſſens im letzten einzig daſtehend. Für den Sänger
der Größte; noch ſo Bizarres für Ohr und Gewohnheit, in
bequemen, einfach zu findenden Tönen, ſo wie man’s verſucht.
Händel weißt du ſchon. Alle dieſe Meiſter haben, wie alle
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/384>, abgerufen am 22.12.2024.
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