was nun jetzt schon als ganz abgegriffene Münzstücke längst eingeschmolzen, und anders gebraucht und abgebraucht, und von schlechtern Künstlern, aber schöner geprägt in Um- lauf ist. -- Mad. Liman hat Recht, die mir gestern sagte: "Es ist wichtig es zu hören, wie man die Nibelungen und dergleichen liest, und den Übersetzern danken muß: aber die Poesie ist mit unserm ganzen Leben weitergeschritten; wir müssen weder Einhalt thun, noch rückwärts verweilen, nur das Rück- wärts kennen: Gluck und Mozart haben Sebastian studirt; das Beste von ihm benutzt, und sind weiter." -- Sebastian, sage ich lange, ist durchaus Kant: mit großer Dichtungsgabe, Phantasie; ein Stück Saint-Martin in sich; ein großer Archi- tekt in Urproportionen; eine reine, sich zu Gottesgedanken schwingende Seele. Immer sublim, und unterhaltend, wenn er dem Impuls seiner Eingebungen, und sogar Meinungen und Vorsätze, folgt. Nicht aber, wenn er Texte, Worte be- musikt. Da ist es ihm noch nicht eingefallen, alles Herge- brachte mit Eins zurückzulassen; bloß nicht eingefallen; und ich glaube, aus großer Musikfülle. Er hat so viel Großes, Reiches, Üppiges, Erhabenes, Richtiges, Neues gemacht, daß er ein Feld ganz vergaß zu überarbeiten; weil es auch nicht sein eigentliches war. Denn, mir ist es ausgemacht, daß Vo- kalmusik nicht so rein, so himmelverwandt, so erhaben ist, und sein kann, als Instrumentalmusik. (Ich weiß; jetzt, contra Welt: aber es wird schon ein Mann kommen, der es beweist in einem breiten sich Platz machenden Buche.) Und auch da- her muß erst komponirt werden, und dann der Text gemacht: erst ist die Empfindung, die Meinung, der Eindruck aller
was nun jetzt ſchon als ganz abgegriffene Münzſtücke längſt eingeſchmolzen, und anders gebraucht und abgebraucht, und von ſchlechtern Künſtlern, aber ſchöner geprägt in Um- lauf iſt. — Mad. Liman hat Recht, die mir geſtern ſagte: „Es iſt wichtig es zu hören, wie man die Nibelungen und dergleichen lieſt, und den Überſetzern danken muß: aber die Poeſie iſt mit unſerm ganzen Leben weitergeſchritten; wir müſſen weder Einhalt thun, noch rückwärts verweilen, nur das Rück- wärts kennen: Gluck und Mozart haben Sebaſtian ſtudirt; das Beſte von ihm benutzt, und ſind weiter.“ — Sebaſtian, ſage ich lange, iſt durchaus Kant: mit großer Dichtungsgabe, Phantaſie; ein Stück Saint-Martin in ſich; ein großer Archi- tekt in Urproportionen; eine reine, ſich zu Gottesgedanken ſchwingende Seele. Immer ſublim, und unterhaltend, wenn er dem Impuls ſeiner Eingebungen, und ſogar Meinungen und Vorſätze, folgt. Nicht aber, wenn er Texte, Worte be- muſikt. Da iſt es ihm noch nicht eingefallen, alles Herge- brachte mit Eins zurückzulaſſen; bloß nicht eingefallen; und ich glaube, aus großer Muſikfülle. Er hat ſo viel Großes, Reiches, Üppiges, Erhabenes, Richtiges, Neues gemacht, daß er ein Feld ganz vergaß zu überarbeiten; weil es auch nicht ſein eigentliches war. Denn, mir iſt es ausgemacht, daß Vo- kalmuſik nicht ſo rein, ſo himmelverwandt, ſo erhaben iſt, und ſein kann, als Inſtrumentalmuſik. (Ich weiß; jetzt, contra Welt: aber es wird ſchon ein Mann kommen, der es beweiſt in einem breiten ſich Platz machenden Buche.) Und auch da- her muß erſt komponirt werden, und dann der Text gemacht: erſt iſt die Empfindung, die Meinung, der Eindruck aller
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was nun jetzt ſchon als ganz abgegriffene Münzſtücke längſt
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lauf iſt. — Mad. Liman hat Recht, die mir geſtern ſagte:
„Es iſt wichtig es zu hören, wie man die Nibelungen und
dergleichen lieſt, und den Überſetzern danken muß: aber die
Poeſie iſt mit unſerm ganzen Leben weitergeſchritten; wir müſſen
weder Einhalt thun, noch rückwärts verweilen, nur das Rück-
wärts kennen: Gluck und Mozart haben Sebaſtian ſtudirt;
das Beſte von ihm benutzt, und ſind weiter.“ — Sebaſtian,
ſage ich lange, iſt durchaus Kant: mit großer Dichtungsgabe,
Phantaſie; ein Stück Saint-Martin in ſich; ein großer Archi-
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ſchwingende Seele. Immer ſublim, und unterhaltend, wenn
er dem Impuls ſeiner Eingebungen, und ſogar Meinungen
und Vorſätze, folgt. Nicht aber, wenn er Texte, Worte be-
muſikt. Da iſt es ihm noch nicht eingefallen, alles Herge-
brachte mit Eins zurückzulaſſen; bloß nicht eingefallen; und
ich glaube, aus großer Muſikfülle. Er hat ſo viel Großes,
Reiches, Üppiges, Erhabenes, Richtiges, Neues gemacht, daß
er ein Feld ganz vergaß zu überarbeiten; weil es auch nicht
ſein eigentliches war. Denn, mir iſt es ausgemacht, daß Vo-
kalmuſik nicht ſo rein, ſo himmelverwandt, ſo erhaben iſt, und
ſein kann, als Inſtrumentalmuſik. (Ich weiß; jetzt, contra
Welt: aber es wird ſchon ein Mann kommen, der es beweiſt
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/382>, abgerufen am 22.12.2024.
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